Berlin. Die Gefühlslage am Tag nach dem verpassten Aufstieg hatte den zweifelhaften Charme einer Katerstimmung. Wie nach einer Party, die von Beginn an Spaß gemacht hat, sich immer weiter steigerte, um genau dann zu implodieren, als man mit totaler Ekstase rechnete.
Spieler, Trainerteam, Fans, Klubverantwortliche, lange nach dem 2:2 von Bochum gaben sie das Bild eines Vereins ab, der ein großes Finale verloren hatte. Einen großen Moment verspielt hatte, der nie wieder kommen wird.
Doch genau dies ist der Anker, der den Berliner Fußball-Zweitligist davor bewahrt, das Jammertal komplett zu durchschreiten. Der Moment, es doch noch ins Oberhaus schaffen zu können, zehn Jahre nach dem Aufstieg aus der Dritten Liga – dieser Moment kommt wieder, in zwei Spielen gegen den VfB Stuttgart.
Union-Trainer Fischer: „Es muss schnell weitergehen“
Was in den vergangenen Jahren für Holstein Kiel, Eintracht Braunschweig oder auch den 1. FC Nürnberg galt, gilt nun auch für Union: Nach dem verpassten Direktaufstieg in die Bundesliga ist vor der Relegation.
Zwei weitere Spiele, am 23. Mai in Stuttgart und vier Tage später in der heimischen Alten Försterei (jeweils 20.30 Uhr, Eurosport-Player) die Unions Traum doch noch wahr werden und die verpasste Chance, die Paderborns Niederlage in Dresden (1:3) eröffnet hatte, vergessen lassen können.
Union muss sich so schnell wie möglich sammeln, um gegen die Schwaben noch einmal richtig Schwung holen zu können. „Es muss weitergehen und das so schnell wie möglich“, machte Union-Trainer Urs Fischer deutlich. Und er forderte von seiner Mannschaft: „Bis Donnerstag müssen wir wieder bereit sein.“
Union schottet sich ab
Um die Köpfe freizubekommen und die Dramatik der letzten Minuten in der regulären Saison zu vergessen, schottet sich Union in den Tagen bis zum Hinspiel am Donnerstag ab. Die Trainingseinheiten finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Medientermine wird es bis auf die obligatorische Pressekonferenz zum Spiel nicht geben.
Mittendrin: Trainer Urs Fischer, der seine Spieler ein letztes Mal zu einer Einheit, einer verschworenen Gemeinschaft zusammenschweißen muss. Wohl wissend, dass es kaum möglich sein wird, mit Blick auf taktische Belange, Spielzüge oder Abschlussschwächen noch entscheidende Akzente setzen zu können.
„In drei Tagen hast du keinen Spielraum mehr, um etwas zu korrigieren“, muss Fischer eingestehen: „Aber ich glaube auch nicht, dass du so viel korrigieren musst. Am Schluss musst du das runde Ding über die Linie bringen. Das ist nun mal das Schwierigste im Fußball. Es gab genügend Aktionen, in denen du effizienter sein musst.“ 27:7 Torschüsse zugunsten von Union sprechen eine deutliche Sprache.
Unions Moral als großer Trumpf
Es gilt, das Positive mitzunehmen aus dem Auftritt in Bochum. Was angesichts der ersten 60 Minuten, in denen Union es dem VfL „sehr einfach gemacht“ hat (Fischer), nicht die leichteste Aufgabe sein könnte. „Wir brauchen immer erst Gegentore, bis wir anfangen, Fußball zu spielen“, stellte Torwart Rafal Gikiewicz fest.
Der Pole, ehrgeizig und auf dem Platz immer impulsiv, ließ direkt nach dem Abpfiff in Bochum einen Teil seiner Enttäuschung an Mitspieler Grischa Prömel aus. Mit ernster Miene fragte er den Mittelfeldspieler immer und immer wieder, warum er den Ball nicht gleich geklärt habe und stattdessen die Szene zum 0:2 heraufbeschwor, die Union fast schon den K.o. versetzt hatte. Das Gefühl, jetzt noch Relegation zu spielen, sei „negativ“.
Fischers Aufgabe besteht nun darin, aus diesem Gefühl den Glauben an die zweite Chance zu kreieren. „Die Moral, die die Jungs bewiesen haben“ sei das, was man positiv mitnehmen müsse: „Wenn du 0:2 in einem solchen Spiel zurückliegst, dich noch einmal herankämpfst, dazu die letzte Aktion mit Abdullahi mit diesem Schuss – dass du zurückkommst in einem Spiel, dass irgendwo aussichtslos war...“ Fischers Aufbau-Arbeit hat nach der großen Leere vom Sonntag längst begonnen.
Leistner und die Füchse drücken Union die Daumen
An Unterstützung mangelt es den Unioner nicht. Schon auf der Zugrückfahrt von Bochum sangen sich die Fans mit „Schade Stuttgart, alles ist vorbei“ Mut an.
Von der britischen Insel drückt Ex-Unioner Toni Leistner, 2018 zum englischen Zweitligisten Queens Park Rangers gewechselt, die Daumen. „Dann über die Relegation! Gar kein Problem! Am Ende zählt so und so nur das erreichte Ziel – der Aufstieg“, schrieb er bei Twitter.
Sogar Berlins Handball-Profis vom EHF-Pokalfinalisten Füchse Berlin, Bjarki Elisson und Silvio Heinevetter, wünschen in einem Video auf Twitter Glück für die Relegation. Und ein Sonderzug für Union-Fans, die am Donnerstag nach Stuttgart fahren, um ihre Mannschaft zu unterstützen, ist auch bereits wieder organisiert. Von wegen Katerstimmung.
Hitzlsperger hat Respekt vor Union
In die Duelle gegen den Erstliga-16. geht Union ohne Zweifel als Außenseiter ins Rennen. „Stuttgart ist eher Favorit“, sagte Fischer: „Wir werden schauen, wie wir mit unserer Rolle zurechtkommen.“
In Stuttgart sind die Tickets bis auf das Gäste-Kontingent von rund 5000 Karten bereits ausverkauft. Am vergangenen Dienstag waren die gut 55.000 Tickets innerhalb von nur vier Stunden vergriffen. Stuttgarts Sportvorstand Thomas Hitzlsperger erwartet „zwei hart umkämpfte Spiele gegen einen Starken Gegner“.
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