Der Applaus war lauter und länger als bei allen anderen. Die Mehrheit der Fans war sogar aufgestanden, um ihm Respekt zu zollen, ihm weiter Mut zu machen. Benjamin Köhler nahm die Ovationen voller Freude entgegen, als er im neuen Trikot des 1. FC Union den Rasen des Stadions an der Alten Försterei betrat. Mit schweren Schritten und seiner Baseballkappe auf dem Kopf, um die Spuren zu verdecken, die die fünf Chemotherapien hinterlassen haben. Köhler ist auf bestem Wege, den Lymphdrüsenkrebs, der bei ihm Anfang des Jahres diagnostiziert wurde, zu besiegen. Geholfen hat ihm dabei der Teamgeist in der Mannschaft und des gesamten Vereins, der ihn seit der Diagnose immer wieder den Rücken stärkt.
„Mit geht es jetzt sehr gut, der Körper baut sich langsam wieder auf. Darauf habe ich mich am meisten gefreut“, sagte Köhler. Untermalt wurden seine Worte durch die Stadionlautsprecher mit der Metallica-Ballade „Nothing else matters“ – nichts anderes zählt. „Unser Doc kam auch gleich auf mich zu und sagte mir, ich soll es langsam angehen lassen. Aber ich werde so früh wie möglich wieder auf dem Platz stehen. Da muss mich der Doc verstehen“, fuhr Köhler fort. Noch ein kleiner Urlaub, „dann werde ich wieder angreifen“, sagte der 34-Jährige.
Dieser Zusammenhalt wird einer der Schlüssel sein in der Saison 2015/16, will der Berliner Fußball-Zweitligist das erfüllen, was Trainer Norbert Düwel bereits in der vergangenen Winterpause als Fernziel verkündet hat: Er will mit Union an die Tür zur Bundesliga klopfen. Nach dem Umbruchjahr, das die Köpenicker als Siebter abschlossen, sollen im zweiten Jahr unter Düwel nun die Weichen für mehr gestellt werden.
Erweiterung des Stadion ist kein Tabu mehr
Die 26 Spieler – darunter auch die sechs Zugänge, drei Torhüter und die beiden Nachwuchskräfte Jonas Beyer und Nils Stettin –, die Union den rund 5000 Fans beim Trainingsauftakt am Sonntag präsentierte, bekamen jedenfalls zu spüren, was möglich ist, sollte die Mannschaft besser starten als vor einem Jahr. Auf der Aufwärmrunde im Stadion gab es sofort Applaus, als das Team an der Haupttribüne vorbeilief – als wollten die Anhänger ihr Team gleich von der ersten Sekunde an durch die Saison tragen.
„Wenn man sieht, was hier los ist, dann ist das schon etwas Besonderes“, staunte Benjamin Kessel, aus Braunschweig nach Berlin gewechselt. Ein paar Aufwärmübungen später folgte auch gleich die erste kleinere Einheit mit Passübungen, dann ein kurzes Acht-gegen-Drei, schließlich ein Spielchen über das Kleinfeld – alles in lockerer, aber konzentrierter Atmosphäre.
Was für die Mannschaft gilt, gilt auch für das Umfeld des Köpenicker Klubs. Denn Union ist dabei, sich mit Blick auf die Bundesliga entsprechend aufzustellen. Dazu gehört nicht nur die geplante Umstrukturierung innerhalb der Vereinsgremien, sondern auch das Stadion selbst. So ist eine Erweiterung der Kapazität (derzeit 21.717 Plätze) längst kein Tabuthema mehr. Klubchef Dirk Zingler: „Wir befassen uns im Rahmen einer Studie damit, was technisch und geometrisch möglich ist.“ Soll heißen: Eine Vergrößerung der Alten Försterei, ohne deren Charakter zu verändern. Das soll aber nicht bedeuten, „dass man nicht auch mit einem Stadion mit 22.000 Plätzen erfolgreich in der Bundesliga spielen“ könne, so Zingler.
Die Zuschauerzahl soll wieder steigen
Zum einen gilt es, die sportliche Entwicklung durch eine Verbesserung der Infrastruktur zu stützen. Zum anderen würde sich Union nicht wehren, wenn das vereinseigene Stadion mehr abwerfen würde. Dank erhöhter Vip-Einnahmen durch die neue Haupttribüne ist der Umsatz für den Klub durch den Spielbetrieb in den vergangenen Jahren von 15 auf 25 Millionen Euro gestiegen. Das Stadion selbst macht jedoch bislang keinen Gewinn. Die Stadionbetriebs AG verzeichnete 2013/14 einen Verlust in Höhe von 423.000 Euro, resultierend aus den Zinsaufwendungen für die Baukredite.
Bleibt die Frage, inwiefern eine Erhöhung der Kapazität überhaupt Sinn macht. Im Vergleich zur Spielzeit 2013/14 (19.809 Zuschauer im Schnitt) war der Besuch in der Saison 2014/15 leicht rückläufig (19.142). Doch der Bereich für die heimischen Fans mit seinen knapp 20.000 Plätzen war nahezu immer komplett gefüllt. Sollte Trainer Düwel seine Mannschaft tatsächlich an die Tür zur Bundesliga bringen, dürfte die Alte Försterei öfter ausverkauft sein als nur zweimal wie in der Vorsaison.
In der am 24. Juli beginnenden Spielzeit will die Mannschaft dafür die Weichen stellen. „Es gilt, das Vorjahresergebnis zu verbessern“, sagte Düwel: „Und das heißt: erster bis sechster Platz.“ Der Applaus war nicht zu überhören.