Berlin. Die erste Trainingseinheit der Woche war noch keine Stunde alt, da setzte es bereits den nächsten Dämpfer. In der Pause eines Trainingskicks setzte sich Herthas Mittelfeldspieler Marko Grujic (22) mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Spielfeldrand und hielt sich den rechten Knöchel. Physiotherapeut Frederick Syna eilte herbei und legte Hand an, wenig später humpelte Grujic mit bandagiertem Fuß Richtung Kabine. Ob der Serbe am Sonntag (13.30 Uhr) bei der TSG Hoffenheim zur Verfügung steht, ist äußerst fraglich.
„Es war kein großer Zweikampf“, sagte Trainer Pal Dardai zum Tathergang, „ich glaube, er ist einfach im Rasen hängen geblieben.“ Aber so unglücklich die Szene in der Entstehung gewesen sein mag, so ungünstig trifft sie den Berliner Bundesligisten. Weil Hertha nach vier Niederlagen in Folge dringend ein Erfolgserlebnis benötigt und Grujic zu den größten Hoffnungsträgern zählt. Vor allem aber, weil das Mittelfeld ohnehin schon arg dezimiert war.
Für Grujics angestammten Nebenmann Arne Maier (20) ist die Saison seit Freitag beendet, er zog sich im Abschlusstraining vor dem 1:2 gegen Fortuna Düsseldorf eine Innenbandverletzung linken Knie zu. Fabian Lustenberger fehlt seit vergangener Woche wegen eines Muskelfaserrisses und im Fall von Vladimir Darida brach bei dessen Einsatz für Tschechiens Nationalteam eine alte Oberschenkelblessur wieder auf.
Rechtsverteidiger Lazaro als Aushilfslösung auf der Sechs
„Ich weiß gar nicht mehr, wer jetzt als Sechser spielen soll“, sagte Dardai, „langsam haben wir keine Spieler mehr.“ Als Aushilfslösungen brachte der Ungar die beiden Außenverteidiger Maximilian Mittelstädt und Valentino Lazaro ins Spiel, dabei braucht er letztgenannten eigentlich schon an andere Stelle als Notnagel.
Weil Spielmacher Ondrej Duda gegen Düsseldorf seine fünfte Gelbe Karte bekam, muss sich Dardai auch für die Kreativzentrale etwas einfallen lassen. Eins zu eins können die Berliner ihren gefährlichsten Scorer (zehn Tore, vier Vorlagen) ohnehin nicht ersetzen, und selbst der Kandidatenkreis der Alternativen ist überschaubar. Lazaro ist einer der wenigen, die in Frage kämen, weil er über große Ballsicherheit und ein starkes Spielverständnis verfügt. Zudem ist ihm die Position hinter den Spitzen nicht völlig fremd. Sowohl bei Red Bull Leipzig als auch bei Hertha lief der Österreicher schon im offensiven Mittelfeld auf, zuletzt im Mai vergangenen Jahres. Nun aber könnten seine Dienste an anderer Stelle dringender benötigt werden.
Bei Hertha deutet sich größere Rochade an
Wo auch immer Lazaro auflaufen wird, bei Hertha deutet sich eine größere Rochade an. Am Dienstag besetzte Dardai seine vermeintliche A-Elf mit den Außenverteidigern Marvin Plattenhardt und Lukas Klünter, sprach beiden ein Sonderlob aus. Mittelstädt würde in diesem Fall wohl eine Pause erhalten.
WM-Teilnehmer Plattenhardt stand zuletzt Anfang Februar beim 0:1 gegen Wolfsburg auf dem Feld. Klünter kann in dieser Saison erst 220 Einsatzminuten in fünf Spielen vorweisen. Es wird spannend sein zu beobachten, ob das Duo dem stark verunsicherten Team neue Impulse verleihen kann.
Die große Frage bleibt: Wie kommt die Mannschaft wieder zu alter Stabilität. Das angeknackste Selbstvertrauen wieder aufzuforsten, sei keine einfache Angelegenheit, gab Dardai zu. Um einen muss sich der Chef-Coach in dieser Hinsicht allerdings keine Sorgen machen: Salomon Kalou. Der 33 Jahre alte Ivorer war gegen Düsseldorf der einzige Berliner Profi, der Willen und Mut ausstrahlte, der sich etwas zutraute und versuchte, das Glück mit aller Macht zu erzwingen. In Abwesenheit anderer Routiniers wie Lustenberger und Vedad Ibisevic (der das letzte Spiel seiner Rotsperre absitzt) muss der 33-Jährige das Team mehr tragen denn je.
Trainer Dardai setzt auf Kalou als Kreativkopf
In der Frage, wer in Hoffenheim Ondrej Duda ersetzt, wird sich Dardai daher wohl für Kalou entscheiden. „Theoretisch könnten das auch Javairo Dilrosun oder Palko Dardai“, sagte der 43-Jährige, aber der Erfahrenste für diesen strategisch wichtigen Posten sei nun mal Kalou. Jener kennt die Spielmacherrolle aus seiner Zeit beim OSC Lille, sporadisch hat er sie auch bei Hertha schon übernommen, etwa im Dezember 2017 beim 3:2-Coup in Leipzig. „Salomon hat die nötige Torgefährlichkeit“, sagte Dardai, sah aber auch ein Risiko. „Es ist wichtig, dass wir eine gute Balance zwischen Offensive und Defensive finden.“
Nein, es sind keine einfachen Wochen für den Trainer. Vom Abstiegskampf ist seine Mannschaft zwar weit entfernt, doch eine Aneinanderreihung derart besorgniserregender Auftritte hat er in seinen gut vier Jahren als Cheftrainer kaum erlebt. Der Druck auf seine Person nimmt zu, seine jüngsten Aussagen wirkten irritierend beschönigend.
Am Dienstag gab sich Dardai betont gelassen. „Warum soll ich schlechte Laune haben“, fragte er in die Reporterrunde, ehe er auf einen Grundsatz verwies, den er sich schon bei Amtsantritt im Februar 2015 auferlegt hat. „Wenn ich nicht mehr mit guter Laune aufs Vereinsgelände komme, gehe ich nicht mehr zum Training.“