Perth/Berlin. 30 Grad Celsius, Sonne satt. Die Bedingungen zum Jahreswechsel sind angenehm für André Kreidler. In Australien befindet er sich gerade, in Perth, aber nicht des Feierns wegen. Er mag es eher ruhig an Silvester. „Außer der Jahreszahl ändert sich doch nichts“, sagt der Berliner. Eine kleine Party besucht er trotzdem, aber eine, auf der er ganz gut aufgehoben ist mit seiner Ansicht. Auf der es alle ruhig angehen lassen, weil alle zum Arbeiten in Perth sind. Wie Kreidler. Dafür ist die Feierrunde exklusiv. Auf der Gästeliste stehen Roger Federer, Alexander Zverev und Angelique Kerber.
Das Tennis führt Kreidler also nach Down Under. Der Hopman Cup läuft dort, wo Kerber am Sonntag mit Zverev gegen das spanische Team David Ferrer/Garbine Mugurza antritt. Für die meisten Spieler beginnt damit die Einstimmung auf die Australian Open (14.-27. Januar). Drei bis fünf Wochen verbringen einige Profis jetzt in Australien, so lange wird auch Kreidler bleiben. An der Seite von Kerber, Deutschlands Nummer eins bei den Frauen, der aktuellen Nummer zwei in der Welt. Als ihr Physiotherapeut, aber auch als ein Freund.
2018 als Erfolgsjahr
Seinen Beruf auf das Geschäftliche zu reduzieren, ist für André Kreidler eine befremdliche Vorstellung. Das Tennis hat ihn geprägt in dieser Hinsicht. „Ich habe mich irgendwann entschieden, nur mit Leuten zusammenzuarbeiten, mit denen ich mich wohlfühle“, erzählt er. Da er selbst aber ein umgänglicher Typ ist, so einer, der schnell in die Kategorie Kumpel rutscht, zählt sein Klientenkreis eine ganze Menge an Leuten. Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft etwa, auch das Team des EHC Eisbären in der Deutschen Eishockey Liga (DEL).
Mit diesen Klienten erlebte der Berliner 2018 große Momente. Im Februar war er mit in Südkorea und durfte die olympische Silbersensation der Eishockeyspieler begleiten. Im Juli rannen ihm auf der Tribüne dicke Tränen der Rührung über das Gesicht, als Kerber auf dem Rasen von Wimbledon mit ihrem Turniersieg Tennisgeschichte schrieb. Im Dezember wurden beide als deutsche Mannschaft und Sportlerin des Jahres ausgezeichnet. „Ich bin schon etwas stolz“, sagt Kreidler. Er durfte Teil von ganz besonderen Ereignissen sein, zu diesen außergewöhnlichen Erfolgen beitragen.
Erdung in einer Praxis in Hohenschönhausen
Trotzdem steigen die Preise jetzt nicht. Kreidler ist nämlich nicht nur für Topathleten da, seine heilenden Hände kommen Jedermann zugute. „Um das Gefühl nicht zu verlieren zu normalen Menschen“, sagt er. Zu ganz normalen Sorgen und Problemen. „Das ist mir wichtig, denn ich möchte bodenständig bleiben“, so der Physiotherapeut, der zeitweise in Hohenschönhausen in einer Praxis mitarbeitet. Die Behandlung bei seinem Chef dort ist immer noch teurer als die bei ihm. Werbung gibt es auch keine. „Ich brauche das nicht“, sagt Kreidler. Er ist bescheiden.
Über den Chef Thomas Wöhrl, den hauptamtlichen Physiotherapeuten der Eisbären, kam er 2016 auch zum EHC. Die beiden kennen sich schon lange, aus Zeiten, als es die Preussen noch gab. Dort fing Kreidler, geboren in Moabit und aufgewachsen in Reinickendorf und Zehlendorf, einst im Nachwuchs an. Weil er von Kollegen gehört hatte, die sich im Sport engagierten, kam er auch auf die Idee. Daraus entwickelten sich schnell Karrierepläne: „Mein Ziel war es, mit 35 irgendwo in der ersten Liga zu sein.“ Nun ist er 37 Jahre alt und hat beruflich die halbe Welt bereist.
Der Fluch der vielen Reisen
Berlin, die Unterstützung in der Praxis, bei den Eisbären sind dabei sein Anker. Er hat gemerkt, dass er das braucht. Nach vielen Weiterbildungen war Kreidler zwischen 2005 und 2011 beim ERC Ingolstadt und zeitweise beim Eishockey-Nationalteam tätig, „ein minimales Heimweh“ plagte ihn da. Als sich 2011 die Chance bot, im Tennis einzusteigen, nutzte er das für den Umzug zurück in die Heimat.
Doch die vielen Reisen, zunächst mit Michail Juschni (Russland), später unter anderem mit Janko Tipsarevic (Serbien), hatten auch einen Nebeneffekt. „Anfangs war ich 30 bis 40 Wochen im Jahr weg. Wenn man so konstant viel unterwegs ist, brechen halt die eigenen sozialen Netzwerke ein bisschen zusammen“, erzählt er. Wenn irgendwo Freunde feierten, wurde er gar nicht mehr angerufen, weil er sowieso nie konnte. „Irgendwann überlegst du dann, ob es das wert ist.“ Jetzt reist er nur noch halb so viel herum, hat mehr in Berlin zu tun – und zu Feiern wird Kreidler auch wieder eingeladen.
„Ich lebe meinen Traum“
Dafür konzentriert er sich auf das Wesentliche, die Arbeit mit Kerber, die bei der Eishockey-Nationalmannschaft, mit der er schon einige Weltmeisterschaften erlebte. Seit 2012 kennt Kreidler die Tennisspielerin bereits, sie war damals im selben Management wie Juschni. „Wir haben uns auf Anhieb ziemlich gut verstanden“, erzählt der Physiotherapeut, der früher schon gern in der Familie alle massiert hat. Bei Turnieren gehörte er 2013 das erste Mal zu ihrem Team, seit 2016 sind sie nach einer Fortbildungspause wieder regelmäßig unterwegs, aber nicht ganzjährig. „Wir sprechen über alles, weil wir viel Zeit miteinander verbringen“, sagt Kreidler. Im Prinzip hockt das kleine Team auf Reisen den ganzen Tag zusammen, geht neben dem Training gemeinsam Essen, Shoppen oder betätigt sich kulturell. Alles fühlt sich familiär an. „Diese freundschaftliche Ebene ist mir wichtig geworden“, sagt Kreidler. Aus dieser Nähe ergibt sich, dass er den Wimbledonsieg emotionaler empfand als das Olympiasilber. Die Beziehung ist intensiver im Tennis als zu einer ganzen Mannschaft.
Für eine eigene Beziehung lässt ihm seine Arbeit kaum Spielraum. Kreidler lebt allein, „weil ich weiß, dass ich sonst weder dem einen noch dem anderen gerecht werden könnte“. Einmal stand er kurz davor, das Tennis abzuschreiben und zu schauen, was im Privatleben passiert. Doch dann gingen ihm die besonderen Möglichkeiten durch den Kopf, die er hat. „Ich lebe gerade meinen Traum“, sagt Kreidler. Vielleicht führt der ihn noch zum Fußball, das wäre ein Ziel. Obwohl die Spieler dort schwierig seien, habe er gehört. Ganz anders etwa als Tennisprofis, mit denen man Silvester auch ruhig verbringen kann.