Immer Hertha

Wie ich mit Hertha erwachsen wurde

| Lesedauer: 4 Minuten
Jörn Meyn
Als Reporter ist man gefesselt an den Klub, über den man berichtet, wie die Fans, die immer dabei sind. Nur hat man als Reporter eben weniger Spaß.

Als Reporter ist man gefesselt an den Klub, über den man berichtet, wie die Fans, die immer dabei sind. Nur hat man als Reporter eben weniger Spaß.

Foto: dpa/Reto Klar/BM Montage

Nach sechseinhalb Jahren macht der Reporter Schluss als Begleiter des Berliner Fußballklubs und zieht ein persönliches Fazit.

Berlin. In dem Moment, als ich Hertha-Reporter wurde, stand ich auf einer Wiese zwischen Kühen und zitterte. Ich war ins Berliner Umland gefahren, um nachzudenken. Über meine Karriere, und wer ich eigentlich sein wollte. Tagelang hatte ich die Entscheidung vor mir hergeschoben. Damals war ich Volontär, und der frühere Chefredakteur dieser Zeitung bot mir noch vor Ende meiner Ausbildung den festen Job als Vereinsberichterstatter über Berlins wichtigsten Fußballklub an. Das war eine große Chance in einer Zeit, in der es mehr Artikel über die Krise des Journalismus gab als freie Redakteursstellen. „Bis Freitag müssen Sie sich aber entscheiden, Herr Meyn“, sagte er. Jetzt war es Freitag, 17 Uhr.

Meine Mutter riet mir immer: Hör’ auf deinen Bauch! Aber der sagte mir nun: Lauf weg! Selbst wenn es bloß bis zu den Kühen ist. Ich wollte kein Hertha-Reporter sein. Ich wollte, was viele junge Journalisten wollen: Reportagen schreiben, frei sein in meiner Themenwahl, besondere Geschichten finden. Hertha war gerade zum Zweitligisten geschrumpft, und ich wollte größer sein.

Zwischen den Kühen rief ich den Chefredakteur an. Meine Hände zitterten. Sie und ich wussten, dass wir gerade an einer Weggabelung standen, und wir hatten Angst vor dem nächsten Schritt. Ich sagte zu, legte auf, und abends betrank ich mich, ohne zu wissen, ob das Feiern oder Frustsaufen war.

Was man als Vereinsreporter für das Leben lernt

Das ist fast sechseinhalb Jahre her. Diese Kolumne wird meine letzte für die Morgenpost sein. Ich wechsle zu einem anderen Medium. Aber nun, da meine Zeit in dieser Redaktion endet, muss ich an mein Bauchgefühl von damals denken. Es hatte keine Ahnung. Nicht von mir und vom Leben als Hertha-Reporter auch nicht.

Das Allererste, was mir mein Kollege damals über den Job sagte, war: „Du hast nur eine Familie. Mach dir das nicht kaputt!“ Als Vereinsreporter ist man immer im Einsatz. Eine nächtliche Festnahme eines Spielers wegen Trunkenheit am Steuer, ein spät verkündeter Transfer. Da muss man dann reagieren, und das ist für die Familie manchmal schwierig. Dazu kommt, dass die Termine des Klubs dir den Wochenplan aufzwingen. Sonnabendnachmittag mit Freunden in den Park? Geht nicht! Heimspiel. Hertha, mein Leben und ich, habe ich oft gedacht. Ich war gefesselt an den Verein wie es Fans sind, die zu jeder Partie fahren – nur ohne Bierduschen im Block und dieses unbeschreibliche Glücksgefühl nach einem Tor. Irgendwann habe ich gelernt, Prioritäten zu setzen. Und ich wurde demütiger.

Denn haben Sie mal versucht, jeden Tag etwas Spannendes über dasselbe Thema zu schreiben? Das ist schwer. Und deshalb müsste es eigentlich weniger Journalistenpreise für besondere Geschichten geben und mehr für die Arbeit von Reportern, denen es gelingt, über Jahre hinweg täglich intelligent, interessant und wahrhaftig über einen Mikrokosmos wie einen Fußballverein zu schreiben. Ich habe bei Hertha gelernt, dass Journalismus zuallererst Pflicht und dann Kür ist. Und dann war da noch etwas Wichtiges.

Mit Anstand kritisieren

Ein hoher Vereinsmitarbeiter von Hertha hat mal über Monate nicht mit mir gesprochen. Er war sauer wegen etwas, das ich so gar nicht geschrieben hatte. Ein anderes Mal telefonierte ich mit einem Hertha-Spieler, der sich über eine Geschichte von mir beschwerte. Nach einer Weile sagte er zu mir: „Das stimmt ja alles, was da im Artikel über mich steht, aber musst du das so schreiben?“ Menschen werden nicht gern kritisiert. Wie man das trotzdem mit Anstand macht und wie man es aushält, wenn man dann selbst für seine Kritik kritisiert wird, auch das habe ich bei Hertha gelernt.

Es erscheint mir heute, sechseinhalb Jahre später, als sei von dem Zauderer auf der Wiese mit den großen Plänen und den falschen Vorstellungen nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Es fühlt sich an, als sei ich als Journalist mit Hertha erwachsen geworden. Und dafür bin ich sehr dankbar.