Berlin-Marathon

Diese Familie gibt Balkon-Konzerte für die Rennstrecke

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Laura Réthy

Foto: Massimo Rodari

Familie Faust aus Schöneberg begleitet die Läufer des Berlin Marathon seit 1985 von ihrem Balkon aus mit einer ausgeklügelten Musikauswahl und bester Stimmung. Die Läufer danken es mitunter rührend.

Vor ein paar Jahren stand ein Mann vor der Tür der Familie Faust in Schöneberg. Er kam ohne Ankündigung, ein Plakat unter den Arm, das er für seine Frau gemalt hatte. In wenigen Tagen würde sie ihren 20. Berlin Marathon laufen, und er wollte ihr sagen, wie stolz er auf sie war. „Und würden Sie vielleicht auch ein bisschen Obst für sie bereit halten?“, fragte er noch.

Der Mann hatte sich durchgefragt. Er war auf der Suche nach der Familie mit dem Balkon, von dem seit mehr als 25 Jahren jedes Jahr zum Marathon die Musik auf die Hauptstraße herunterschallt. Bei Kilometer 23,5. Der für die Läufer ein fester Anlaufpunkt geworden ist und unter dem sie sich winkend für die Unterstützung bedanken.

Botschaft für die Ehefrau

Hier sollte seine Botschaft an seine Frau hängen. Das Obst ließ Familie Faust dann in einem Körbchen von ihrem Balkon im ersten Stock herab. Dazu spielte „The Final Countdown“.

Angefangen hat es mit dem Party-Balkon 1985. Sebastian Faust saß mit seinen Kindern im Wohnzimmer und hörte den Radiosprecher sagen: „Stellt eure Radios raus, es ist Marathon.“ Also schleppte er seine Boxen raus auf den Balkon und machte zum ersten Mal Musik für die Läufer des Berlin-Marathons. Doch das mit dem Radio lies Sebastian Faust schnell bleiben.

Denn er, der einmal selbst professioneller Musiker werden wollte, wollte natürlich seine eigene Musikauswahl spielen. In den ersten Jahren, als nur wenige Tausend Läufer dabei waren, kam die Musik noch von der Kassette, später dann von CD – und heute steuert der 59-Jährige die Auswahl vom Computer aus. 70 Songs, die je anderthalb Minuten laufen.

„Schüttel den Speck“

Akribisch und liebevoll ausgewählt nach Rhythmus und Text. „Heb’ die Beine an“, „Move along“, „Schüttel den Speck“. Zum Schluss dann ertönt „Wir werden Sieger sein“ oder „The end of the beginning“. Es geht bei allen Liedern ums Laufen, um die Bewegung, Durchhalten und Sieger sein. „Die Lieder sollen zum Laufen animieren“, sagt Sebastian Faust. „Ich glaube, der Text ist den Läufern da unten ziemlich egal“, antwortet seine Frau Petra.

Die Vorbereitung für den einen Marathon beginnt mit dem Ende des vorangegangenen. Das ganze Jahr über entwickelt Sebastian Faust die Abfolge der Lieder. Die älteste Tochter Marie erzählt vom letzten Urlaub, den sie, obwohl alle Kinder schon erwachsen sind, gemeinsam verbracht haben. „Wir Kinder waren am Strand, unser Vater mit Laptop und Kopfhörern auf dem Campingplatz.“

Der Vater protestiert nicht bei diesen Worten. Er will es perfekt machen, auch für die eigenen Besucher auf dem Balkon. Denn wenn die Stimmung auf dem Balkon schlecht ist, geht es auch nicht auf der Straße, sagt er. Trotzdem liegt er das eine oder andere Mal daneben. „Eins, zwei, drei – Oberkörper frei“ ist ein Beispiel für einen solchen Fehlgriff. Dann verlässt seine Familie nicht selten einfach geschlossen den Balkon. Aber zum nächsten Lied sind sie dann doch wieder da.

Bis zum nächsten, dem 41. Marathon sind es nur noch wenige Tage. Nervös? Sebastian Faust schüttelt bedächtig den Kopf. Sei er nie, sagt er. Seine Frau grinst. Und ob er nervös sei. Freitags vor einem Marathon schließe er seinen Laden immer schon am Mittag. „Er hat Angst, dass irgendwas dazwischen kommt.“ Dabei ist der Ablauf seit Jahren der gleiche: Generalprobe ist der Skatermarathon am Sonnabend.

Entertainment im Schichtsystem

Wenn dann am Sonntag um 8.45 Uhr am Brandenburger Tor der Startschuss fällt, sind die ersten Läufer gegen zehn am Balkon. Doch niemand guckt hoch, absolute Konzentration auf die Strecke. Eine viertel Stunde dauert es ungefähr, dann blicken die ersten Läufer nach oben. Anschließend beginnt der Wettbewerb auf dem Balkon. Wem winkt der erste Läufer zu? Wem die erste Frau?

Der Balkon ist dann voll. Mutter und Vater, die vier Kinder mit ihren Partnern, vier Enkelkinder und Freunde. Leitern werden aufgestellt, so ist mehr Platz. Läufer-Entertainment im Schichtsystem. „Früher haben wir noch zu uns eingeladen“, sagt Petra Faust, „das können wir uns mittlerweile sparen.“

Für alle Familienmitglieder ist dieses letzte Wochenende im September ein fester Termin im Jahr. „Es ist ein Gefühl von Nachhausekommen. Es war einfach immer da“, sagt Fabio, der jüngere von zwei Söhnen. Er ist 26 und wurde in die Tradition mit dem Feiern auf dem Balkon hineingeboren. „Es ist für uns ein Feiertag wie Weihnachten oder Ostern“, erzählt Marie.

Pirouetten, Luftgitarre und Salti

Mittlerweile sind alle Kinder aus dem Haus. Der zweite Sohn Janis wohnt mit seiner Familie in Stuttgart. Da ist es immer ein bisschen schwierig, zu dem Marathon anzureisen. Und die zweite Tochter Anjuschka ist in der ganzen Welt unterwegs. Gerade ist sie in Südamerika, in Peru. Am kommenden Sonntag wird sie nicht dabei sein beim Marathon – zum ersten Mal.

Aber Petra Faust, die Mutter, erinnert sich, dass Anjuschka einmal am Tag des Marathons von einer langen Reise nach Marokko zurückgekommen sei. Mit ihrem riesigen Rucksack lief sie die Hauptstraße entlang. Die Strecke war schon abgesperrt, die Familie stand auf dem Balkon und wartete. Neben sich die Musik-Boxen bis unter die Decke aufgetürmt.

Eigentlich hatten Petra und Sebastian Faust geplant, sich eine kleinere Wohnung zu suchen, jetzt, da das Paar nur noch zu zweit an der Hauptstraße wohnt. Doch sie bleiben. Ein Grund ist tatsächlich der Berlin-Marathon. Gut für die Läufer, denn sie haben sich an den „feiernden Balkon“ gewöhnt. Sie unterbrechen ihren Lauf, schlagen Salti, drehen Pirouetten, spielen Luftgitarre.

Einige Läufer tragen Plakate mit sich herum, die sie dann vor dem Balkon entrollen und sich bedanken. Marie erzählt von der Mutter einer Freundin, die jedes Mal, sobald sie die Brücke am Innsbrucker Platz unterquert hat, und der Balkon schon fast in Sichtweite ist, beginnt zu weinen, so sehr berührt sie die Unterstützung.

Eine Medaille für die Fausts

Und der Dank der Läufer geht noch weiter: Immer wieder mal hängt auch ein Andenken an den Marathon ander Wohnungstür von Familie Faust. Mal eine Medaille, die der Besitzer bei der Familie gut aufgehoben sah oder ein Backstagepass mit der Notiz: „Ihr gehört auch zum Team.“

Und jedes Jahr, wenn sie wieder Muskelkater vom Tanzen haben und das Adrenalin noch nachwirkt, sagt sich die feierfreudige Familie Faust: „Und dieses Mal war es besonders schön.“ Gute Vorzeichen sind zumindest vom Wetter seit den Anfängen im Jahr 1985 immer gegeben: In all den Jahren war so gut wie immer schönes Wetter.

Nur einmal, da habe es genieselt. Doch Sebastian Faust traut dem Frieden nicht und will, wie immer, bestens vorbereitet sein. In diesem Jahr hat er so eine Vorahnung – die dazu führte, dass er zum ersten Mal eine alternative Playlist für den Berlin-Marathon erstellt hat: eine Regenliste.

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