Berlin. Der 1. FC Union ist Stadtmeister und feiert das 1:0 (0:0) gegen Hertha BSC durch das Elfmetertor von Sebastian Polter. In Erinnerung bleibt aber vor allem der Pyro-Irrsinn, den beide Fan-Lager inszeniert haben und der beiden Vereinen eine saftige Geldstrafe vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) einbringen wird.
Der DFB hat die Ermittlungen aufgenommen. Laut des DFB-Strafenkatalogs werden pro Rakete 3000 Euro, pro Bengalo 1000 Euro fällig. Folglich dürfte auf beiden Seiten eine Summe im hohen fünfstelligen Bereich zusammenkommen.
Doch während im Union-Fanblock „nur“ zu Beginn der zweiten Halbzeit unzählige Bengalos gezündet wurden, was das Vergehen nicht weniger strafbar macht, brannten im Hertha-Fanblock während des gesamten Spiels immer wieder Bengalos. Zum Spielende wurden sogar mutmaßlich erbeutete Union-T-Shirts und -Banner angezündet.
Drei Verletzte und 25 Strafverfahren
Viel schlimmer: Aus dem Gästeblock wurden immer wieder Raketen auf das Spielfeld, in Richtung der Tribünen und auch der Union-Trainerbank abgefeuert. Einige wurden von der Dachkonstruktion abgelenkt und landeten mitten unter den Zuschauern.
Szenen, die es bei einem Fußballspiel in Berlin bislang noch nicht gegeben hat. Die Polizei nahm vier Personen vorläufig fest, nach Beendigung der polizeilichen Maßnahmen wurden diese wieder entlassen.
25 Strafverfahren wurden bislang eingeleitet, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Haus- und Landfriedensbruchs, Zusammenrottung sowie Verstößen gegen das Versammlungs-, Waffen- und Sprengstoffgesetz. Zwei Polizisten und ein Union-Fan wurden dabei verletzt.
Polters Familie kommt mit dem Schrecken davon
Unions Profis verurteilten den Pyro-Irrsinn, sprachen sich aber nicht für ein generelles Verbot aus. „Bengalos verkraftet man, nur die Raketen waren ein bisschen blöd. Aber wir wussten, dass so etwas passieren kann und hatten vorher darüber gesprochen“, sagte Union-Kapitän Christopher Trimmel.
Mittelfeldspieler Robert Andrich erklärte: „Pyro gehört irgendwie dazu, doch dass sie das in die Menge schießen, ist einfach eine Katastrophe.“ Für Siegtorschütze Polter ist klar: „Es sind Idioten, die sowas irgendwo hinzünden.“ Polters Freundin und seine Kinder kamen in der Alten Försterei mit dem Schrecken davon, nachdem eine Rakete sie auf der Haupttribüne nur knapp verfehlt hatte.
„Das ist schrecklich und nicht zumutbar. Wenn man weiß, dass die eigenen Kinder getroffen werden könnten – das wünscht man keinem, weder blau-weiß noch rot-weiß“, sagte Polter. Für ein grundsätzliches Verbot wollte sich aber auch der 28-Jährige nicht aussprechen. „Ich finde, dass Pyro bei einem Stadtderby irgendwo dazugehört. Aber es muss gewährleistet sein, dass niemand verletzt wird.“
Derby stand vor dem Spielabbruch
Wie dicht das erste Bundesliga-Derby zwischen Union und Hertha vor dem Abbruch stand, verdeutlichte Schiedsrichter Deniz Aytekin. „Wir haben gedacht, das mit den Pyros bekommen wir noch hin. Doch als dann Raketen aufs Spielfeld und auch in Richtung Trainerbänke flogen, bin ich mit den Mannschaften rein, weil die Gesundheit der Spieler über allem steht“, erklärte der Unparteiische aus Oberasbach.
Für gut fünf Minuten hatte er die Partie kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit unterbrechen müssen und die Mannschaften in die Katakomben der Haupttribüne geschickt. „Ich habe dann nochmal mit den Trainern gesprochen und gesagt, dass wir hoffen, dass solche Szenen nicht noch einmal vorkommen, aber letztendlich haben wir auch in Abstimmung mit der Polizei entschieden, das Spiel zu Ende zu bringen“, erklärte Aytekin weiter.
Auch er verurteilte das Verhalten der Hertha-Fans: „Das hat mit Fußball nichts zu tun. Es ist traurig, wenn so etwas passiert. Ich bin froh, dass auf dem Platz niemand verletzt wurde.“
Union-Fans stürmen aufs Spielfeld
Auf der anderen Seite wird sich Union mit jenen auseinandersetzen müssen, die nach Schlusspfiff über die Stadionzäune auf das Spielfeld gelangten und erst im letzten Moment vor allem von Union-Torwart Rafal Gikiewicz daran gehindert wurden, sich auf den Weg in Richtung Hertha-Fanblock zu machen.
„Es ist unsere Pflicht, die eigenen Fans vor Dummheiten zu schützen, die dem Verein schaden könnten“, sagte Polter. Unions Geschäftsführer Kommunikation, Christian Arbeit, kündigte an: „Wir werden wie immer in allen Bereichen sehen, ob sich irgendetwas ermitteln lässt und alles, was uns an Bildmaterial vorliegt, auswerten.“
Gut zwei Stunden vor der Partie hatten Union-Fans den Eingangsbereich auf der Waldseite des Stadions überlaufen und gelangten so ohne Einlasskontrollen in die Alte Försterei. Womit auch die Frage geklärt wäre, wie Pyrotechnik auf der Union-Seite ins Stadion gelangen konnte. Drängeln, das Schmuggeln im Intimbereich oder BH, auch Mittelsmänner, etwa in Sicherheits- oder Catering-Firmen, sind weitere Methoden, um verbotenerweise Pyrotechnik ins Stadion zu bekommen.
Union und Hertha wollen den Dialog mit den Fans suchen
Hertha distanzierte sich von den klaren Grenzüberschreitungen seiner Fans. „Vor allem das Abfeuern von Raketen in den Innenraum und in Zuschauerbereiche ist nicht hinnehmbar. Wir werden den Dialog mit der aktiven Fanszene nutzen, um diese Vorfälle aufzuarbeiten und Lösungsansätze zu diskutieren, um solche Vergehen einzudämmen“, hieß es auf der Internetseite des Klubs.
Auch Union verurteilte sowohl das Abbrennen von Pyrotechnik sowie das Erstürmen des Eingangsbereiches seiner Anhänger. Gleichwohl wiesen beide Klubs auch auf die Schwierigkeit hin, Täter dingfest zu machen. „Das Problem ist natürlich, dass sie vermummt sind“, sagte Arbeit mit Blick auf jene, die nach Abpfiff über die Stadionzäune geklettert waren.
„Es gibt einen grundsätzlichen Dissens zwischen Vereinen und Fans zum Thema Pyro“, sagte Hertha-Manager Michael Preetz, „und den hat bislang noch kein Verein oder Verband gelöst.“ Hertha hatte schon einmal die Zügel angezogen, nach den Ausschreitungen mit insgesamt 60 Verletzten im Oktober 2018 beim Liga-Spiel in Dortmund gab es im folgenden Heimspiel gegen Leipzig ein Bannerverbot. Die Folge: Die Fans reagierten mit Stimmungsboykott, die Fronten verhärteten sich.
Hertha und Union sind mit hohen Strafen vertraut
Vor dem Derby bei Union gingen von den 2400 Hertha-Tickets diverse Karten an die aktive Fanszene, die nun wiederholt auffällig wurde und dem Verein schon oft finanziellen Schaden zugefügt hat – sei es wegen des Abbrennens und Abschießens von Pyro oder offener Gewalt.
So durfte Hertha nach dem Dortmund-Spiel 135.000 Euro Strafe zahlen. Zuvor waren insgesamt 152.000 Euro nach den Pokalspielen in Braunschweig (August 2018), Rostock (Oktober 2017) und St. Pauli (Februar 2017) fällig geworden.
Union wiederum kam der Aufstieg gegen den VfB Stuttgart im Mai teuer zu stehen: 56.800 Euro wegen Pyros und des Platzsturms nach dem Spiel.
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