Berlin. Durch die Patzer des VfB Stuttgart (0:1 in Fürth) und von Hannover 96 (0:0 bei St. Pauli) bietet sich dem 1. FC Union am Montag gegen den 1. FC Nürnberg (20.15 Uhr, Alte Försterei) die Chance auf die Tabellenführung in der Zweiten Liga. Die Morgenpost sprach vor dem Duell mit den Franken mit Unions früherem Sportdirektor Christian Beeck (45) über den Aufschwung der Köpenicker, die Chancen als Erstligist und die Rivalität zu Hertha BSC.
Herr Beeck, haben Sie schon eine Dauerkarte für die kommende Saison in der Alten Försterei geordert?
Christian Beeck: Nein, ich bin mehr der Freitagabend-Zuschauer. Ich werde mich also wahrscheinlich umstellen müssen von 18.30 auf 20.30 Uhr. Aber das schaffe ich, zwei- bis dreimal im Jahr.
Am besten jetzt schon anstellen, denn der Ansturm dürfte noch zunehmen, wenn die Bayern, Dortmund, Schalke oder Hertha kommen. Und Union klopft so stark an die Tür zur Bundesliga wie nie. Überrascht sie dies?
Als Helmut Schulte (Leiter der Lizenzspielerabteilung, d. Red.) Anfang 2016 kam, war mir schon klar: Da ist wieder jemand, der Fußball kann. Was vorher auf dieser Position stattgefunden hat, hatte nichts mit Fußball zu tun, sondern nur mit Bürokratie. Und das ist Blödsinn. Helmut weiß, welche Spieler man braucht, um guten Fußball abzuliefern gerade in so einem Malocher-Verein wie Union. Dann hat man noch Jens Keller verpflichtet, nachdem man die Experimente auf der Trainerposition beendet hat.
„Keller passt wie die Faust aufs Auge zu Union“
Wie groß ist Kellers Anteil am Höhenflug?
Einhundert Prozent. Keller ist ein sehr ruhiger, gelassener Zeitgenosse und ein harter Arbeiter. Er passt wie die Faust aufs Auge. Er ist ein Vollprofi, hat viele Jahre Bundesliga gespielt und Schalke als Trainer überstanden. Und er hat mit Henrik Pedersen einen Co-Trainer Pedersen mitgebracht, der einfach sensationell ist. Dann brauchte es noch eine gute Mannschaft. Aber wenn man gute Scouts hat und auch auf diese hört, entsteht eine Mannschaft, die die Qualität besitzt, jetzt hochzugehen. Der wichtigste Punkt dabei: Man konnte immer trainieren, es gab kaum Ausfälle, keine Disziplinlosigkeiten oder Platzverweise. Daran hat Keller den größten Anteil. Deshalb kam es jetzt gar nicht mehr überraschend, außer vielleicht, dass es so stabil läuft. Applaus dafür, auch dass das Präsidium die sportliche Leitung derart gut unterstützt hat.
Wobei festzuhalten bleibt, dass Ex-Trainer Norbert Düwel ja den Großteil des Kaders zusammengestellt hat. Wird sein Anteil am aktuellen Aufschwung zu wenig gewürdigt?
Das würde ich nicht sagen. Man kann ein Team zusammenstellen, aber das Führen ist ja viel wichtiger, eine Mannschaft dahin zu kriegen, dass sie die Qualität, die sie hat, auch auf den Platz bringt. Und wenn man das als Trainer nicht schafft, dann ist man falsch in dem Beruf. Der Fußball ist durch das viele Geld noch schnelllebiger geworden. Und wenn du dann nicht lieferst, bist du raus. Das wird bei Jens Keller nicht anders sein, wenn es mal zehn Spiele nicht läuft.
Die Vorfreude auf die Bundesliga ist jedenfalls da, wenn auch nicht bei allen. Viele würden Union lieber noch ein Jahr in der Zweiten Liga sehen…
Die sollen sich mal alle ein wenig entspannen und es genießen. Man hat es sich auch hart erarbeitet. Ich habe das im Jahr 2000 mit Cottbus erlebt, damals hatte auch keiner daran geglaubt. Aber man muss mitnehmen, was man kriegen kann. Veränderungen bedeuten immer Konflikte für Menschen, das ist ein ganz einfaches, psychologisches Muster. Und wenn man einen wirklich strapazierten Unioner vor sich hat, der will es lieber gelassen haben als sich mit irgendwelchen Abstiegsthemen zu beschäftigen, die nächste Saison natürlich auch auf der Tagesordnung stehen würden.
„Aufstieg ist das Schönste, was passieren kann“
Ein Aufstieg kann also nie zu früh kommen?
Um Gottes Willen, das ist das Schönste, was es einem Verein passieren kann. Da soll man feiern. Und eine gute Mannschaft zusammenbauen, dann hat man auch wieder eine Chance. Darmstadt hat es ja vorgemacht. Oder auch die Mainzer, die begannen, sich zu stabilisieren, obwohl sie auch wenig hatten. Man muss nur die richtigen Leute finden, das Gerüst der Truppe muss stimmen. Und man darf nicht durchdrehen, aber da hat der Verein viel gelernt in den vergangenen Jahren.
Worauf können sich die Spieler bei einem Aufstieg freuen?
Auf die Stadien, die Atmosphäre und die größere Wahrnehmung. In München gegen Bayern Fußball zu spielen, ist einfach ein Traum. Oder in Dortmund. Ich brauche nur an das Stadtderby gegen Hertha zu denken (2010/11 und 2012/13, d. Red.). Da ging es gar nicht um Geld, sondern einfach nur um das Erlebnis, diesen sportlichen Wettkampf zu bestreiten. Die Bundesliga ist das größte für einen Fußballer.
Wie erstligareif ist denn der aktuelle Kader? Es fallen einem Namen wie Sebastian Polter, Felix Kroos oder auch Toni Leistner ein…
Das sind alles solide Jungs. Die werden in der ersten Liga aber auch eine andere Gegenwehr bekommen und Spiele haben, in denen sie nicht mithalten können. Aber wenn man gegen die Bayern, Dortmund oder Leverkusen nicht mithalten kann, dann ist das auch nicht schlimm, weil die einfach den drei bis vierfachen Etat haben und damit auch eine andere Qualität.Doch man wird Tage erwischen, in denen man über Geschlossenheit, Fitness und geistige Gier so eine Mannschaft auch schlagen kann, weil die eben 60 Spiele im Jahr hat und nicht nur 35. Da muss man einen guten Plan entwickeln, dann kann man auch die Klasse halten. Dass man zwei, drei Spieler braucht, die mehr Qualität haben und dann auch mehr Geld kosten, ist normal. Aber wenn sie menschlich passen, macht man auch da nichts verkehrt.
„Das ist nur noch Kommerz“
Und wie erstligareif ist der Verein selbst?
Ich denke, die vielen GmbHs, die inzwischen gegründet wurden, halten die erste Liga auch aus. Das ist doch sauber und clever gelöst. Die anderen Vereine machen das doch genauso. Da gibt es mittlerweile Stiftungen, Aktiengesellschaften, GmbHs für jede Abteilung, ob Ticketing, Marketing oder Sport.
Also doch mehr Kommerz als Kult?
Das ist nur noch Kommerz, aber das ist auch in Ordnung. Das machen alle, es geht ja sonst auch gar nicht. Es ist nichts schlimmes, man soll nur dazu stehen. Aber es ist nochmal etwas anderes, wenn die traditionell geboren bist, wo es hart war und es diesen Kommerz nicht gab. Deshalb verstehe ich auch die Leute, sie sagen: Da kommt jetzt mit RB Leipzig ein Klub mit ein paar hundert Millionen und macht das gleiche wir wie. Doch machen wir uns nichts vor: Wenn der Flughafen Berlin-Brandenburg mal fertig und dann mit 50 Millionen Euro Hauptsponsor von Union wird, dann sagt auch keiner nein.
Und zufällig kann Union zu dem Zeitpunkt aufsteigen, da der neue, viel höher dotierte TV-Vertrag greift.
Union kann sich dadurch völlig entschulden und anders agieren auf dem Markt für Partner und Investoren. Was Präsident Dirk Zingler und seine Truppe in den vergangenen zehn Jahren hingelegt haben, ist eine Spitzenleistung. Doch was bei einem Aufstieg möglich wäre, hatte der Verein noch nie.
Union muss in der Alten Försterei bleiben
Muss Union für die großen Spiele nicht auch über einen Umzug ins Olympiastadion nachdenken? Mehr Zuschauer, mehr Einnahmen…
Die wirtschaftliche Komponente muss Union ausblenden und in der Alten Försterei bleiben, weil man dort zuhause ist. Sonst wird man ein Wanderzirkus. Die Exklusivität findet zuhause statt. Union erarbeitet sich dadurch ein großes Alleinstellungsmerkmal.
Inwiefern würde die Stadt von einem Union-Aufstieg profitieren?
Zwei Erstligisten in einer europäischen Metropole vergrößert wie Wahrnehmung. Für den Tourismus ist das perfekt, weil die Leute wissen, in Berlin gibt es zweimal Erstliga-Fußball zu sehen. Dafür ist natürlich auch wichtig, dass Bayern München die Champions-League gewinnt, damit auch die Spanier wissen, wo die Alte Försterei liegt (lacht). Berlin ist in jedem Fall wach geworden, was Union betrifft. Das hat immerhin 20 Jahre gebraucht.
Bei Hertha frohlockt man schon ob eines weiteren ausverkauften Heimspiels. Muss Hertha nicht vielleicht auch um die Position des Platzhirsches fürchten, auch beim Senat?
Hertha ist nicht mehr allein. Und Union hat in den vergangenen sieben, acht Jahren schon intensiv mit dem Senat zusammengearbeitet. Nur es hat lange gedauert, bis der Senat sich entschieden hat, etwas für Union zu tun. Das fing damals mit dem Stadion an. Es wurde tolle Lobbyarbeit geleistet. Ich verstehe aber auch den Senat, wenn er sagt: Beweist uns doch erst einmal, dass ihr dauerhaft Profifußball könnt. Dass hat Union jetzt getan. Die Akzeptanz beim Senat ist jetzt vorhanden. Und das Nachwuchsleistungszentrum unterstützen würde der Senat sicher nicht, wenn Union in der sechsten Liga spielen würde.
„Es ist ein harter Weg bis zu einem 100-Millionen-Etat“
Müssten Union und Hertha als Erstligisten nicht auch ihre Nischen ein wenig verlassen, um sich weiterzuentwickeln?
Das glaube ich nicht. Berlin hat 3,5 Millionen Einwohner, dazu noch 1,2 Millionen im Umland. Wenn man da seine Nischen hat, ist das gar nicht so schlimm. Denn ins Olympiastadion sollen nur 75.000 Zuschauer, in die Alte Försterei derzeit nur 22.000 – das müsste eigentlich reichen. Es wird eher darum gehen, die Erreichbarkeit für die Menschen in seinem Bezirk zu gewährleisten. Und da müssten die Stadien eigentlich immer voll sein. Doch die Menschen zum Fußball zu locken in einer Stadt mit einem so großen Sport- und Freizeitangebot, ist nicht leicht.
Glauben Sie, dass Union Hertha irgendwann den Rang ablaufen könnte?
Sie können es schaffen, ebenbürtig zu werden, wenn sie in den nächsten zehn Jahren so weitermachen wie bisher. Aber es ist ein harter Weg, bis man es schafft, aus einem 35-Millionen –Etat einen 100-Millionen Etat zu machen. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass Dirk Zingler dafür auch schon wieder gute Lösungen parat hat.