Berlin. Davie Selke wusste genau, bei wem er sich zu bedanken hatte. „Unsere Defensive muss man herausheben“, sagte Herthas Angreifer nach dem 1:0 (1:0) gegen Eintracht Frankfurt, „Jordan, Lusti und Rune haben alles geklärt, und das gegen einen Gegner mit riesiger Qualität.“ Anerkennung und Erleichterung, denn Selke hätte zur tragischen Figur werden können.
Anfang der zweiten Hälfte hatte er die vermeintliche Entscheidung vergeben, scheiterte nach einem Konter an Eintracht-Keeper Kevin Trapp. Danach spielten nur noch die Gäste, also wäre Selke bei einem Gegentor wohl zum großen Buhmann geworden. Aber da waren ja noch Jordan (Torunarigha), Lusti (Fabian Lustenberger) und Rune (Jarstein), die Innenverteidiger und der Rückhalt im Tor, die das zu verhindern wussten.
Gegner Frankfurt bleibt erstmals ohne Treffer
Tatsächlich war Herthas Sieg gegen den direkten Konkurrenten vor allem ein Sieg der Defensive, die nach einem turbulenten November wieder zu sich gefunden hat. „Das war auch nötig nach der Flut an Gegentoren“, mahnte Michael Preetz mit Blick auf den Vormonat, den die Berliner mit zehn Gegentoren aus drei Spielen beendet hatten. Umso zufriedener war der Manager mit der Abwehrleistung gegen den zweitbesten Angriff der Liga. „Gegen die Eintracht zu Null zu spielen, haben nicht viele Mannschaften geschafft“, sagte er. In Frankfurts 19 Pflichtspielen zuvor war das noch keinem Gegner geglückt.
Wie Hertha dieses Kunststück am Sonnabend gelang? Vor allem durch die Rückbesinnung auf Qualitäten, die Pal Dardai seiner Elf schon bei seiner Amtsübernahme im Februar 2015 eingeimpft hat: diszipliniertes Stellungsspiel, akkurat eingehaltene Abstände, gute Kommunikation, Leidenschaft und bissige Zweikampfführung. „Jordan rasiert alles ab“, feixte der Coach, „und Lusti coacht.“
Ganz so simpel war die Aufgabenverteilung allerdings nicht. Frankfurts Angriffstrio aus Sébastien Haller, Ante Rebic und Luka Jovic im Zaum zu halten, forderte die gesamte Mannschaft. Eine Schlüsselrolle kam dabei den zentralen Mittelfeldspielern Arne Maier und Marko Grujic zu, die die Viererkette tatkräftig unterstützten. „Arne und ich mussten unheimlich kompakt stehen, weil die Frankfurter so schnell sind“, sagte Grujic, „aber das ist uns gut gelungen.“
Beste Abwehr-Bilanz seit 2000/01
Selbst die Reihe vor dem Mittelfeld-Duo arbeitete am Abwehrerfolg mit, zwang die Gäste durch aggressives Anlaufen immer wieder auf die Flügel. Dort schnappte die Falle dann meist zuverlässig zu. Mit zwei bis drei Spielern wurde der Ballführende attackiert – Endstation. Kamen die Angreifer doch einmal durch, warfen sich Torunarigha, Lustenberger oder zur Not Keeper Jarstein in die Bresche. „Wir haben versucht, ihnen die Lust zu nehmen“, sagte Torunarigha (21), „wir waren immer eklig, immer hart.“
Komplett ausschalten konnte Hertha die derzeit gefährlichste Angriffsreihe der Liga trotzdem nicht. Haller traf nur den Außenpfosten, Rebic fehlte im Abschluss mehrfach die Präzision und Jovic wurde kurz vor Schluss ein Elfmeter verweigert. „Wir haben auch ein bisschen Glück beansprucht“, gab Lustenberger zu, „aber das muss auch mal sein.“
Sei’s drum, unterm Strich stand das zweite Zu-Null-Spiel in Folge und das sechste der Saison – mehr hatten die Berliner nach dem 14. Spieltag noch nie (zuletzt gelang dies 2000/01). Dardai hat ohnehin nie an den Verteidigungsfähigkeiten seines Teams gezweifelt. „Hertha war stabil und wird immer stabil sein“, meinte der Ungar. Und die plötzliche Anfälligkeit im November? „Tagesform“, so Dardai. Ausrutscher.
Nun trifft Dardais Elf auf das harmloseste Team der Liga
Von der These, dass der Zwist zwischen Klubführung und Fans die Mannschaft zwischenzeitlich verunsichert hätte, halten sie bei Hertha wenig. „Ich weiß nicht, ob Unruhe herrschte“, sagte Lustenberger, „uns hat das nie groß beschäftigt.“
Was auch immer die Ursache gewesen sein mag: Inzwischen steht die Berliner Mauer wieder – und das trotz der Verletzungen der Stammkräfte Niklas Stark und Karim Rekik. Eine Entwicklung mit unmittelbarem Effekt, die neue, alte Stabilität verleiht der Mannschaft Sicherheit. „Wir haben in den letzten zwei Spielen gut gegen den Ball gearbeitet und haben wieder eine breite Brust“, sagt Selke, „das Selbstvertrauen wächst von Spiel zu Spiel.“ Ein Umstand, der dem nächsten Gegner Stuttgart (Sonnabend, 15.30 Uhr) den Angstschweiß auf die Stirn treiben dürfte. Die Schwaben sind bislang das harmloseste Team der Liga.