Berlin. Ein einziges Mal in ihrem Leben war Tirunesh Dibaba zu langsam. Und legte damit ungeahnt den Grundstein für eine großartige Karriere. Als sie 14 Jahre alt war, wollte sich die Äthiopierin in der Hauptstadt Addis Abeba eigentlich für die Mittelschule einschreiben, verpasste die Frist aber um wenige Tage. Zurück in ihr Dorf wollte sie aber nicht, weil sie fürchtete, die Eltern würden sie zu einer frühen Heirat zwingen. Also blieb Dibaba in Addis Abeba, trainierte im Sportklub der Gefängnispolizei und wurde dort zu einer der besten Läuferinnen aller Zeiten.
Dreimal gewann sie Gold bei den Olympischen Spielen über 5000 und 10.000 Meter, fünf Mal den WM-Titel, dazu kommen vier WM-Siege im Crosslauf. 2014 wechselte sie auf die Straße und zum Marathon. In London gelang ihr im vergangenen Jahr mit 2:17:56 Stunden die drittschnellste jemals gelaufene Zeit. Beim Berlin-Marathon am Sonntag will sie diese Leistung bestätigen, was Streckenrekord bedeuten würde, der bislang bei 2:19:12 steht (Mizoki Niguchi/2005). „Wenn es Gottes Wille ist, werde ich meine Bestzeit erreichen und vielleicht sogar unterbieten“, sagt sie.
Im Rennen der Männer geht es am Sonntag sogar um den Weltrekord. Eliud Kipchoge aus Kenia will schneller laufen als Landsmann Dennis Kimetto, der vor vier Jahren an gleicher Stelle die bestehende Bestmarke von 2:02:57 aufstellte. Zweimal schon konnte Kipchoge in Berlin gewinnen, verpasste aber beide Male den Weltrekord. 2015 gab es Probleme mit den Schuhen – schon nach 800 Metern rutschten die Innensohlen heraus, was höllische Schmerzen verursachte. Im vergangenen Jahr spielte dann das Wetter nicht mit.
Männer haben in Berlin sechs Lauf-Weltrekorde aufgestellt
Seit 2003 haben die Männer in Berlin gleich sechs Weltrekorde aufgestellt. Auch dieses Mal stehen die Chancen wieder gut, schließlich sind neben Eliud Kipchoge noch weitere Topläufer im Feld. Wilson Kipsang (Kenia) zum Beispiel, der 2013 in Weltbestzeit siegte, oder Halbmarathon-Weltrekordler Zersenay Tadese aus Eritrea. Besonders stolz war Renndirektor Mark Milde aber auf die Besetzung bei den Frauen, wo gleich drei der fünf weltweit besten Läuferinnen an den Start gehen. „Wir hatten noch nie so viele Läuferinnen mit Bestzeiten unter 2:20“, sagte Milde. Fünf sind es insgesamt, darunter Vorjahressiegerin Gladys Cherono und die zweifache Weltmeisterin Edna Kiplagat (beide Kenia).
Tirunesh Dibaba überstrahlt jedoch alles. In ihrer Heimat Äthiopien ist die 33-Jährige ein Superstar. Sie ziert ein elfstöckiges Geschäftshaus sowie ein Fünf-Sterne-Hotel, sie selbst lebt in einer riesigen Villa. In Addis Abeba trägt ein Krankenhaus ihren Namen und als sie 2008 Sileshi Sihine heiratete, einst selbst ein Weltklasseläufer, wurde die Hochzeit live im Fernsehen übertragen. Auch in Berlin sorgte sie mit ihren silber lackierten Fingernägeln schon für einen gewissen Glamourfaktor. Als Mark Milde sie darauf ansprach, dass Silber eigentlich doch die Farbe des Zweitplatzierten ist, lächelte sie nur: „Am Sonntag wird es die Farbe der Siegerin sein.“

Eliud Kipchoge ist sportlich ähnlich erfolgreich wie Dibaba, ansonsten aber das genaue Gegenteil. Der 33-Jährige lebt ein bescheidenes Leben – von einer 24 Hektar großen Farm einmal abgesehen, auf der er 20 Kühe hält, hat er sein Geld nicht in Geschäfte außerhalb der Sportwelt investiert. Seine ganze Konzentration gilt dem Training. Mit diesem Fokus hat Kipchoge neun seiner bislang zehn Marathonläufe gewonnen – nicht irgendwelche, sondern stets nur die bestbesetzten Rennen. Seit fünf Jahren ist er auf dieser Strecke ungeschlagen. Zudem ist er der schnellste Läufer aller Zeiten. Zumindest inoffiziell.
Stimmung am Straßenrand treibt Läufer an
Im Mai 2017 war er auf dem Formel-1-Kurs in Monza eine Zeit von 2:00:25 Stunden gelaufen. Das Ergebnis gilt allerdings nicht als Weltrekord, weil das Rennen nicht den Regeln des Leichtathletik-Weltverbandes entsprach. Kipchoges Ausrüster hatte im Rahmen des Projekts „Breaking2“ alles getan, damit zum ersten Mal ein Mensch die 42,195 Kilometer unter zwei Stunden absolviert. Unter anderem gab es wechselnde Tempomacher und eine variable Startzeit, die sich nach dem Wetter richtete; zudem wurde den Läufern Verpflegung von einem Begleitfahrrad gereicht.
In Berlin soll es jetzt ganz offiziell mit dem Rekord klappen. „Der Berlin-Marathon hat den schnellsten Kurs. Ich glaube, es ist der richtige Ort, um Bestzeit zu laufen“, sagt er. Die Stimmung am Straßenrand tut ihr Übriges, „das treibt einen voran und gibt mir ein gutes Gefühl.“
Man kann es ihm sogar ansehen. Der Kenianer läuft selbst in der größten Anstrengung stets mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ein Lächeln ist es, was meinen Verstand dazu bringt, den Schmerz zu vergessen“, sagt Kipchoge, der in seiner Freizeit gern griechische Philosophen liest. Als er Ende 2017 in Oxford eine Rede vor Studenten hielt, verwendete er denn auch ein Zitat von Aristoteles, um seine Einstellung zum Laufen zu beschreiben: „Freude am Beruf führt zu Perfektion bei der Arbeit.“
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