Sie ist wieder da! Die Hochzeit der Gänsehaut. Wer jetzt befürchtet, dass ich mich in den folgenden Zeilen über steigende Gaspreise und horrende Heizkosten auslasse, der sei beruhigt. Ich habe im Dezember nämlich immer Gänsehaut – ganz egal, ob das Thermometer 16 oder 22 Grad Zimmertemperatur anzeigt. Der Grund für die permanente Aufrichtung der klitzekleinen Arm- und Beinhärchen ist ein anderer. Es sind meine heiß geliebten Jahresrückblicke.
Dabei reicht mir aber die sportliche Version, die großen Momente des Sportjahres 2022. Die Ereignisse in der Welt jagen einem ja eher einen kalten Schauer über den Rücken. Und so sind es Olympische Winterspiele, Welt- und Europameisterschaften, überraschende Triumphe und Freudentränen, die ich mir in Dauerschleife angucken könnte. Weil es so schön emotional ist – und zeigt, dass dieses verkorkste Jahr voller Krisen und Kriege auch seine guten Seiten hatte.
Die Leistungen von Hertha BSC gehören in keinen Jahresrückblick
Es ist schließlich nicht immer alles schlecht. Das gilt in der großen, weiten Welt. Und in Westend. Auch wenn Hertha BSC diesen Dezember in wirklich jedem Jahresrückblick fehlen darf. 2022 war aus blau-weißer Sicht mal wieder Murks. Knapp dem Abstieg entgangen, eine Vereinsführung, die einem Trümmerhaufen glich, und sportlicher Erfolg? Vielleicht nächstes Jahr.
Das klingt jetzt so, als hätte der Hauptstadtklub in diesem Jahr nur Verlierer hervorgebracht. Und in der Tat gibt es davon auch einige. Wir erinnern uns nur kurz an Werner Gegenbauer, der so lange an seinem Präsidentenamt festgehalten hatte, bis er nicht mehr zu halten war. An Frank Steffel, der unbedingt an die Macht wollte und dann über Hinterzimmerabsprachen und alte Seilschaften stolperte.
Korkut, Windhorst und Lee in der Kategorie des Leidens
An Tayfun Korkut, der nach erfolglosen Wochen keinen zweiten Frühling in Berlin erleben sollte. An Rune Jarstein, der mit Manager Fredi Bobic und Torwarttrainer Andreas Menger derart aneckte, dass sein Vertrag aufgelöst wurde. Und auch noch an Dong-jun Lee, der stellvertretend für all die Spieler steht, die ihre vermeintlichen Qualitäten wegen diverser Wehwehchen nicht ansatzweise einbringen konnten. Und Lars but not least: Investor Windhorst, der eine Menge Unruhe gestiftet hat, um letztendlich doch einen Rückzieher zu machen und seine Anteile wieder zu verkaufen.
Ich könnte an dieser Stelle noch ein wenig weitermachen, hatte aber vorhin ja mal angedeutet, dass es im blau-weißen Kosmos nicht nur Verlierer gab. Tatsächlich hat dieses Jahr voller Niederlagen und Rückschläge auch den einen oder anderen Gewinner hervorgebracht.
Lukebakio steigt vom Sorgenkind zum Leistungsträger auf
Da wäre Felix Magath, der aus der Versenkung auftauchte und Hertha mit harter Hand und stoischer Art zum Klassenerhalt führte. Nicht zu vergessen: Auch dank Kevin-Prince Boateng, der im allerletzten Moment doch noch seine Rolle als Leader entdeckte und die Mannschaft in der Relegation zum Sieg dirigierte. Da wäre auch noch Oliver Christensen, der im denkbar ungünstigsten Moment, in der wichtigsten Saisonpartie, im Rückspiel gegen den Hamburger SV zur Nummer eins aufstieg und seitdem eine Entwicklung hinlegt, die Hertha sichtlich guttut.
Da wäre Kay Bernstein, der sich im Juni überraschend zum Präsidenten des am Boden liegenden Hauptstadtklubs wählen ließ und den Verein seitdem mit einer Ruhe führt, die manch einem Fan Tränen der Erleichterung in die Augen treibt. Und zu guter Letzt ist da noch Dodi Lukébakio. Das längst verloren geglaubte Sorgenkind, das sich im Sommer verabschieden wollte, dann aber doch blieb und seitdem die wichtigste Säule im Team von Sandro Schwarz ist.
Verlässt Bobic Hertha BSC im neuen Jahr?
Apropos Schwarz. Der Trainer hat das Zeug dazu, im kommenden Jahr ebenfalls in der Kategorie „Gewinner“ des „Immer Hertha“-Jahresrückblicks zu landen. Genau wie Fredi Bobic. Der Sport-Geschäftsführer gehörte angesichts misslungener Transfers und miserabler Finanzen eigentlich eher zu den Verlierern in diesem Jahr.
Doch weil der Manager auch noch mit den Altlasten seiner Vorgänger zu kämpfen hat, lassen wir da mal noch etwas Schonfrist walten. Außerdem bleibt noch abzuwarten, ob Bobic in Berlin bleibt. Die Nationalmannschaft ruft. Beim Gedanken daran, was das für Hertha bedeutet, wartet schon die nächste Gänsehaut.