Berlin. Luca Netz ist seit Sonnabend der zweitjüngste Bundesliga-Debütant der Klub-Geschichte. Über ein spannendes Berliner Talent.

Luca Netz gelingen bisweilen erstaunliche Dinge. Das derzeit vielleicht spannendste Talent von Hertha BSC hat es zum Beispiel fertiggebracht, sich einerseits rasant zu entwickeln und trotzdem viel Geduld üben zu müssen. Wie das geht? Nun, schon im vergangenen Mai trainierte der Linksverteidiger derart gut bei den Profis, dass er erstmals in den Spieltagskader berufen wurde. Doch statt seine Bundesliga-Premiere zu geben, brach er sich kurz darauf den Fuß.

Spätestens seit Sonnabend kann Netz über die Anekdote milde lächeln, weil er sein Profi-Debüt beim 3:0 gegen Schalke endlich nachholte. Mit 17 Jahren und 232 Tagen sicherte er sich bei seiner Einwechslung kurz vor Schluss gleich einen Platz im Geschichtsbuch des Klubs. Nur ein einziger Spieler war bei seinem ersten Bundesliga-Einsatz für Hertha jünger – Lennart Hartmann debütierte 2008 mit 17 Jahren und 136 Tagen. „Ein Moment, den ich niemals vergessen werde“, schrieb das Eigengewächs am Tag nach seiner Feuertraufe.

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Luca Netz: Labbadia traut dem Linksverteidiger bei Hertha BSC viel zu

Bruno Labbadia hält große Stücke auf Netz. „Er war letzte Woche sehr auffällig“, sagt Herthas Cheftrainer, „und die Einwechslung hat ihm noch mal einen Schub gegeben. Ich hoffe, dass er das als Ansporn nimmt. Sein Ziel muss sein, mehr zu spielen.“

Was im ersten Moment banal klingt, ist in Zeiten der Corona-Pandemie einfacher gesagt als getan. Weil sowohl die Nachwuchsteams als auch die Regionalliga Nordost mit Herthas U23 pausieren, liegt Netz‘ einzige Chance auf Einsätze bei den Profis.

Für Talente wie Netz, Jessic Ngankam (20) oder Daishawn Redan (19) sei Corona deshalb „doppelt hart“, sagt Labbadia, die fehlende Spielpraxis sei „nicht gut“, auch Netz hätte „in der Phase nach seiner Verletzung mehr Spiele haben müssen“. Das Problem liegt auf der Hand: Ohne Einsätze kein Gewinn an Erfahrung, keine Wettkampfhärte und keine Adaption an die Körperlichkeit des Erwachsenen-Fußballs.

Schon mit sieben Jahren wechselte Luca Netz zu Hertha BSC

Was die physische Entwicklung betrifft, ist Netz für sein Alter allerdings sehr weit. Anders als andere Eigengewächse in jüngerer Vergangenheit kann der Linksfuß mit seinen 1,80 Metern und 74 kg schon gegenhalten. Nicht der einzige Grund, weshalb sie bei Hertha große Hoffnungen auf ihn setzen.

Netz verfügt über ein vielversprechendes Profil. Zu seinen ausgewiesenen Qualitäten zählen ein äußerst dynamischer Antritt und ein ausgeprägter Vorwärtsdrang. Hinzu kommt eine Fähigkeit, die Labbadia besonders neugierig macht. „Es gibt wenige Spieler, die Linksfuß sind und mit rechts so einen guten Schuss haben“, betont er.

Dass der Coach „extrem hart“ mit Netz arbeiten will, hat weitere Gründe. Die derzeitigen Linksverteidiger Marvin Plattenhardt und Maximilian Mittelstädt haben nicht restlos überzeugt, und gute Linksverteidiger sind generell ein rares Gut. Plattenhardt (28) verkörpert solide Verteidigungsarbeit, aber wenig Offensiv-Impulse, zudem haben seine Ecken und Freistöße an Gefahr eingebüßt. Mittelstädt (23) steht für hohen Einsatz und Vielseitigkeit, darüber hinaus besitzt er jedoch kaum markante Stärken.

Glaubt man Labbadia, ist Netz bereits ein ernsthafter Herausforderer für das Duo, zumindest wünscht er sich eine entsprechende Einstellung. „Luca muss sich sagen: Hey, ich will jetzt mehr. Dann muss er die zwei vor sich verdrängen“, fordert der Trainer.

Luca Netz erhielt die Fritz-Walter-Medaille in Bronze

Aus Klub-Sicht ist der Aufstieg des Youngsters ein Paradebeispiel für die eigene Nachwuchsförderung. Netz, geboren in Buch, begann mit dem Fußballspielen beim FSV Bernau, wechselte jedoch schon mit sieben Jahren zu Hertha. Dort machte er eine Blitzkarriere, war seinen Mitstreitern meist einen Schritt voraus.

Als U15-Kicker lief er für die U17 auf, als U17-Spieler wurde er in die U19 hochgezogen. Für das U17-Nationalteam absolvierte er 21 Spiele (fünf Tore), zudem wurde er 2020 mit der Fritz-Walter-Medaille in Bronze für die Altersklasse U17 ausgezeichnet, dem DFB-Preis für die besten Nachwuchsspieler des Landes. Vor ihm landeten einzig Leverkusens Toptalent Florian Wirtz und der Berliner Torben Rhein, der in der Jugend des FC Bayern spielt.

​Dass Netz‘ Karriere eine Erfolgsgeschichte bleibt, ist damit nicht gesagt. Schaut man auf die Liste früherer Preisträger, finden sich dort etliche Hochbegabte, die an der Schwelle zum Männerbereich gestolpert sind. Ex-Herthaner Lennart Hartmann ist einer von ihnen. Nach seinem Debüt machte er nur noch zwei weitere Bundesligaspiele. Für Netz ein mahnendes Beispiel, das zeigt: Seine Profi-Premiere kann nur ein erster Schritt gewesen sein. ​