Berlin. Dass Hertha viele Gegentore nach Ecken kassiert, liegt einerseits am fehlenden Fokus – aber auch an Entscheidungen von Coach Klinsmann.

Sich ständig in Unterzahl wehren zu müssen, kann ziemlich anstrengend sein. Entsprechend außer Atem ist Karim Rekik (25) nach dem Training. An diesem Vormittag hat er meist in der Mannschaft gespielt, die weniger Leute auf dem Feld hatte. Für Rekik bedeutete das permanente Alarmbereitschaft, viel Reden, ständig das Geschehen im Blick haben. Ermüdend für Körper und Geist.

Gut möglich, dass sich Rekik während dieser Trainingseinheit an die vergangenen Bundesliga-Spiele erinnert gefühlt hat. Dort waren Herthas Verteidiger auch oft in Unterzahlsituationen geraten und manchmal machte es den Anschein, als hätten die Berliner weniger Spieler auf dem Feld zur Verfügung.

Hertha hat in dieser Saison 29 Gegentore bekommen, nur Mainz (34), Paderborn (32) und Köln (30) weisen einen schlechteren Wert auf. Allein zwölf davon fielen nach ruhenden Bällen, sogenannten Standardsituationen. Keine Mannschaft in der Bundesliga kommt auf mehr. Besonders deutlich wurden die Sorgen in Frankfurt (2:2), als beide Gegentore aus Ecken resultierten. Jürgen Klinsmann hatte zuletzt mehrfach angekündigt, sich dem Problem annehmen zu wollen. „Wir werden Standardsituationen als Schwerpunkt trainieren. Offensiv wie defensiv“, sagte Herthas Trainer.

Hertha-Verteidiger Rekik spricht von Pech

Zeit bleibt dafür aber nur bedingt. Hertha muss bis zur Winterpause noch drei Spiele bestreiten. Am Sonnabend geht es gegen Freiburg, am Mittwoch nach Leverkusen und zum Abschluss kommt am 21. Dezember der aktuelle Tabellenführer Borussia Mönchengladbach ins Olympiastadion. Bei dieser dichten Spielfolge werden die meisten Einheiten einen regenerativen Charakter haben.

Klinsmann verortet die Probleme beim Verteidigen eher in den mentalen Bereich. „Das hat was mit Selbstbewusstsein zu tun: Wenn du einen guten Lauf hast, bist du in solchen Situationen hellwach, hast du einen schlechten Lauf, kommst du ins Grübeln und dann ist es schon zu spät“, sagt er. Auch Karim Rekik ist bewusst, dass Hertha zu viele Gegentore nach ruhenden Bällen kassiert hat. „Es ist nicht einfach, Ecken zu verteidigen. Wir arbeiten dran, wir schauen Videos, aber manchmal hat man einfach auch Pech, wenn der Ball dem Gegner genau vor die Füße fällt.“

Will Hertha dem Tabellenkeller entkommen, gilt es, diese Schwäche möglichst schnell abzustellen. Tore nach Standards sind in der Bundesliga enorm wichtig geworden. Gegner Freiburg verwendet viel Zeit auf das Einstudieren von Varianten. Acht Mal war der Sport-Club nach Ecken oder Freistößen erfolgreich, Gegentore gab es nur vier.

Mix aus Raum- und Mann-gegen-Mann-Zuordnung

Hertha verteidigt solche Situationen aktuell in einer Mischung aus Raumdeckung und Mann-gegen-Mann-Zuordnung. Klinsmann hat dieses Schema übernommen, das bereits unter Pal Dardai in der vergangenen Spielzeit zur Anwendung kam. Damals allerdings noch erfolgreicher. Demnach positionierten die Berliner drei freie Verteidiger am Fünfmeterraum. Einen am vorderen Pfosten, einen in der Mitte und einen am hinteren Pfosten. Fünf andere Spieler wurden konkreten Gegenspielern zugeordnet. Kam der Gegner mit sechs Angreifern in den Strafraum, wurde einer der drei freien Verteidiger zusätzlich an den Mann beordert.

Viel hat beim Verteidigen dieser Situationen mit Willen, Konzentration und Einstellung zu tun, Sekundärtugenden, wie es heißt. Kopfballduelle müssen nicht unbedingt gewonnen werden, oft reicht es schon, den Gegenspieler ausreichend zu stören. Dafür benötigt man aber Spieler, die ihre Stärken in diesem Bereich haben. Und davon hatte Hertha beispielsweise in Frankfurt in den entscheidenden Momenten zu wenige auf dem Feld.

Klinsmanns Wechsel machen es nicht leichter

Als Sebastian Rode vier Minuten vor dem Ende nach einer Ecke zum 2:2 traf, standen in Person von Marko Grujic, Dedryck Boyata und Karim Rekik nur noch drei wirklich kopfballstarke Spieler auf dem Feld. Vor allem die Auswechslung von Niklas Stark, der für Maximilian Mittelstädt den Platz verlassen hatte, tat in diesem Moment weh, weil ein kopfballstarker durch einen kopfballschwachen Spieler ersetzt wurde.

Ohnehin stehen bei Hertha in dieser Saison vermehrt Spieler auf dem Feld, die ihre Stärken in anderen Bereichen haben. Marius Wolf ist zwar groß, aber kein ausgesprochener Kopfballspezialist. Das gleiche trifft auf Dodi Lukebakio zu und mit Abstrichen auch auf Davie Selke. Durch die hohen Einsatzzeiten von Vladimir Darida, Lukas Klünter oder Per Skjelbred hat Herthas Mannschaft deutlich an Körpergröße verloren, was bei Standards immer ein Nachteil ist.

Wenn dieses Verhältnis bei Auswechslungen noch weiter zu Lasten der kopfballstarken Spieler sinkt, wird das Verteidigen von Ecken und Freistößen immer schwerer. „Wir schauen uns Laufwege an, schauen wer wann geblockt wurde und versuchen uns zu verbessern“, sagt Rekik. „Aber das braucht Zeit.“ Und die haben Herthas Fußballer erst wieder während der Wintervorbereitung.

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