Berlin. Jürgen Klinsmann wollte es nicht akzeptieren. „40.000 Fans?“, fragte Herthas Cheftrainer, „das geht ja gar nicht.“ Offiziell war die Pressekonferenz des Berliner Bundesligisten da zwar schon beendet, doch das Thema Zuschauer schien dem Schwaben keine Ruhe zu lassen. Beim Verlassen des Podiums legte er noch mal nach: Zum Heimspiel gegen den SC Freiburg müssten am Sonnabend (15.30 Uhr, Sky) „weit über 40.000 kommen“, forderte er. In der Realität dürften die vom Klub erwarteten 40.000 Besucher eher das Maximum bleiben.
Na gut, mag sich manch einer gedacht haben, der Klinsmann ist ja auch noch neu bei Hertha, denn mit den Zuschauern ist es ja so eine Sache in Berlin. Um mehr Menschen ins Olympiastadion zu locken, hat der Verein in den vergangenen Jahren schon vieles versucht, trotzdem liegt der Schnitt konstant zwischen 45.000 und 50.000 Zuschauer. Dass eine ausverkaufte Arena – so wie bei seinem Debüt gegen Dortmund – die Ausnahme ist, wird der Schwabe bald merken.
Hertha BSC zählt zu den heimschwächsten Teams der Liga
Aber Klinsmann ist nun mal Klinsmann, Veränderer und Weichensteller, Innovator und Optimist, also nimmt er auch dieses Thema in Angriff. „Wir brauchen die Unterstützung der Fans, die hoffentlich die Situation erkannt haben“, sagte er am Freitag. Davon, dass in dieser Saison noch 20 Runden zu spielen sind, will sich der Ex-Profi nicht täuschen lassen. „Wir“, sagte er, „sind im Abstiegskampf.“
Tatsächlich könnte Hertha ein wenig Rückenwind gut gebrauchen. Bislang zählen die Berliner zu den heimschwächsten Teams der Liga (sechs Zähler aus sechs Spielen) – einzig Bremen (fünf), Köln (vier) und Paderborn (drei) haben vor eigenem Publikum weniger gepunktet. Die jüngsten drei Heimspiele gegen Dortmund (1:2), Leipzig (2:4) und Hoffenheim (2:3) gingen allesamt verloren. Mit einer vierten Pleite in Folge würde das Team einen klubinternen Negativrekord einstellen (zuletzt 2011/12).
Gegner Freiburg holte auswärts schon elf Punkte
Für wie wichtig er den Faktor Fans hält, hatte Klinsmann erst in dieser Woche erzählt. In einem Videochat mit Anhängern sprach er sich vehement für den Bau eines reinen Fußballstadion aus, von dem die Hertha-Verantwortlichen seit Jahren träumen. Die Unterstützung von den Rängen wäre in einer kleineren Arena ohne Laufbahn viel stärker zu spüren, betonte er, über eine gesamte Saison mache das „mindestens acht bis zehn Punkte“ aus. Die Wirklichkeit im Olympiastadion sieht anders aus. Größer, leerer und weitläufiger.
Dass mit Freiburg nun ausgerechnet das größte Überraschungsteam der Saison in Berlin vorstellig wird, macht die Aufgabe nicht einfacher, zumal sich Hertha mit den Breisgauern traditionell schwer tut. In den jüngsten zwölf Partien reichte es nur einmal zu einem Sieg, sieben Mal endete das Duell unentschieden, vier Mal gewann der SC.
Alarmierender als die Zahlen der Vergangenheit sind jedoch die Fakten der Gegenwart. Hertha steht auf Tabellenplatz 15; Freiburg, das zu den besten Auswärtsmannschaften der Liga zählt, auf Rang fünf. Während sich die Berliner am vergangenen Wochenende zu einem 2:2 in Frankfurt duselten, bezwang das Team von Trainer Christian Streich den VfL Wolfsburg. Klinsmann (55) ist voll des Lobes für seinen Kollegen: „Was er in Freiburg aufgebaut hat, ist phänomenal“, sagte er.
Union hat vorgemacht, wie man den SC knackt
Die Aufbauarbeiten in Berlin stehen derweil noch ganz am Anfang. Seit Klinsmann und sein Trainerteam vor gut zwei Wochen die Arbeit aufnahmen, hat sich einiges geändert. „Es gibt eine neue Idee“, sagte Kapitän Vedad Ibisevic, „aber es braucht immer ein paar Tage Zeit, um zu verstehen, was der Trainer von einem will.“ Eines ist jedenfalls sicher, wenn man dem Bosnier glaubt: „Die Intensität im Training ist höher geworden.“
Leidenschaft, Laufbereitschaft und Dynamik – das wird auch gegen die unangenehmen Freiburger gefordert sein. Als Vorbild taugt dabei ausgerechnet Herthas Stadtrivale. Dem 1. FC Union gelang unlängst das Kunststück, die Freiburger sowohl im DFB-Pokal als auch in der Liga zu übertölpeln. Bildmaterial habe man zuhauf gesichtet, betonte Klinsmann: „Wir haben den Gegner bis ins Detail auseinandergenommen. Die Jungs wissen Bescheid.“ Nur fiel den Berliner Profis der Transfer von der Theorie in die Praxis in der Vergangenheit nicht immer leicht.
Klinsmann: „Wir fühlen uns unter Zugzwang“
Klinsmann hat den Druck auf seine Mannschaft in dieser Woche noch mal erhöht. Der Winterurlaub wurde verkürzt, schon kurz nach Weihnachten wird die Mannschaft wieder auf dem Platz arbeiten, um zum Rückrundenstart gegen den FC Bayern bei 100 Prozent zu sein. „Wir sind gefordert, mehr zu tun“, sagte Klinsmann, „in der Situation, in der wir sind, sind ein paar Tage mehr notwendig.“
Routinier Ibisevic (35) gibt sich pflichtbewusst. „Natürlich ist das nicht angenehm“, sagte er, „aber das Trainerteam hat etwas vor. Wir müssen damit wie Profis umgehen.“ Klagen und Jammern bringt nun mal keine Punkte, das weiß auch Klinsmann. „Wir fühlen uns unter Zugzwang“, sagte er wohl auch mit Blick auf das Jahresrestprogramm gegen Leverkusen und Mönchengladbach: „Wir sind auf Platz 15 und müssen nach oben. Wir brauchen unbedingt drei Punkte.“