Der Präsident der Köpenicker baut den Verein weiter um. Nach der Verpflichtung des neuen Trainers Düwel soll die Arena erneut erweitert und die Profiabteilung aus dem Klub ausgegliedert werden.
Dirk Zingler tritt gut gelaunt in das kleine kroatische Restaurant in Kreuzberg. Dabei hätte der Union-Präsident viele Gründe, nachdenklich zu sein. Die Saison lief nicht wie geplant und zum Ende wurde Rekordtrainer Uwe Neuhaus entlassen. Doch mit dem neuen Coach Norbert Düwel spürt der Präsident rund um den Klub eine neue Aufbruchstimmung.
Berliner Morgenpost: Herr Zingler, sind Sie mit Blick auf die vergangenen zwölf Monate enttäuscht?
Dirk Zingler: Wenn man die gesamte Saison sachlich analysiert, haben wir wahrscheinlich genau den Platz erreicht, der unserer Qualität zur Zeit entspricht. Deshalb bin ich nicht enttäuscht. Als kurzzeitig die Möglichkeit bestand, ein bisschen mehr daraus zu machen – ja. Aber jetzt nicht mehr.
Nicht mal über die Tatsache, dass man sich von Rekordtrainer Uwe Neuhaus getrennt hat?
Das war eine sehr emotionale Phase. Die ist aber in Optimismus umgeschwungen, dass wir mit Norbert Düwel genau das zu erreichen glauben, was wir vorhaben. Nämlich einen kleinen Neustart.
Sie sagten zu Saisonbeginn im Morgenpost-Interview: „So lange es keine Veränderung in seiner Arbeit und Verhaltensweise gegenüber dem Klub gibt, haben wir keinen Grund, uns von Uwe Neuhaus zu trennen.“ Wenn die Trennung also nicht aus sportlichen Gründen geschah – was ist vorgefallen?
Ich stehe nach wie vor zu dieser Aussage. Aber ich wäre ein schlechter Präsident, wenn ich interne Probleme, die wir erkannt haben, öffentlich machen würde. Das würde dem Verein nicht dienen, und ich muss zum Wohle des Vereins handeln.
Demnach ist mehr vorgefallen als nur eine verpatzte Rückrunde...
Da können Sie die Antwort von der Frage vorher gern noch mal hinschreiben.
Mit Norbert Düwel soll und wird sich sportlich nun einiges ändern bei Union. Ist denn schon Aufbruchstimmung an der Alten Försterei zu spüren?
Ich stelle in den vergangenen Tagen bei unseren Mitarbeitern schon eine Aufbruchstimmung fest. Die Menschen freuen sich auf etwas Neues. Wir Unioner sehen bei allen Risiken, die ein Personalwechsel an exponierter Stelle im Verein beinhaltet, auch viele Chancen.
Man hörte oft von Mehltau, der in den vergangenen Monaten auf dem Verein lag ...
Von mir werden Sie nicht Negatives hören, was die vergangenen sieben Jahre mit Uwe Neuhaus betrifft. Selbst wenn es negative Dinge gegeben hat, möchte ich den Fokus legen auf diese erfolgreiche Zeit. Alles, was Union heute ist, hat der Verein auch Uwe Neuhaus in erheblichem Maße zu verdanken. Deshalb werde ich mich nicht mit Kleinigkeiten abgeben.
Wie stehen Sie zu der Meinung, dass sich Union mit der Personalie Norbert Düwel zunächst von gehobenen Zweitliga-Ambitionen verabschiedet hat? Oder wie es auch oft heißt: großer Name, große Ambitionen – kleiner Name, kleine Ambitionen...
Das sind die einfachen Thesen einfacher Medien. Es benötigt eine kontinuierliche Arbeit, um auch tatsächlich Erfolg im Sinne von Aufstieg zu haben. Wir wissen, dass man solche Dinge nicht erzwingen kann. Vielleicht brauchen wir auch deshalb diesen Mentalitätswechsel. Und da ist Norbert Düwel genau der Richtige. Er ist ehrgeizig, der Verein ist es auch. Nur wir wollen das langsam entwickeln. Ich habe auch gesagt, dass es auf dem Weg dorthin auch mal wieder einen Schritt zurück gehen kann. Vielleicht machen wir gerade diesen Schritt zurück, weil wir festgestellt haben: Noch ein Jahr weiter wie bisher wäre ein verlorenes Jahr. Deswegen bleibt die Zielrichtung die gleiche, nur wir nehmen einen neuen Anlauf.
Wie überzeugen Sie neue Spieler, zu Union zu kommen? Allein der Name Norbert Düwel wird nicht reichen, oder?
Union hat einen ausgezeichneten Ruf. Dazu gehört: Wir sind sehr kontinuierlich und diszipliniert innerhalb der Vereinsführung, haben eine klare Aufgabentrennung, eine tolle Fanszene, sind hochmodern eingestellt mit den technischen Möglichkeiten, die wir im Verein geschaffen haben und haben eine gute Nachwuchsarbeit. Das sind sicher die prägnantesten Merkmale. Wir müssen eigentlich nur Überzeugungsarbeit leisten, weil wir nicht bereit sind, alle Gehälter zu zahlen. Manchmal müssen wir ein paar weiche Faktoren in die Waagschale werfen, was uns immer besser gelingt. Und Norbert Düwel ist übrigens in der Fußballszene als hervorragender Fachmann bekannt. Nach der Bekanntgabe der Verpflichtung habe ich viele SMS bekommen, die uns zu dieser Wahl beglückwünscht haben.
Für welchen Fußball steht Union denn künftig?
Ich glaube nicht, dass wir uns da so groß ändern werden. Wir wollen leidenschaftlichen, aggressiven Fußball spielen. Wir wollen schneller werden, diese Entwicklung ist an uns in den vergangenen Jahren vorbei gegangen. Das ist kein Vorwurf an den alten Trainerstab. Wir haben bewusst viele Spieler mitgenommen aus der Oberliga über die Regionalliga in die Zweite Liga. Die werden ja im Alter nicht schneller, das ist doch ganz klar. Deshalb ist das, was wir heute vollziehen, nur ein logischer Schritt. Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt.
Wer gibt die neue sportliche Leitlinie vor: der neue Trainer oder Sie als Präsident, der den Trainer eingestellt hat?
Letzten Endes gibt der Trainer die Grundphilosophie vor. Das ist aber auch ein langjähriger Prozess, denn man braucht immer bestimmte Typen für eine bestimmte Art von Fußball. Die Ideen der Vereinsführung und die der sportlichen Leitung müssen natürlich zusammenpassen. Sonst kann man nicht leidenschaftlich arbeiten und hat keinen Erfolg.
Leidenschaft ist die eine Seite, Professionalität die andere. Sehen Sie Union für die Herausforderungen, die der Profifußball in den nächsten Jahren mit sich bringt, gut aufgestellt?
Absolut, ich denke sogar, dass wir in bestimmten Bereichen anderen Klubs voraus sind. In Trainings- und Analysebedingungen und bei den technischen Voraussetzungen zum Beispiel. Unser Athletiktrainer Daniel Wolf kann 24 Stunden am Tag auf die aktuellen Leistungsdaten der Spieler zugreifen. Selbst wenn die gerade im Urlaub sind.
Gehört nicht auch ein hauptamtlicher Präsident zur Professionalisierung dazu? Sie sind ehrenamtlich für Union tätig mit einer Fülle von Aufgaben, zudem leiten sie eine eigene Firma...
Das ist ja nur eine Papiergeschichte. Bei uns heißt es Präsidium, darunter gibt es die Geschäftsführung. In anderen Vereinen, die Kapitalgesellschaften haben, gibt es einen ehrenamtlichen Präsidenten, nur dass der operative Vorstand da ein eigenes Unternehmensorgan ist. Am Ende richtet sich so eine Struktur aber auch immer nach den Menschen. Wir haben Strukturen, die genau zu den Menschen passen, die hier arbeiten. Wenn irgendwann mal ein Präsidium für Union tätig ist, das eher eine repräsentative Rolle einnehmen möchte, dann kann es sein, dass noch einmal eine Ebene dazwischen geschoben werden muss. Aber das ist ja dann sehr leicht gemacht.
Ausgegliederte Profiabteilungen, Werksklubs, jetzt kommt mit RB Leipzig das nächste kapitalträchtige Modell in den Profifußball – wie will Union da mithalten? Hat es da nicht auch Sinn, selbst die Profiabteilung auszugliedern?
Das ist ein Punkt, über den sich die Vereinsführung und ich persönlich sehr viele Gedanken machen. Wir erleben derzeit eine rasante Veränderung. Es kommt immer mehr Kapital in den Fußball, was ja erst einmal nicht schlecht ist. Aber natürlich sind Investoren nur daran interessiert, in Kapitalgesellschaften zu investieren, in denen sie eine Beteiligung erhalten und an den Gewinnen beteiligt sind. Diese Diskussion werden wir zum gegebenen Zeitpunkt auch mit unseren Mitgliedern vollkommen ergebnisoffen führen, gar keine Frage. Ich glaube, dass dieses verteufelte Bild einer ausgelagerten Kapitalgesellschaft mit dem Verlust der Mitbestimmung nicht mehr existiert. Wenn wir einen Vorschlag an die Mitgliederversammlung machen, dann wird der zwar eine andere Struktur beinhalten, aber nicht den Verlust der Mitbestimmung. Partizipation der Mitglieder, der Aktionäre, der Fans ist für uns immer noch das allerhöchste Gut. Investoren kommen und gehen. Vor allem gehen sie schnell, wenn es nicht mehr funktioniert. Da ist man dann zum Erfolg verdammt. Ich halte diesen Weg für sehr gefährlich. Für mich ist es immer noch das sicherste, in der Breite aufgestellt zu sein.
Apropos RB Leipzig: Nervt es Sie, dass sie nun doch gegen den Klub spielen müssen? Das Freundschaftsspiel haben Sie ja seinerzeit noch abgesagt...
Nein. Ich finde diese Diskussion ohnehin verlogen. RB Leipzig ist das Produkt der Gesellschaft, in der wir leben. Kapital setzt sich am Ende durch, und Kapital sucht sich Produkte. Und jetzt sind wir alle total empfindlich, weil es sich auch ein Produkt im Fußball gesucht hat. Ich muss das nicht mögen, aber es ist die Realität.
Zumindest begeistert RB in Leipzig Menschen für den Fußball, genauso wie Union das tut. Dennoch bleibt eine große Enttäuschung – Stockholm. Ist der Nimbus des Klubs mit den „anderen“ Fans durch diese Ausschreitungen im Testspiel im Januar zerstört?
Stockholm ordne ich vollkommen realistisch ein. Das war ein Einzelvorgang, der nicht der unrühmliche Abschluss einer Aneinanderreihung von irgendwelchen Ereignissen war. Dort haben sich Fans dumm und aus dem Affekt heraus verhalten. Das toleriere ich nicht. Wir werden sie hart bestrafen, aber nicht ausstoßen oder deren soziale Bindungen zum Verein kappen. Es sind nicht nur schlechte Jungs. Deshalb werden wir uns auch nach der Bestrafung um sie kümmern und ihnen die Möglichkeit geben, durch Sozialarbeit im Verein oder in Berlin ihre Strafen zu reduzieren. Wer viel leistet zur Wiedergutmachung, bekommt auch wieder eher Zutritt zum Stadion.
Haben Sie sich nach Stockholm unangenehme Fragen von den Verbänden gefallen lassen müssen?
Nein. Natürlich waren alle erschrocken. Aber vielleicht war Stockholm für uns auch ein Wachrüttler, in Zukunft noch aufmerksamer zu sein. Ich glaube, in ein oder zwei Jahren werden wir durch Stockholm ein positives Fazit ziehen können. Denn es hat ein Diskussionsprozess eingesetzt, ob man als Fan jeden Mist mitmachen muss, der passiert. Aber der wird ganz bewusst nicht öffentlich geführt.
Warum nicht?
Weil die Öffentlichkeit dafür gar nicht reif, sondern oberflächlich und undifferenziert ist. Weil sich viel zu wenig mit der Materie befasst wird. Wir könnten als Märtyrer damit beginnen, solche Diskussionen öffentlich zu führen. Das würde uns, dem Verein, aber eher schaden.
Sie wollen investieren. Das Fanhaus in Stadionnähe soll kommen. Auch ein neues Nachwuchsleistungszentrum soll innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre gebaut werden. Wie prall gefüllt ist denn Unions Festgeldkonto inzwischen, nachdem es jahrelang nur darum ging, Schulden abzubauen?
Wenn ich an die Entwicklung von Union denke, habe ich gar keine Sorgen, weiter zu investieren, wenn wir damit Werte schaffen. Wir haben vor zehn Jahren drei Millionen Euro Umsatz gemacht, heute machen wir als Gruppe, also Verein und Stadion AG 35 Millionen Euro Umsatz. Ich bin der Auffassung, dass wir diese Entwicklung noch fortsetzen können und müssen. Wenn wir uns am Standort Alte Försterei weiterentwickeln wollen, müssen wir Immobilien um den Standort herum ankaufen und diese weiterentwickeln. Und wir müssen über einen weiteren Ausbau des Stadions nachdenken.
Gedanken an ein größeres Stadion schon ein Jahr nach der Kompletteröffnung? Haben Sie damit gerechnet?
Absolut nicht. Natürlich sind wir alle erfreut über die rasante Entwicklung und vielleicht auch sogar ein bisschen überrascht. Ich persönlich befasse mich gedanklich sehr viel damit, wo Union im Jahr 2025 steht. Wie haben wir uns dann positioniert? Wie ist unsere Infrastruktur? Welche Möglichkeiten haben wir überhaupt? Da lasse ich gerade ein paar Studien anfertigen. Denn wenn wir keine Visionen haben, dann wird es schwierig. Ich glaube, dass der Fußball eine höhere gesellschaftliche Bedeutung erlangt hat und diese weiter steigen wird. Und ich glaube, dass der 1. FC Union Berlin eine tolle Marke ist in einer tollen Stadt. Und es wäre fahrlässig, wenn wir uns nicht Gedanken über die nächsten Entwicklungsschritte machen würden. Wenn wir versuchen, der Aktualität gedanklich immer ein bisschen voraus zu sein, dann wird sich der Verein auch weiterentwickeln können. Wenn man mal ein, zwei Jahre verpennt, kann man auch mal schnell fünf Jahre zurückfallen.