Auf dem Papier liest sich die Aufgabe einfach: In den vergangenen fünf Jahren haben zum Ende der Zweitliga-Saison stets 63 Punkte gereicht, um den Aufstieg in die Bundesliga sicherzustellen. Was soll da schief gehen für Hertha BSC, das als Tabellenführer in den 28. Spieltag geht? 56 Zähler haben die Berliner auf dem Konto, sieben Partien stehen noch aus. Ein Punkt pro Spiel – das sollte mit Links zu machen sein. Anders formuliert: Eigentlich ist Herthas Rückkehr in die Bundesliga sicher. Oder?
Trainer Markus Babbel machen solche Gedankenspiele unruhig. Noch sei überhaupt nichts klar. Auch nicht gegen den SC Paderborn, der am Sonntag als klarer Außenseiter im Olympiastadion aufläuft. SCP-Trainer Andre Schubert wird die Gäste-Elf auf rund 70.000 Zuschauer vorbereiten müssen – vor so einer Kulisse haben die Ostewestfalen in ihrer Klub-Historie noch nie gespielt.
Sein Kollege aus Berlin dagegen weiß nur zu gut um die Herausforderung. In der Hinrunde begannen gegen exakt diesen Gegner vier schwarze Wochen für den Aufstiegsfavoriten. Vier Niederlagen binnen fünf Runden holte sich Hertha ab: 0:1 gegen Paderborn, 0:2 gegen Osnabrück und Duisburg, 0:1 bei 1860 München. Dazwischen lag lediglich ein 2:0 gegen Bochum. Die Folge jener November-Krise: Herthas Sieben-Punkte-Vorsprung auf die Nicht-Aufstiegsplätze schmolz wie Schnee im Frühling, die Berliner stürzten ab auf Rang fünf.
Nun geht es erneut gegen die gleichen Gegner. Hertha ist gewappnet, signalisiert Trainer Babbel. „Es wäre ja schlimm, wenn wir keine Lehren daraus gezogen hätten.“ Gefestigter sei die Mannschaft. Vor allem torgefährlicher. Erzielten die Berliner in der Hinrunde lediglich 25 Treffer, durften die Ramos, Raffael und Lasogga in der Rückserie bereits 30 Tore bejubeln – und sieben Begegnungen stehen noch aus.
Auch wenn der eine oder andere Berliner Fan am Sonntag ein Schützenfest erwartet, Paderborn hat bei der letzten Reise nach Berlin gezeigt, wo deren Stärken liegen. Defensiv ordentlich organisiert nutzte der SCP gegen den 1. FC Union seine wenigen Chancen und gewann schmucklos, aber verdient mit 2:0. „Wir müssen sehr konzentriert an die Aufgabe herangehen“, mahnt Hertha-Kapitän Andre Mijatovic.
Bei den Gastgebern wird es eine neue Startformation geben. Ronny fällt wegen einer Sprunggelenksverletzung aus. So wird der zuletzt an Grippe erkrankte Georgier Levan Kobiashvili wieder seinen angestammten Platz links in der Vierer-Abwehrkette einnehmen.
Spannender ist die Frage, ob der Trainer es schafft, mit Peter Niemeyer, Fabian Lustenberger und Raffael drei Leistungsträger in der Startelf unterzubringen. Babbel hielt sich bei dieser Frage bedeckt. „Zwei von den dreien haben gute Chancen zu spielen. Vielleicht auch alle drei.“ Der Trainer ahnt, dass er Raffael, den besten Spieler dieser Liga, nicht dauerhaft als Auswärts-Stammkraft bringen kann, während der Brasilianer bei Heimspielen zunächst auf der Bank sitzt. Gegen den FSV Frankfurt nahm Raffael dort Platz und erzielte als Einwechselspieler das entscheidende 3:1. Bei der letzten Partie in Ingolstadt (1:1) stand Raffael in der Startelf, weil Niemeyer eine Gelb-Sperre absitzen musste.
In Herthas internen Planungen sind Raffael und Adrian Ramos Aktivposten für die (hoffentlich) kommende Bundesliga-Saison. Zwei Spieler, die die Qualität haben, auch im Oberhaus den siegbringenden Unterschied ausmachen zu können. Dort wird Hertha dann mehrheitlich nicht mehr das derzeitige 4-4-2-System spielen, sondern die sogenannte Tannenbaum-Taktik (4-3-2-1). Da ist vor der Abwehr eine starke Reihe mit Niemeyer, Raffael und Lustenberger vorgesehen. Doch wie klingt die Zukunftsmusik in der Gegenwart? Wie lange kann der Trainer Raffael erklären – vor der Saison von Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen umworben – dass gegen Paderborn sein Platz die Auswechselbank sei? Babbel sagt, er habe sich noch nicht festgelegt. Aber er freue sich, Spieler mit soviel Potenzial im Kader zu haben.
Eine Lösung wäre die Umstellung auf eine Taktik mit 4-2-3-1 oder ein 4-1-4-1. Wenn Hertha jedoch gegen Paderborn kein Spektakel hinlegt, wird die Kritik lauten: Wie kann Babbel gegen einen so durchschnittlichen Gegner lediglich einen Stürmer aufbieten? Der Trainer in der Zwickmühle. Denn das Vorhaben, der Traumkulisse ein Spektakel zu bieten, ist klar formuliert. „Es macht uns stolz, dass rund 70.000 Zuschauer kommen. Das ist Bestätigung und Wertschätzung für die Arbeit, die die Mannschaft bisher geleistet hat“, sagte Manager Michael Preetz. Verbunden mit der Aufforderung: „Wir wollen die Fans überzeugen, damit wir auch die ausstehenden Heimspiele voll bekommen.“ So gastieren im Olympiastadion noch der VfL Osnabrück (16. April), 1860 München (29.) und zum Saisonfinale am 15. Mai der direkte Konkurrent FC Augsburg. Nur sieben Punkte aus den verbleibenden sieben Spielen fehlen dem Hauptstadt-Klub – da geht was.
Unbedingt vermeiden will Hertha, dass es gegen Paderborn ein böses Erwachen gibt. Es soll der Mannschaft nicht ergehen wie beim Derby gegen den 1. FC Union (1:2). Als die Hausherren im zweiten Durchgang trotz Heimspiel und großer Kulisse verkrampft gewirkt hatten.
Trainer Babbel findet, dass das nicht schwer sein sollte: „Die Zuschauer sind positiv gestimmt. Die kommen, um uns anzufeuern. Wir müssen cool bleiben. Auf den Punkt konzentriert sein. Und Spaß haben an der Sache.“
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