Die Partie war schon gelaufen, als Nikita Rukavytsya in der 64. Minute an der Seitenlinie nervös an seinem Trikot zerrte und darauf wartete, für seinen australischen Nationalmannschaftskollegen Richard Garcia eingewechselt zu werden. Im ersten Gruppenspiel der WM in Südafrika gegen Deutschland lag sein Team bereits 0:2 zurück und war nur noch zu zehnt. Keine sechs Minuten nach seiner Einwechslung stand es 0:4; Rukavytsyas WM-Debüt war misslungen. „Kein besonders schönes Spiel“ sei das gewesen, sagt der 23-Jährige heute: „Die Deutschen waren unglaublich schnell und diszipliniert. Wir hatten keine Chance.“ Australien schied bereits in der Vorrunde aus.
Für Rukavytsya, der im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie aus Mykolajiw in der Ukraine nach Perth auswandert war, stellte diese bittere erste WM-Erfahrung eine Zäsur da. Zuvor schien die noch junge Karriere des Flügelspielers in den Niederungen der belgischen Liga zu versanden. Sein Stammverein, Twente Enschede aus den Niederlanden, hatte den Linksfuß an den Abstiegskandidaten KSV Roeselare verliehen und danach aussortiert. Über den Sohn des früheren Hertha-BSC-Profis Eyjölfur Sverrison, den Rukavytsya in Roeselare kennengelernt hatte, kam der Kontakt zu den Berlinern zustande. Der Bundesliga-Absteiger verpflichtete den Mittelfeldmann im Sommer als Ergänzungsspieler.
Nicht einmal Hertha-Trainer Markus Babbel glaubte daran, dass der Australier mit ukrainischem Pass viel Einsatzzeit in der Zweiten Liga bekommen würde. Doch Rukavytsya rückte in die erste Elf, überzeugte sofort auf der rechten Außenbahn und erzielte am fünften Spieltag sein erstes Tor. „Ruka hat eine bemerkenswerte Entwicklung bei uns gemacht“, sagt Babbel. Ein Zweitligaspieler könne zumeist alles durchschnittlich gut, sagt er. Rukavytsya habe zwei besonders herausragende Waffen: „Seine unglaubliche Schnelligkeit und seinen starken linken Fuß.“
Mit seinem Laufstil leicht nach vorn gebeugt erinnert Rukavytsya bisweilen an einen Windhund, der die Außenbahnen beharrlich hoch- und runterjagt. Erfolgreich: Er erzielte in 25 Einsätzen für den Ersten der Zweiten Liga vier Treffer und bereitete zehn vor; zusammen mit Teamkollege Adrian Ramos ist er zweitbester Vorbereiter der Liga. „Diese Saison läuft bisher super für mich“, sagt Rukavytsya. In Berlin hat er viel Selbstbewusstsein dazugewonnen: „Heute bin ich ein viel besserer Spieler als noch bei der WM.“ Und tatsächlich, an guten Tagen ist Rukavytsya der auffälligste Flügelspieler der Liga.
Starke Leistungen in der Rückrunde
Im australischen Fußballverband haben sie Rukavytsyas Entwicklung aufmerksam beobachtet. Nach der WM löste Holger Osieck den Niederländer Pim Verbeek als Cheftrainer ab. Der Deutsche setzt neben den altgedienten Stars wie Torwart Mark Schwarzer vom FC Fulham und Stürmer Harry Kewell von Galatasaray Istanbul verstärkt auch auf junge Profis, die in Europa ihr Geld verdienen. So erhielt auch Borussia Dortmunds Ersatztorwart Mitch Langerak für das Testspiel gegen Deutschland erstmals eine Einladung. Weil gegen die DFB-Auswahl neben dem Mittelfeldstrategen Tim Cahill auch noch Jason Culina verletzt fehlt, hat Osieck sogar den 22 Jahre alten Robbie Kruse vom Zweitligaverein Fortuna Düsseldorf nachnominiert. Kruse hatte erst vor wenigen Tagen einen Dreijahresvertrag in Düsseldorf unterschrieben. Aufgrund der Absagen hat Rukavytsya gute Chancen, in Mönchengladbach zu seinem achten Länderspieleinsatz zu kommen.
Beim Asien-Cup in Katar im Januar, an dem die „Socceroos“ zum ersten Mal teilnahmen, hatte Osieck noch auf ihn verzichtet. Doch mit starken Leistungen in der Rückrunde schaffte der Herthaner den Weg zurück ins Team. Unter Osieck spiele die Mannschaft körperbetonter und disziplinierter, sagt der 23-Jährige. „Vielleicht ein bisschen mehr deutsch.“ Das Team habe sich im Vergleich zum 4:0 in Südafrika weiterentwickelt und Deutschland diesmal mehr entgegenzusetzen, glaubt Rukavytsya.
Ob er vor der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine 2012 nicht manchmal daran gedacht habe, lieber für sein Geburtsland Ukraine statt für Australien aufzulaufen? „Als ich ein Kind war, wollte ich immer für die ukrainische Nationalmannschaft spielen. Mein Herz hängt immer noch daran. Dennoch bin ich heute auch sehr stolz, für meine neue Heimat Australien spielen zu dürfen.“