Interview

Friesinger-Postma: „Olympia ist immer noch magisch“

| Lesedauer: 10 Minuten
Raik Hannemann
Anni Friesinger Postma betreibt in Salzburg ein Geschäft für Kinderbekleidung

Anni Friesinger Postma betreibt in Salzburg ein Geschäft für Kinderbekleidung

Foto: imago sport / imago/Camera 4

Olympiasiegerin Anni Friesinger-Postma über die Winterspiele in Pyeongchang, ihr neues Leben als Unternehmerin und Claudia Pechstein.

Berlin.  Anni Friesinger-Postma gewann zwischen 1998 und 2010 fünf olympische Medaillen im Eisschnelllauf, drei davon in Gold. Besonders in Erinnerung geblieben ist der letzte Triumph 2010 mit dem deutschen Team, als sie im Halbfinale nach einem Sturz bäuchlings, aber enorm schnell über die Ziellinie rutschte. Anschließend beendete sie ihre Karriere. Sie ist seit 2009 mit dem Niederländer Ids Postma verheiratet, das Paar hat zwei Töchter. Ein Gespräch mit der 41-Jährigen über ihre Familie, ihre neue Passion Mode, den Dopingschatten über Olympischen Spielen und ihre einstige Gegnerin Claudia Pechstein.

Frau Friesinger, was ist anstrengender: Zweifache Mutter und Unternehmerin zu sein oder früher das Leben als Leistungssportlerin?

Anni Friesinger-Postma: Ich durfte damals mein Hobby Eisschnelllauf zum Beruf machen und war lange Jahre sehr erfolgreich dabei – das war ein Geschenk, für das ich bis heute dankbar bin. Aber die Prioritäten verschieben sich danach schnell. Meine beiden wunderbaren Töchter Josephine und Elisabeth – erstere kam gerade in die Schule, die andere geht noch in die Kita – haben viel Energie, die muss man erst mal unter Kontrolle halten. Nebenher bin ich im dritten Jahr Startup-Unternehmerin in Sachen Mode in Salzburg und den Niederlanden, mit Concept-Stores und Internetauftritten. Wir stecken da gerade mitten im Kollektionswechsel. Diese Phase ist schon verrückt anstrengend und vom Aufwand her durchaus mit der Sportzeit vergleichbar. Für Sportlergalas habe ich zwar immer Einladungen, aber nie Zeit.

Und Ihr Mann, der frühere Eisschnellläufer Ids Postma, wohnt 1000 Kilometer weg und betreibt einen Bauernhof in Holland. Da sind Sie quasi ja alleinerziehend.

In Teilzeit zumindest, denn wir sehen uns schon sehr oft. Ich habe anfangs auch mal bei Ids in Holland gelebt, aber dann kam das Heimweh. Wir haben dann überlegt, dass er mit seinem Bauerhof in die Berge zieht, die wir beide so lieben, aber Flächen der nötigen Größe wären nur in Oberösterreich oder Niederbayern zu kriegen gewesen. Also beließen wir es weiter bei der Distanz, aber das ist jetzt ja schon 20 Jahre so und funktioniert auch prima, das hält die Liebe immer irgendwie frisch.

Was für Mode vertreiben Sie?

Bei „Small Heros“, wie mein Laden heißt, gibt es Fashion für Neugeborene und Kinder bis zwölf Jahre im mittleren bis gehobenen Preissegment. Ich setze da auf nachhaltige Newcomer-Labels, die überwiegend in Europa produzieren. Ich war durch den Sport früher ja oft in Skandinavien, ich mag diese klaren Linien beim Design, deswegen habe ich heute so viele schwedische, finnische und dänische Firmen im Sortiment, dazu coole spanische und auch holländische. Es ist durchaus auch spannend, Arbeitgeber für acht Mitarbeiter zu sein.

„Man kann sogar den Fußball verdrängen“

Klingt so, als wäre Olympia ganz weit weg und gar nicht mehr so wichtig bei Ihnen?

Doch, das sind sie noch, die Spiele sind immer noch das magische Ereignis, das alle Leute zusammenwachsen lässt für zweieinhalb Wochen – auch solche, die sonst nicht die größten Sportfans sind, leiden hierbei plötzlich mit. In der Zeit kann man sogar mal den Fußball etwas verdrängen, weil da für jeden was dabei ist an Disziplinen.

Aber mit nach Südkorea sind Sie deswegen nicht gereist.

Nein, ich arbeite während der Spiele aber für Eurosport als Eisschnelllauf-Expertin im Münchener Studio. Natürlich hätte ich gern auch erlebt und getestet, wie sich Olympia seit acht Jahren verändert hat, aber mit der Familie ist die Sache so besser hinzukriegen.

Würde es Sie reizen, noch mal mitzulaufen? Ihre einstige Rivalin Claudia Pechstein ist ja mit 45 immer noch dabei.

Es hat sich nicht überall etwas entwickelt, manche Bahnrekorde von mir gelten heute noch. Und es gibt inzwischen ja auch neue Wettbewerbe wie den Massenstart, den ich spannend finde und der mir sicher liegen würde mit meiner Sprintstärke am Ende. Für mein Knie wäre es auch besser, weil man da nicht immer ganz so tief laufen muss. Aber ehrlich gesagt, reicht es mir voll und ganz, wenn ich als Eurosport-Reporterin nun wieder etwas näher an die Materie heranrücke. Ich habe meine aktive Zeit gehabt, sie war wunderschön, ich habe dabei meinen Mann kennengelernt, und ich kann wegen der Erfolge noch heute davon leben. Aber zurück auf die Eisbahn kehre ich deswegen nicht, das würde meine Arthrose im Knie auch nicht zulassen. Etwas mehr trainieren als zuletzt will ich aber trotzdem.

Mit dem deutschen Eisschnelllauf ging es seit ihrem Karriereende steil bergab!

Ja, es fehlt ein neues cooles Gesicht, mit dem man mitleiden und sich freuen kann. Das ist schade. Aber in Deutschland wird mir zu schnell verdrängt, dass man im Sport ja nicht immer gewinnen kann und dass vierte und fünfte Plätze dazu gehören, auch wenn es mitunter bitter ist. Es kann nicht immer so ein schrecklich-schönes Happy End geben wie bei mir, als ich in Vancouver mit kaputtem Knie ins Ziel stürzte und noch mal Gold gewann.

„Pechsteins einziges Malheur war ihre Sperre“

Größte deutsche Medaillenhoffnung in Pyeongchang ist mit Pechstein eine, die länger dabei ist als Sie. Imponiert Ihnen das?

Wir haben wie früher schon keinen Kontakt, jede geht ihren Weg. Aber sie läuft und läuft und läuft. Wenn Claudia ein Ziel vor Augen hat, lässt sie nicht los, so kennen wir sie ja. Solange andere nicht besser sind, soll sie halt auch gewinnen. Sie hat das Glück, dass sie trotz der langen Jahre im Leistungssport keine Verletzungen beeinträchtigen wie mich oder Felix Neureuther. Ihr einziges Malheur war ihre Sperre.

Die womöglich ungerechtfertigt war, ihr zumindest aber so viel sportliche Motivation gegeben hat, dass sie bisher nie ans Kinderkriegen dachte.

Für Frauen ist es heute doch nicht nur im Sport immer einfach, die Karrierechancen für den Kinderwunsch zurückzustellen. Und im Sport weißt du halt nie, ob du als Mutter noch mal zurückkommst. Ich stelle mir das unglaublich schwer vor, also ich könnte es nicht. Seitdem ich Mutter bin, habe ich nicht mehr die nötige Härte für den Leistungssport.

Und können Sie nachvollziehen, wenn jemand Olympia über Kinder stellt?

Das muss doch jede für sich entscheiden, man sollte es hinterher nur möglichst nicht bereuen. Auch aus unserer damaligen Mannschaft haben heute längst nicht alle Kinder. Franziska Schenk dagegen hat auch nach dem Sport groß Karriere gemacht – und das als dreifache Mutter. Bei mir war es so: Ich hatte alles erreicht im Sport, was ich wollte und musste auch noch eine zweite Karriere starten, die nix mit Eisschnelllauf zu tun hat und in der ich wieder Lehrgeld zahlen muss. Ich bereue es nicht, obwohl der Konkurrenzkampf in der Modebranche mörderisch ist. Aber ich habe viel gelernt über Stoffe, Verarbeitung oder die Kunst, die richtigen Mitarbeiter zu finden.

Dürften Ihre Töchter auch Leistungssportler werden? Womöglich sogar im Eisschnelllauf?

Sicher, ich habe sie aber erst einmal zum Tanzen geschickt. Dann fuhren sie Inlineskates aus meinem Store und haben zu Weihnachten nun ihre ersten richtigen Eisschnelllauf-Schlittschuhe bekommen. Und sie laufen echt gut, vor allem die Kleine ist mit ihren dreieinhalb Jahren eine echte Rakete. Aber das kann bei den Genen ja keinen verwundern. Wir sind seither jede Woche auf der Eisbahn, aber manchmal wird der Rummel zu groß, wenn ich erkannt werde.

„Pechstein wurde rechtskräftig verurteilt“

Wie dunkel ist für Sie der Dopingschatten, der vor allem wegen der Verbannung Russlands auch über diesen Spielen hängt?

Ich bin kein Verfechter des Generalverdachts, deswegen finde ich die Einzelfallprüfung für mögliche Teilnehmer aus Russland richtig. Sicher ist es schwer, da eine Grenze zu finden, aber es gibt eben auch genug Athleten, die nicht dopen. Ich würde mir auf jeden Fall auch mehr Geldstrafen für die Betrüger wünschen, nicht nur für die Sportler, sondern vor allem für die Leute im Hintergrund – denn nur das tut ihnen weh. Und ich begrüße, dass der Kampf gegen Doping jetzt auch bei uns in Deutschland inzwischen per Gesetz unterstützt wird.

Es sollte keiner zu Unrecht ausgeschlossen werden, wie womöglich Pechstein.

Claudia ist rechtskräftig verurteilt worden. Sie hat danach auf verschiedenen Wegen und unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel versucht, ihr Recht zu bekommen, und es wurde immer abgelehnt, und zwar begründet. Aber sie ist nach ihrer Sperre stark zurückgekehrt, und dabei würde ich es gern belassen. Das alles wieder aufzukochen, bringt nichts, schon gar nicht dem deutschen Eisschnelllauf. Manchmal verdrängt das auch anderes aus dem Fokus, zum Beispiel, dass wir mit Nico Ihle auch wieder einen Mann mit Medaillenchancen haben.