Berlin. Union bleibt trotz des Sprungs an die Tabellenspitze in Liga zwei auf dem Boden. Die Köpenicker können sich nur selbst stoppen, wenn...

Philipp Hosiner zählt zu jenen Fußballprofis, die immer freundlich daherkommen. Doch als der Stürmer des 1. FC Union seinen Siegtreffer zum 1:0 gegen Nürnberg später beschreiben sollte, wirkte er zurückhaltend. „Totale Befreiung, totale Ekstase“, sagte der Österreicher, begleitet von einem zaghaften Lächeln. Nur das Glänzen in seinen Augen verriet, wie glücklich er gerade war.

Das sah beim entscheidenden Moment am Montagabend noch anders aus. Mit weit aufgerissenen Augen, laut den Frust der vergangenen Monate aus dem Körper schreiend, und mit einem Sprint vor den Fanblock feierte Hosiner sein Tor. Diese Bühne war für einen Moment die seine.

Ob auf der (Fußball-)Bühne oder hinter den Kulissen – Hosiner ist der beste Beleg dafür, warum Union in der Rückrunde bis an die Tabellenspitze der Zweiten Liga durchgestartet ist. Unions Pechvogel zeigte mit seiner Sternstunde, wie sich bei den Köpenickern gerade alles ineinanderfügt. Seine Reaktion nach dem Spiel unterstrich dann aber jene kontrollierte Euphorie, mit der die Mannschaft von Trainer Jens Keller Woche für Woche weiterarbeitet. Und mit der sie bislang so prächtig gefahren ist.

Einwechslungen ohne Qualitätsverlust

„Diese Einwechslung zeigt einmal mehr, was uns als Mannschaft auszeichnet“, sagte Hosiners Sturmpartner Sebastian Polter. Weil wieder ein Spieler von der Bank sich nahtlos ins Team eingefügt hat, wie vor Hosiner schon Emanuel Pogatetz, Michael Parensen oder nun gegen Nürnberg auch Fabian Schönheim – nahezu ohne Qualitätsverlust. Nicht selbstverständlich für einen Stürmer, der wegen einer Verletzung mitansehen musste, wie in der Hinrunde erst Collin Quaner (jetzt Huddersfield Town) an ihm vorbeizog, um zur Rückrunde Polter vor die Nase gesetzt zu bekommen.

„Hosiner hat eine schwere Zeit, seit er bei Union ist. Aber er arbeitet viel, legt auch immer wieder Zusatzschichten ein oder ist nach dem Training noch im Kraftraum, um topfit zu sein. Dass Polter so gut eingeschlagen hat, macht es für Hosiner schwer, in die Mannschaft zu kommen“, erklärte Keller. Der Österreicher war „froh, dass der Trainer etwas riskiert und mich gebracht hat. Wenn man selbst etwas zur Leistung der Mannschaft beitragen kann, ist das umso schöner. Und ich weiß, dass ich ein Stürmer bin, der nicht viele Chancen braucht.“

Unions Art, die Begeisterung im Stadion vollständig, außerhalb des Platzes aber nur am Rande mitzunehmen, ist vielleicht der wahre Schlüssel zum Erfolg. Denn die Partie gegen Nürnberg hat auch gezeigt, wie sehr es auf die Nerven im letzten Saisonviertel ankommen wird. Gegen die Franken wirkten die Köpenicker „gehemmter als sonst, wir haben zu abwartend gespielt“, sagte Trainer Keller.

Mit solch einem Erfolg hat selbst Keller nicht gerechnet

Die Angst vor der eigenen Courage angesichts der Chance auf den Spitzenplatz war spürbar. „Vielleicht unterbewusst“, gibt Kapitän Felix Kroos zu: „Doch die Stimmung auf dem Platz war extrem positiv, obwohl es nicht so lief. Wir haben gezeigt, dass wir jeden schlagen können.“ Das schürt natürlich die Hoffnungen im Umfeld. „Natürlich wächst die Euphorie, und wir wollen sie auch genießen“, sagte Kroos, „wir wissen aber, dass sie von unserer harten Arbeit kommt. Die Leute glücklich zu sehen, das ist der Lohn dafür.“ Ein großer Lohn, wie am Montagabend deutlich zu erkennen war.

Kellers Lösungen, nicht nur für ein verfahrenes Spiel wie gegen Nürnberg, sondern auch für die Bodenhaftung beim Höhenflug scheinen die richtigen zu sein. „Jeder macht und schreibt und es entwickelt sich eine riesige Euphorie, die wir ja sehr positiv sehen“, sagte der Trainer, „aber gegen Nürnberg hatte man schon ein bisschen das Gefühl, dass der eine oder andere gedacht hat: Oh, wir können Erster werden. Aber unter dem Strich haben wir gewonnen, das zählt.“

Doch selbst Keller hat mit solch einer überragenden Saison gleich in seinem ersten Union-Jahr nicht gerechnet: „Ich habe schon ein gesundes Selbstvertrauen, aber ich bin nicht größenwahnsinnig.“

Hosiner hat sich mit der Jokerrolle arrangiert

Wenn alles funktioniert, Einwechslungen, schöne Siege, dreckige Siege, Siege in Unterzahl – wer soll Union noch aufhalten? Abwehrchef Toni Leistner fand die richtigen Worte: „In erster Linie können wir uns nur selbst stoppen, wenn wir denken, es ist schon alles gelaufen, wir im Training nicht mehr alles geben und die Spiele nicht mehr konzentriert angehen.“

Hosiner ging die Viertelstunde nach seiner Einwechslung hochkonzentriert an. „Und wenn er dann immer so eine Reaktion zeigt, habe ich ihn gern auf der Bank“, frohlockte Keller.

Zumal Hosiner selbst sich mit der Jokerrolle offenbar arrangiert hat: „Wenn es so weitergeht, ich eingewechselt werde, treffe und wir aufsteigen, dann kann ich damit leben“, sagte er. Kontrolliert euphorisch.