Berlin. Stillstand und Jürgen Klinsmann, das scheint sich kategorisch auszuschließen. Seinen Spielern und sich selbst hatte der Trainer von Hertha BSC am Sonntag ja eigentlich frei gegeben, doch schon am frühen Nachmittag postete er bei Twitter ein paar Fotos von seiner Jogging-Runde durch Berlin. Ganz nach Klinsmann’schem Ideal, hätte man denken können – immer schön in Bewegung bleiben.
Nun lebt der Schwabe dieses Credo zwar beispielhaft vor, doch seine Mannschaft scheint die Botschaft noch nicht so recht verinnerlicht zu haben, weder gedanklich noch körperlich. Beim 1:3 gegen Mainz, die mit einer der schwächsten Defensiv-Bilanzen der Liga angereist waren, wirkten die Berliner am Sonnabend im Olympiastadion über weite Strecken behäbig und ideenlos. Am Ende hatten die Hausherren fünf Kilometer weniger abgespult als der direkte Konkurrent
In Herthas Mittelfeld klaffen große Lücken
Klinsmann wollte seinen Spielern keinen Vorwurf machen. Die Mehrbelastung durch die 120-Pokalminuten beim bitteren 2:3 auf Schalke am Dienstag und die Nachwirkungen durch den Rassismus-Eklat um Verteidiger Jordan Torunarigha – das sei dann doch alles ein wenig viel gewesen.
Er habe sich in der Kabine erstmal seinen Kapitän Vedad Ibisevic geholt, berichtete der Trainer. „Vedad, ich glaube, wir brauchen erstmal zwei Tage frei“, habe er gesagt. Eine ungewöhnliche Maßnahme nach einer derart mauen Leistung, aber dass er ein gutes Gespür für Situationen hat, hat Klinsmann oft bewiesen.
Was seine Fähigkeiten als Fußballlehrer betrifft, bestehen indes nach wie vor Zweifel, und die Zahl seiner Kritiker dürfte am Sonnabend nicht geschrumpft sein. Ein Plan für das Spiel nach vorn war im Olympiastadion jedenfalls nicht zu erkennen, bei den Angreifern Krzysztof Piatek und Pascal Köpke kam kaum ein Ball an, es sei denn, sie ließen sich tief fallen.
Im Mittelfeld herrschte ein besorgniserregendes Vakuum, dabei standen mit Arne Maier und Marko Grujic zwei spielstarke Akteure auf dem Platz. Seine Schützlinge hätten „kaum antizipiert, kaum Räume und auch kaum Wege gesehen, die Stürmer zu finden“, so Klinsmann.
Trotz Maier und Grujic: Der Spielaufbau bleibt ein Sorgenkind
Anders als in der Stadt – Klinsmann absolvierte seine Laufrunde in Mitte – bereitete ihm das Zentrum bei Hertha wenig Freude. Vor allem in Hälfte eins kamen Grujic und Maier im 3-5-2-System zu selten aus dem Deckungsschatten ihrer Gegner und waren so kaum anspielbar, wobei das träge Passspiel der aufbauenden Verteidiger die Aufgabe nicht leichter machte.
In der Pause nahm der Trainer neben dem enttäuschenden Verteidiger Niklas Stark auch den seit Wochen formschwachen Grujic vom Platz, stellte auf ein 4-4-2 mit vier Offensivkräften um. Ein Kniff, mit dem die Lücke zwischen Abwehr- und Angriffsreihen nicht kleiner wurde. Die Folge: Herthas Offensivbemühungen blieben ein Mix aus Einzelaktionen und Stückwerk. Dass das erste eigene Tor in den jüngsten vier Heimspielen ein Eigentor von FSV-Verteidiger Jeffrey Bruma war, passte ins Bild.
Spielfreude des Pokal-Auftritts ist verpufft
Die Frage ist, ob es Klinsmann und seinem Trainerteam zeitnah gelingt, der Mannschaft im Umgang mit eigenem Ballbesitz Lösungen an die Hand zu geben. Gegen Mainz hatten die Berliner erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit mehr Spielanteile als der Gegner (64 Prozent), wussten damit aber wenig anzufangen. In Paderborn, gegen Köln, in Düsseldorf und gegen Bremen wird in den kommenden Wochen aber genau das gefordert sein.
Gegen Mainz wirkte Herthas Mittelfeld deutlich schlechter ausbalanciert als noch am Dienstag auf Schalke, wo Klinsmanns Elf fußballerisch deutliche Fortschritte gezeigt hatte. Warum jene nun wieder verpufften? Vielleicht ja tatsächlich wegen der erhöhten körperlichen Belastung. Vielleicht aber auch, weil Hertha im DFB-Pokal deutlich unbeschwerter auftreten konnte als im Abstiegskampf der Bundesliga.
Weil Mainz dreifach punktete und Düsseldorf und Paderborn jeweils einen Zähler holten, sind die Teams im Tabellenkeller wieder enger zusammengerückt. Hertha (14.) hat auf den Relegationsplatz zwar noch sechs Punkte Vorsprung, muss aber aufpassen, dass der mit Champions-League-Ambitionen gespickte Aufschwung unter Klinsmann nicht ähnlich ins Stocken gerät wie der Spielaufbau auf dem Platz.
Erster echter Dämpfer für Trainer Klinsmann
Klammert man das 0:4 gegen den FC Bayern aus, kassierte der Trainer gegen Mainz seinen ersten echten Dämpfer. Er selbst tat die Niederlage als Ausrutscher ab, doch natürlich geht auch ihm durch den Kopf, was Michael Preetz in Worte fasste: „Für uns beginnen jetzt die Wochen der Wahrheit“, hatte der Manager gesagt.
Bislang hatte Klinsmann meist auf pragmatischen Außenseiter-Fußball setzen können, auf eine „Tief stehen und kontern“-Taktik, mit der er beachtliche Resultate einfuhr. Im Februar dürfte das allerdings nicht mehr reichen, zumal das Team im Winter für teures Geld verstärkt wurde. Es muss sich etwas bewegen im Berliner Spiel.