Das Prozedere ist immer gleich. Eine Viertelstunde vor Anpfiff ergeht zum ersten Mal der Aufruf an die Stadionbesucher, sich bitte auf ihre Plätze zu begeben, auch zehn und fünf Minuten vor Spielbeginn erscheint die Botschaft auf den Videowänden im Olympiastadion. Seit dieser Saison ist der Aufforderung schon aus ureigenstem Interesse Folge zu leisten – steht doch sonst zu befürchten, nicht am ersten Torjubel teilhaben zu können.
Gegen Bielefeld (3:1) waren im Heimspiel zuvor noch vier Minuten bis zum Führungstreffer für Hertha BSC vergangen. Gestern, beim 4:0 (2:0) gegen die Freunde vom Karlsruher SC, ging es noch viel schneller. Ganze 16 Sekunden waren gespielt, da hob Adrian Ramos den Ball nach feinem Zuspiel von Raffael schon mit der Fußspitze über KSC-Torhüter Kristian Nicht – 1:0. Dagegen kassierten die Karlsruher nach dem Spiel in Cottbus (5:5), wo sie nach 19 Sekunden zurücklagen, schon das zweite extrem frühe Gegentor nacheinander. „Das frühe Tor hat geholfen, Sicherheit zu bekommen“, sagte Hertha-Trainer Markus Babbel, „ich hatte zu keinem Zeitpunkt im Spiel das Gefühl, dass wir das noch aus der Hand geben.“
Die Gäste hätten sich kaum beschweren dürfen, wenn es in ähnlich rasantem Tempo weitergegangen wäre. Allein der im von Babbel abermals gewählten 4-1-4-1-System nominell einzige defensive Mittelfeldspieler, Peter Niemeyer, kam zu drei guten Chancen (14., 28., 30.). Dazu vereitelte Nicht eine Doublette des ersten Tores; mit gutem Stellungsspiel verkürzte er gegen den herangesausten Ramos den Winkel (18.) – und hatte Glück, dass der Kolumbianer ihm später nach einem 55(!)-Meter-Sprint den Ball aus spitzem Winkel nicht noch durch die Beine schlawinerte (34.).
Da aber führte Hertha bereits 2:0, und wieder war der Treffer sehenswert: Einen langen Ball von Linksverteidiger Levan Kobiashvili erkämpfte sich Ramos mit viel Einsatz, dann wollte er wohl quer legen zum einen Schritt zu späten Raffael, stattdessen kam Nikita Rukavytsya in den Genuss, seine Qualitäten als „Arjen Robben der Zweiten Liga“ vorführen zu dürfen. Ein Schlenker nach innen, ein Schuss mit links – hinein ins volle Glück, 2:0 (23.). Auch gegen Bielefeld hatte Hertha zeitig mit zwei Toren geführt und sich in der Folge allzu sehr auf diesem Vorsprung ausgeruht. Dieser Verlauf schien sich nun zu wiederholen. Die Gastgeber spielten bis zum Pausenpfiff und auch danach noch gefällig, aber nicht zwingend genug gegen doch arg passive Karlsruher. Die Parallelität der Ereignisse endete in Minute 54. Da bediente Rukavytsya den nach rechts gelaufenen Stoßstürmer Rob Friend, der legte nach innen, wo Valeri Domovchiyski lauerte und volley vollendete.
Nach diesem dritten Saisontor des Bulgaren skandierten 33828 heitere Hertha-Fans berechtigt: „Spitzenreiter, Spitzenreiter“, lag ihre Mannschaft im Fernduell mit Energie Cottbus nun doch wieder ein Tor vorn. Dass nicht noch mehr gekommen waren, lag auch an dem für einen Wochentag ungünstigen Spielbeginn (17.30 Uhr), zu dem die Ostkurve per Spruchband diese Meinung hatte: „Auf Arbeit gab es wieder Streit wegen dieser Anstoßzeit.“
Es sollte der einzige Gram an einem für Hertha ansonsten wunderbaren Frühabend bleiben. Den 200.Zweitliga-Sieg der Vereinsgeschichte manifestierte Raffael mit dem 4:0 (77.) – er tat es nach Ramos' Pfostenschuss per Kopf auf für ihn ungewöhnliche Weise. Nach drei Heimspielen in der laufenden Saison stehen damit schon zehn Hertha-Tore. Und noch eine Premiere gab es: Erstmals hielt Maikel Aerts sein Tor 90 Minuten lang sauber. Dazu brauchte der Niederländer auch nicht mehr als ein wenig Glück bei Iashvilis Schuss ans Außennetz (68.) und eine gute Parade gegen Fink (84.). Niemeyer nannte das Geheimnis des Erfolgs: „Wir haben nachgeholt, was wir gegen Union versäumt haben: Wir haben Fußball gespielt.“ Und Aerts ergänzte: „Es war unser bisher bestes Spiel. Heute haben Offensive und Defensive funktioniert.“