Berlin. Erst einmal durchatmen. Seit einer Woche hetzt Kevin Poulin durch sein Leben. Neuer Kontinent, neues Land, neue Liga, neue Leute, neue Gegner. Jeden Tag Veränderung, seit er vergangenen Dienstag in Kanada ins Flugzeug gestiegen ist, um in Berlin seinen neuen Job anzutreten. Am Montag konnte er nun endlich für ein paar Stunden zur Ruhe kommen. Kein Training, kein Spiel, einfach durchatmen.
Die jüngsten Tage waren anstrengend für den 28-Jährigen. Allein wegen der sich wandelnden Lebensumstände, der Reiserei. Aber auch, weil er beruflich nun wieder ein anderes Tempo anschlagen muss. „Das erste Spiel ist immer ein bisschen schwer, aber sonst war es halb so schlimm“, sagt der Torhüter. Zwei Partien absolvierte er am Wochenende mit dem EHC Eisbären in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Beide gewannen die Berliner, obwohl Poulin im Prinzip einen Kaltstart hinlegen musste.
Ein durchaus beeindruckender Aspekt, denn der Kanadier hielt sich vor seiner Verpflichtung zwar fit, war aber nur zwei- bis dreimal in der Woche auf dem Eis. Er bestritt keine richtige Saisonvorbereitung in einem Camp. Das hat er auch gemerkt in den beiden Spielen. „Dafür, dass ich erst so kurz hier bin, erging es mir sehr gut. Ich habe mich aber noch nicht so wohl gefühlt auf dem Eis wie normal“, sagt Poulin. Gegen Bremerhaven (5:2) hielt er dennoch 33 Schüsse, gegen Augsburg (2:1 n.V.) waren es sogar 37. Seine Fangquote liegt nach zwei Partien bei 95,9 Prozent, was der Spitzenwert der Liga ist.
Poulin gibt der Mannschaft Vertrauen
Offenbar ist den Berlinern da ein richtig guter Fang geglückt mit Poulin. Seine Vita mit 52 Einsätzen in der NHL sowie Olympiabronze 2018 deutet auf seine Qualität hin, dass er den Eisbären so schnell helfen kann angesichts seiner Defizite in der Vorbereitung, überrascht dennoch. Vor allem in Augsburg, als die Berliner oft in Unterzahl spielten, waren Poulins Paraden ein wichtiger Schlüssel zum Sieg. Er strahlte in der hektischen Partie viel Ruhe aus, war zuverlässig in seinen Aktionen und gab der Mannschaft damit, was sie brauchte: jemanden, auf den sie vertrauen kann.
Gewissermaßen gab Poulin den Eisbären die Sicherheit zurück, genau das war sein Auftrag. Alle sechs Punktspiele waren zuvor wettbewerbsübergreifend verloren worden. Der junge Maximilian Franzreb (22) hatte bei seinen beiden DEL-Einsätzen am ersten Liga-Wochenende eine Fangquote von 83,3 Prozent. Poulin holte das Team aus dem Tief. Nicht allein wegen der starken Werte, wie Trainer Clément Jodoin anmerkt: „Ein Torwart kann man nicht nur nach der Anzahl der Paraden bewerten. Die Schlüsselparaden zählen, diejenigen, die dem Spiel eine andere Richtung geben können.“ Diese strategisch wichtigen Szenen liefert der neue Mann.
In wichtigen Situationen der Unterschied
Deshalb wird Franzreb nur noch sporadisch zwischen den Pfosten stehen. Wenn Marvin Cüpper (24), dessen Verletzung die Verpflichtung Poulins erst notwendig gemacht hat, in gut drei Monaten zurückkehrt, müssen sich die beiden Goalies, die sich eigentlich die Nummer-eins-Rolle teilen sollten, mit sehr wenigen Einsätzen zufrieden geben. Wahrscheinlich wird einer der beiden sogar an einen Kooperationspartner abgegeben werden. „Poulin ist in wichtigen Situationen ein Mann, der den Unterschied ausmacht“, sagt Jodoin. Fast wirkt er etwas erleichtert, dass das Experiment mit zwei jungen deutschen Torhütern sich von selbst erledigt hat.
Die Aussichten, in den Titelkampf der DEL einzugreifen, sind mit Poulin schließlich deutlich größer. Zumal er seine volle Leistungsfähigkeit mit dem Wechsel nach Berlin erst noch erreichen sollte. „Ich werde jetzt natürlich mehr trainieren, das hilft mir, dass notwendige Selbstvertrauen zu bekommen“, erzählt der Kanadier. Am Montag konnte er aber erstmals seit dem Abflug daheim einen Tag weitgehend nach seinem Geschmack gestalten, ohne Training oder irgendetwas Anstrengendes. Der früherer EHC-Verteidiger Bruno Gervais, ein Freund von Poulin, gab ihm viele Tipps, was man in Berlin so machen kann, wenn man Zeit hat und nicht nur hetzen muss.