Fußball lebt von Emotionen. Von Jubel und Enttäuschung, dem Hochgefühl des Sieges und der Leere nach einer Niederlage. Vor diesem Hintergrund wird das, was die Anhänger des 1. FC Union am Sonntag durchmachten, in langer Erinnerung bleiben. Wegen einer Reise in die Vergangenheit. Und wegen 90 verrückter Minuten, welche die am Ende gut 5000 Anhänger im Zweitliga-Duell gegen RB Leipzig erlebten. Auch wenn der Ausgang des Spiels mit (2:3) sicherlich anders geplant war.
Emotionen – da wollte auch Trainer Norbert Düwel kein Blatt vor den Mund nehmen. Seine Enttäuschung über die Niederlage zeigte er offen, in Mimik und mit Worten: „In den ersten 20 Minuten waren wir desolat, das war ein totaler Tiefschlaf“, sagte der Trainer. Und damit es auch alle richtig verstanden, wiederholte er sein Fazit: „Desolat. Erst nach 20 Minuten haben wir begriffen, was es heißt, ein Derby zu spielen.“ Nicht irgendein Derby, sondern eines, das die Emotionen vor dem Spiel und auch während der 90 Minuten immer am Kochen gehalten hat. Wie es eben ist, wenn es gegen den aus Unioner Fan-Sicht verhassten Klub des österreichischen Brausemilliardärs Dietrich Mateschitz geht.
Skrzybski und Polter treffen
Welch ein Kontrast zu jenen 60 Minuten, die die Köpenicker Anhänger bereits am Vormittag erfuhren. Der Ort: Leipzig-Leutzsch, Alfred-Kunze-Sportpark. Das Spiel der Traditionsmannschaften zwischen Chemie Leipzig und Union hatte 4.285 Zuschauer, darunter rund 2000 Unioner, in die Spielstätte gelockt, die an allen Ecken und Ende bröckelt und mit ihrem maroden Charme an die Alte Försterei vergangener Tage erinnert. Noch einmal jene Helden wie Günter „Jimmy“ Hoge, Ronny Nikol oder Oskar Kosche, jetzt Unions Geschäftsführer, in Aktion sehen. Um sich – quasi als Protestzug – dann unter dem Motto „Erst Tradition, dann Brause“ auf den Weg in die Red Bull Arena zu machen. Wohl dem, der sich gleich zur Partie der Profis eingefunden hatte, anstatt der Fußball-Folklore zu frönen. Denn während der Kick in Leutzsch torlos endete, ging es gut vier Kilometer entfernt von Beginn an drunter und drüber. „Das war sicherlich ein außergewöhnliches Spiel in den ersten Minuten“, sagte Nico Schäfer, Unions kaufmännisch-organisatorischer Leiter, „leider mit zu viel Außergewöhnlichem auf unserer Seite“. Oder anders formuliert: Wer sich tatsächlich erst zur zweiten Halbzeit in der WM-Arena von 2006 eingefunden hatte, verpasste alle fünf Tore.
13 „spektakuläre“ Minuten
Vogelwild ist wohl die Bezeichnung, die für die ersten 13 Minuten zutreffend ist. „Spektakulär“, nannte Unions Rechtsverteidiger Christopher Trimmel die Anfangsphase, „die Organisation war auf beiden Seiten nicht gut“. Bereits nach 79 Sekunden kam es zur ersten kniffligen Szene – und einer Fehlentscheidung von Schiedsrichter Peter Gagelmann (Bremen). Leipzigs Omer Damari stieß im Union-Strafraum in der Laufbewegung mit dem Knie gegen das Bein von Michael Parensen und wurde dafür mit einem Elfmeter belohnt. Ein Geschenk, das sich Dominik Kaiser nicht entgehen ließ, 0:1 (2.).
Der Torreigen war eröffnet. Damari setzte sich rechts gegen Toni Leistner durch, dessen Flanke spitzelte Joshua Kimmich vor Fabian Schönheim an den Innenpfosten und ins Netz, 0:2 (7.). Exakt 60 Sekunden später legte Unions Steven Skrzybski den Ball an Georg Teigl vorbei und schloss eiskalt ab, nur noch 1:2 (8.). Teigl wiederum machte seinen Fehler mit dem 1:3 wieder gut (13.). Das selbstauferlegte Schweigen, mit dem der Union-Block eine Halbzeit lang gegen RB Leipzig protestieren wollte, war schon jetzt kaum noch aufrechtzuerhalten. Mit dem erneuten Anschlusstreffer von Sebastian Polter nach feinem Doppelpass mit Christopher Quiring (29.) war die Stille schließlich dahin.
Zu diesem Zeitpunkt war die Partie für Sören Brandy schon längst beendet. Der Angreifer, von Düwel im 4-2-3-1-System auf der rechten Außenbahn aufgeboten, war vor dem 1:3 nach einem Zweikampf am Boden liegen geblieben und musste für Quiring, der sein 100. Zweitligaspiel für Union bestritt, ausgewechselt werden. Die Diagnose: eine ausgerenkte Schulter. Trainer Düwel stellte seine Mannschaft um, ließ Kapitän Damir Kreilach nun offensiver agieren. Ohne Erfolg.
Brandy renkt sich die Schulter aus
Nach dem Seitenwechsel wurde es laut im mit 24.780 Zuschauern gefüllten Rund, nachdem sich auch die letzten Union-Fans aus Leutzsch eingefunden hatten und ihr Team nun nach Kräften anfeuerten. Vergeblich, denn trotz allen Bemühens gelang es den Berlinern nicht, auch nur noch einmal gefährlich vor das Leipziger Tor zu kommen.
Dabei hätte Union doch längst verinnerlicht haben müssen, dass auch die hochgehandelten Leipziger alles andere als sattelfest in der Defensive waren. Was blieb, war Enttäuschung.
Dies allerdings war eine Emotion, auf die man bei den Unionern an diesem kuriosen Sonntag sicherlich sehr gern verzichtet hätte.