Champions League

Ein Tempelherr namens Messi

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Florian Haupt
Superstar Lionel Messi (l.) steht mit dem FC Barcelona vor dem Sprung ins Finale der Champions League

Superstar Lionel Messi (l.) steht mit dem FC Barcelona vor dem Sprung ins Finale der Champions League

Foto: Catherine Ivill / Getty Images

Sogar Liverpools Trainer Klopp schwärmt nach der Halbfinal-Gala von Messi. Barcelonas Superstar gelingt dabei etwas Ungewöhnliches.

Barcelona. Wie es seine Gewohnheit ist, drehte Jürgen Klopp nach dem Abpfiff noch eine Runde über den Platz. Nachdem er die eigene Mannschaft abgeklatscht hatte, schüttelte er die Hand der Schiedsrichter, dann die der Barça-Spieler. Natürlich achtete er ganz besonders darauf, dass er dabei auch Lionel Messi begegnete.

Klopp ist Messi-Fan, das hatte er schon vor dem Champions-League-Halbfinale seines FC Liverpool in Barcelona betont. Der Vater habe ihm immer von Pelé vorgeschwärmt, den habe er aber nie spielen sehen – für ihn sei Messi der Beste der Geschichte. Und als dieser Messi dann kurz vor Spielende einen sagenhaften Freistoß zum 3:0-Endstand und seinem 600. Tor für Barça verwandelte (auf den Tag genau 14 Jahre nach dem ersten), da gab sich Klopp geschlagen. Da schüttelte er grinsend den Kopf.

Am Donnerstag feierten die Medien den „Papst des Fußballs“, so die spanische Sportzeitung „As“, „Wahnsinn“ und „Diabolisch“, titelten jeweils „Sport“ in Barcelona und „L’Équipe“ in Frankreich. Und der „Mirror“ in England musste gestehen: „Es war, als hätten die Götter ein Urteil gefällt: Niemand macht Lionel Messi den Platz als Größter streitig.“ Mohamed Salah habe es ja versucht. „Aber es gibt nur einen Messi. Einen der Größten aller Zeiten. Einen skrupellosen Killer vor dem Tor mit Eis in den Adern.“

Klopp zeigt wenig Lust für kesse Parolen

Zwischen Bewunderung und Fatalismus schwankte auch Klopp, als er über die eigene Mannschaft sprach. „Als Trainer kann ich nur komplett happy sein, wie wir gespielt haben. Ich glaube, meine Jungs verdienen eine Menge Respekt“.

Das taten sie in der Tat, denn Liverpool zwang den Gastgebern seinen energetischen Spielstil auf, dominierte lange Phasen der Partie und gewann im Mekka des Ballbesitzfußballs sogar dieses statistische Kapitel, mit 52:48 Prozent. Aber es vergab in jeder Halbzeit durch seine Stars Sadio Mané und Mohamed Salah jeweils eine hundertprozentige Torchance, und so musste Klopp letztlich alle Komplimente zurückweisen: „Es ist schwer gegen uns zu spielen, okay. Aber wir haben 0:3 verloren.“

Wie immer in solchen Fällen stellte sich die Frage, ob die Umstände der Niederlage sie erträglicher machen oder nur noch schlimmer? Ob eine Mannschaft, die „viel besser nicht spielen kann“ und „unser bestes Auswärtsspiel in der Champions League“ zeigte (Klopp), daraus nun Hoffnung ziehen soll oder Ernüchterung, weil das alles nicht gereicht hat.

Klopp droht auch die Meisterschaft zu verpassen

Bei Liverpool schienen sie nach Spielschluss zu letzterem zu neigen. „Ich bin froh, dass ich nicht jede Saison gegen ihn spielen muss“, sagte Abwehrchef Virgil van Dijk über Messi.

Zumal die Mannschaft bei einem Punkt Rückstand auf Manchester City auch die englische Meisterschaft knapp zu verpassen droht, zeigte auch Klopp wenig Lust auf kesse Parolen: „Es ist jetzt nicht der Abend, um den Mund aufzureißen und zu sagen, wir sind genau in der Situation, in der wir sein wollten, und dann wenn wir im Rückspiel ein frühes Tor schießen und so weiter...“

Man darf davon ausgehen, dass er bis zum zweiten Treffen nächsten Dienstag aber zumindest mal an so ein frühes Tor denken wird. Schon bei der Analyse des Hinspiels landet man mit ein bisschen Abstand unweigerlich bei der Mystik des Europapokals. Just bei dem Aspekt also, den Klopp mit seinem vielzitierten Ausspruch, das Camp Nou sei „kein Tempel“, minimieren wollte.

Messi lässt sich auf physisches Spiel ein

Doch wenn es mit 98.299 Menschen so voll ist wie am Mittwoch, wenn diese in ausgesuchten Momenten einen höllischen Lärm produzieren, wenn noch dazu ein Spieler wie Messi mit all seiner Klasse und einem besonderen Furor agiert, dann geht es auffällig oft so aus wie am Mittwoch.

32 Heimspiele am Stück hat Barça in der Champions League nicht verloren, nur dreimal währenddessen Remis gespielt, und Liverpool ist bei weitem nicht die erste Mannschaft, die sich unter Wert geschlagen sieht. Letztes Jahr reiste beispielsweise der AS Rom mit einem 1:4 ab, obwohl er eine durchaus ansprechende Partie geliefert hatte.

Das Rückspiel gewannen die Italiener dann vor eigenem Publikum mit 3:0, indem sie Barça regelrecht überrollten. Das fortschreitende Alter der Katalanen ist ihre Achillesferse – 29 Jahre im Schnitt waren es gegen Liverpool – und ein extrem hochmotoriger Rhythmus sowieso nicht ihr Ding. „Ein bisschen erstickt“ habe Liverpool seine Mannschaft, erklärte Messi am Mittwoch: „Sie haben ein physisches Spiel angeschlagen, und wir sind darauf eingegangen, obwohl wir das nicht gewohnt sind.“

„Wir sind noch nicht weiter“

Die körperliche Unterlegenheit der Gastgeber war teilweise frappierend. In der Vorwärtsbewegung zeigte sich Barça oft langsamer als die Gäste auf dem Weg zurück. Schon Mitte der zweiten Halbzeit nutzte es jede Chance für Spielunterbrechungen. Das machte den mit Routine, Klasse und Leidenschaft errungenen Sieg umso größer – öffnet Liverpool aber auch eine kleine Tür für das Treffen an der Anfield Road, wenn die irrationalen Elemente des Europacups auf seiner Seite haben wird.

„Wir sind noch nicht weiter, längst nicht“, sagte Barça-Trainer Ernesto Valverde, und erinnerte an die Schmach von Rom. „Diese Erfahrung muss uns helfen – und auch das Wissen um Anfield“. Demut und Kampf, angeführt von dem seit Saisonbeginn wild zum Champions-League-Sieg entschlossenen Messi, sollen es im Rückspiel richten. Bis dahin werden bestimmt auch die Liverpooler Fans ihren Glauben an das Schicksal wiederfinden.

Im Camp Nou am Mittwochabend mussten sie noch lange warten, ehe sie aus dem Stadion gelassen wurden. Manchmal stimmten einige zaghaft einen Fangesang an, doch im nächsten Moment war es schon wieder stumm. Zu tief saß wohl der Schmerz. Und der Respekt vor einem Tempelherrn namens Lionel Messi.

Ich bin froh, dass ich nichtjede Saison gegen ihnspielen muss
Liverpools Abwehrchef Virgil van Dijküber Lionel Messi