Berlin. Kaweh Niroomand erzählt gern die Geschichte, wie er sich mit Sergej Grankin im Mai nach gewonnener deutscher Meisterschaft auf eine Vertragsverlängerung geeinigt hat. „Die Saisonabschlussfeier stand bevor“, sagt der Geschäftsführer der BR Volleys, „wir saßen in einer Pizzeria, und ich machte ihm klar, dass ich eine Entscheidung brauche. Sergej, auf der Party gleich wollen die Fans was hören.“ Er hatte keinen Vertrag, nicht mal ein Blatt Papier dabei, doch wenigstens zwei Visitenkarten. Die eine schob er dem russischen Volleyballstar zu, die andere behielt er selbst. „Da schreibt jetzt jeder eine Summe drauf“, erklärte er Grankin. Das taten sie, es ging um das zukünftige Gehalt, geschätzt im unteren sechsstelligen Bereich. „Wir lagen ziemlich nah beieinander“, berichtet Niroomand lachend. Handschlag, die Sache war beschlossen: Jetzt greifen wir gemeinsam an. Nicht nur in Deutschland, auch in Europa.
Sergej Grankin sieht Chancen gegen Kemerowo
An diesem Mittwochabend (19.30 Uhr, Schmeling-Halle) fällt zwar noch nicht die Entscheidung darüber, ob der Plan aufgegangen ist. Doch im Gruppenspiel gegen den russischen Meister Kuzbass Kemerowo werden Weichen gestellt. Für den Gewinner stehen die Signale Richtung Viertelfinale der Champions League auf Grün. Der Verlierer rangiert sich zunächst auf ein Abstellgleis und muss ein kleines Wunder vollbringen, seinen Zielbahnhof noch zu erreichen. Besonders dann, wenn er BR Volleys heißt. In der ausgeglichenen Vorrundengruppe B sollte man zu Hause besser keine Punkte hergeben.
Sergej Grankin weist Gedanken daran zurück. „Wir haben immer eine Chance“, sagt der 34-Jährige, „es liegt an uns, daran, wie wir auftreten.“ Schließlich hat Kemerowo auch bei Ach Ljubljana vor einer Woche 2:3 verloren. Grankin macht kein Geheimnis daraus, dass er besonders motiviert ist. „Das ist für mich so wie ein Spiel der BR Volleys gegen den VfB Friedrichshafen. Das will man unbedingt gewinnen.“ Sein Mitspieler Georg Klein beschreibt die Emotionen des Russen so: „Wir sind alle mega-motiviert. Aber Sergej brennt richtig.“
Sergej Grankin ist ein Star ohne Allüren
Es ist nämlich so, dass Grankin keineswegs der verschlossene, sich nur mit seinem Job beschäftigende Star ist. Er lebt auf in der Mannschaft, ist längst angekommen in Berlin, voll integriert und genießt das. „Ich bin sehr glücklich hier“, sagt er, „mit meinen Kollegen, mit der Stadt, dem Verein.“ Fehlt ihm denn Moskau gar nicht? „Ich vermisse Moskau nicht“, kommt schnell als Antwort, „ich vermisse nur meine Familie.“ Frau und Tochter leben in der russischen Metropole und kommen ihn so oft es geht besuchen.
Andererseits seien auch die BR Volleys für ihn „wie eine Familie“. Auf dem Parkett übernimmt Grankin dabei die Rolle des großen Bruders für alle anderen, gibt Tipps, feuert an, strahlt Ruhe aus. „Er macht jeden von uns besser“, sagt Kapitän Moritz Reichert. „Er hat keinerlei Starallüren“, ergänzt Klein, „bei ihm ist es völlig egal, ob er mit einem gestandenen Nationalspieler spricht oder mit jemandem, der frisch vom College gekommen ist. Er sieht nur den Menschen.“ Ein Vorbild als Persönlichkeit. „Sergej“, sagt Niroomand, „ist nicht der Typ tänzelnder Sonnyboy. Aber er ist offen, warmherzig, fröhlich. Humor hat er auch.“
In nur elf Monaten zur DNA des Teams geworden
Und nicht zuletzt ist Sergej Jurjewitsch Grankin ein außergewöhnlicher Volleyballspieler, präzise, professionell, exzellent ausgebildet. Mit sieben Jahren begann der Junge aus dem Kaukasus mit seinem Sport, wurde bald zum Steller geformt, weil er das Spiel so gut versteht und lesen kann. Doch alles andere beherrscht er auch, kann hart wie raffiniert aufschlagen, blocken wie ein Spezialist, im Notfall technisch sehr sauber schmettern. Als in der Saisonvorbereitung die Amerikaner Benjamin Patch und Kyle Ensing nicht da waren, übernahm er aushilfsweise den Posten des Diagonalangreifers. Die Kollegen und die Gegner staunten nicht schlecht: Das kann der Kerl auch!
Sollte vielleicht Trainer Cédric Enard diese Variante überdenken, zumal die Berliner auf der Zuspielposition ja auch noch einen Pierre Pujol haben, den Europameister von 2015? Patch fällt verletzt aus, Ensing ist nicht topfit. Das gleicht aus, dass bei Kemerowo mit Wiktor Poletajew ebenfalls ein Top-Diagonalangreifer fehlt. Doch Enard wird kaum auf die Idee kommen: Zu wichtig sind die exakten Zuspiele Grankins, seine Rolle als Anführer. Alles zusammen ist die DNA der BR Volleys, nach nur elf Monaten, die er im Klub ist.
Berlin brauchte Grankin, Grankin brauchte Berlin
Bei seinem Stammverein Dynamo Moskau, mit dem er dreimal das Final Four der Champions League erreicht hatte, Meister und Pokalsieger geworden war, hatten sie den Olympiasieger von 2012 und Olympia-Dritten von 2008 im vergangenen Jahr aussortiert. „Das war sehr hart für mich“, erinnert sich der 34-Jährige ungern. „Berlin war meine erste Station im Ausland. Ich bin sehr dankbar, dass sie mir hier eine Chance gegeben haben.“ Bedankt hat er sich auch nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft. Niroomand sah ihn verblüfft an: „Sergej, wir müssen doch dir danken!“
Das sieht Sergej Grankin etwas anders. „Berlin brauchte mich, und ich brauchte Berlin.“ Der Wechsel hat nicht nur dem zehnmaligen deutschen Meister gut getan, auch dem Spieler selbst, der im Januar 35 Jahre alt wird. Seine Leistungen in Berlin sind in der Heimat nicht unbemerkt geblieben. Er wurde wieder in die russische Nationalmannschaft berufen und darf sich Hoffnungen machen, in Tokio 2020 noch einmal an Olympischen Spielen teilzunehmen.
Über seine Zukunft hält er sich noch bedeckt
Wenn das gelänge, würde er danach aufhören, hat Grankin verkündet, aber gleich darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung nur das Nationalteam beträfe. In Berlin haben sie das gern vernommen, obwohl sich der Star der BR Volleys mit Versprechen zurückhält, was seine Zukunft betrifft. „Darüber denke ich jetzt noch nicht nach, wirklich nicht“, wehrt er Fragen ab, „jetzt spielen wir erst mal die Champions League.“ Kaweh Niroomand kann ja trotzdem schon mal einen Tisch in der Pizzeria reservieren. „Mehrere von seiner Preisklasse könnten wir uns nicht leisten“, sagt der Manager, aber so viel steht für ihn nach nicht mal einem Jahr Zusammenarbeit fest: „Das war gut angelegtes Geld.“
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