Bundesliga

Hertha-Trainer Pal Dardai liefert

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Uwe Bremer
Hertha-Trainer Pal Dardai (M.) bedankt sich bei Torwart Rune Jarstein (Nr. 22) und Davie Selke

Hertha-Trainer Pal Dardai (M.) bedankt sich bei Torwart Rune Jarstein (Nr. 22) und Davie Selke

Foto: Martin Rose / Bongarts/Getty Images

Die Klub-Verantwortlichen haben im Sommer eine Entwicklung bei Pal Dardai gefordert. Trainer und Team spielen erfolgreich wie nie

Berlin.  Anna lehnte an der Bande des Schenckendorff-Platzes. Sie war blass, ihr war kalt. „Wir haben nach dem Spiel noch gefeiert, ich hatte Geburtstag.“ 25 Jahre ist sie geworden. Ihr Geschenk an sich selbst: Sie war aus London nach Berlin geflogen – Hertha gucken. „Das war das beste Spiel, das ich im Olympiastadion gesehen habe“, sagt die Engländerin über das 4:2 (2:1) gegen ­Borussia Mönchengladbach. Zum 18. Mal in den vergangenen vier Jahren hatte sie ein günstiges Flugticket von der englischen in die deutsche Hauptstadt gebucht, um „ihren“ Verein anzufeuern.

Früher war sie regelmäßig bei Manchester United. „Im Old Trafford habe ich zuletzt 75 Pfund bezahlt.“ Das sind 83 Euro – und in Berlin? Anna: „25 Euro.“ Es geht aber nicht nur ums Geld. „Die Stimmung in der Bundesliga ist um so vieles besser als in der ­Premier League, das ist nicht zu vergleichen.“ Vor allem findet sie, dass „wir in diesem Jahr eine richtige Mannschaft haben, eine die Fußball spielt“.

Hertha ist erster Bayern-Verfolger

Dafür ist Pal Dardai zuständig. Der Trainer von Hertha BSC überrascht nicht nur mit einem Ergebnis-Höhenflug, der Hauptstadt-Klub ist mit zehn Punkten erster Bayern-Verfolger. Ob die Besucher wie Anna aus England angereist oder seit 1965 Stammgast im Olympiastadion sind: Alle staunen über die spielerischen Fortschritte: offensiv, variabel, mutig. Lauter Eigenschaften, die man bisher mit Dardai-Fußball eher nicht verbunden hatte.

Um zu verstehen, was mit dem Hertha-Jahrgang 2019 passiert, muss man etwas zurückgehen. In diesem Sommer hat nicht nur Trainer Dardai diverse Spieler in die Pflicht genommen: Dass bei Niklas Stark, Davie Selke, Arne Maier oder Valentino Lazaro der nächste Entwicklungsschritt kommen müsse. Herthas Chefetage hat auch den Trainer in die Pflicht genommen: mehr Einflüsse von außen aufnehmen, mehr Junge einsetzen und - mit Blick auf den Zuschauerschwund der vergangenen Saison – attraktiver spielen, besonders daheim.

Seit zwei Jahren will Dardai offensiver spielen

Nach fünf Pflichtspielen (den Pokalsieg bei Eintracht Braunschweig mit­gerechnet) fällt Herthas Zwischen­bilanz überraschend positiv aus. Wobei zu sagen ist: Schon immer falsch war die Annahme, dass der ehemalige Defensivspieler Dardai nicht wisse, wie Offensivfußball funktioniert. Richtig ist: Den Plan, so zu spielen, wie Hertha aktuell spielt, haben Manager Michael Preetz und sein wichtigster Angestellter seit zwei Jahren. Nur haben sich die Puzzleteile nicht gefügt. Weil Spielmacher Ondrej Duda in den ersten beiden Saisons in Berlin nicht ins Laufen gekommen war. Oder weil Zugänge wie Alexander Esswein oder Mathew ­Leckie nur punktuell, aber nicht auf Strecke helfen konnten.

„Wir haben das Spielerprofil getauscht“, erklärt Dardai die Veränderungen. Gegen Gladbach bereitete Marvin Plattenhardt den 1:1-Ausgleich von Vedad Ibisevic vor, Javairo Dilrosun legte zum 2:1 (für Valentino Lazaro) und zum 4:2 (für Duda) auf. Die Vorarbeit zum spektakulärsten Treffer vor 51.852 Zuschauern, dem 3:1 von Ibisevic, leistete Salomon Kalou. Hertha hat mehr Spieler, die den vorletzten und letzten Pass spielen können.

Lob für Javairo Dilrosun

Neben dem Formanstieg von Duda überraschte vor allem Dilrosun. „So einen Spieler, der eins-gegen-eins gehen kann, hatten wir vorher nicht im Kader, auch nicht in der Akademie“, lobte Dardai die Scoutingabteilung und Manager Michael Preetz für die Verpflichtung des Niederländers aus der Nachwuchsabteilung von Manchester City.

Die Leistungen von Dilrosun – drei Bundesliga-Spiele, ein Tor, drei Assists – werden auch in England registriert. Anna erzählte, ein Freund aus Manchester habe sie in der Nacht ­an­gerufen: Wie kann es sein, dass ­Man City einen so guten Spieler abgibt?

Marko Grujic wird den Berlinern lange fehlen

Ein anderer Schlüssel für den Hertha-Aufschwung ist Marko Grujic. Der Serbe, für eine Saison vom englischen Tabellenführer FC Liverpool ausgeliehen, verkörpert unauffällige Spitzenklasse. „Marko ist ein Ausnahmespieler, normalerweise bekommen wir solche Spieler nicht“, lobte Trainer Dardai. Umso schwerer wiegt der Ausfall von Grujic nach dem bösen Foul vom Gladbacher Patrick Herrmann. Der Mittelfeldspieler wird Hertha mit einem Bänder- und Kapselriss am Sprunggelenk längere Zeit fehlen.

Der erfreuliche Saisonstart ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. In der Ostkurve wurde ironisch gesungen: „Wir werden ungeschlagen sein, 100 Punkte BSC.“ Zum Verständnis: Dafür braucht es 33 Saisonsiege und ein ­Remis – mit der Bilanz von drei Siegen und einem Remis liegt Hertha auf Kurs.

Dardai fordert Realismus

Die Sensiblen unter den Hertha-Fans fragen ­hingegen: Wie lange hält die Haho-Herrlichkeit an? Mit der Reise zu Werder Bremen am Dienstag (18.30 Uhr, Sky) und dem Topspielam Freitag gegen Meister Bayern München warten anspruchsvolle Aufgaben. Nach über 20 Jahren in Berlin wehrte Dardai Journalisten-Fragen, ob Hertha in diesem Jahr tatsächlich Bayern-Jäger wird, routiniert ab. „Sie versuchen zu ­provozieren. Aber die Berliner Fans kennen mich. Das Wichtigste ist die Realität. Wir haben seit drei Jahren Stabilität. Und jetzt eine Mannschaft, die man richtig genießen kann. Bleibt ­realistisch!“