Berlin. Kasra Mehdipournejad wollte keine Zeit verschwenden. Um 12 Uhr war sein Flieger aus dem Iran in Berlin gelandet, noch am selben Abend ging der Taekwondo-Kämpfer bei einem der örtlichen Vereine das erste Mal zum Training. Schließlich hatte er für sein Gefühl schon lange genug gewartet, um sich seinen großen Traum von einer Olympiateilnahme zu erfüllen. Der 27-Jährige stammt aus dem Iran, aus Isfahan, wo er mit elf Jahren mit dem Taekwondo begann. Neben Ringen und Gewichtheben gehört die Kampfsportart dort noch vor Fußball zu den beliebtesten Disziplinen. Bei internationalen Meisterschaften haben iranische Athleten bereits zahlreiche Medaillen gewonnen.
Sein „Stil“ gefiel dem Trainer plötzlich nicht mehr
Dieses Ziel hatte auch Kasra Mehdipournejad. Und mit zwei Titeln bei den iranischen Meisterschaften sowie drei Meisterschaften mit der Mannschaft in der Iran Super League war die Qualität dafür auch eindeutig vorhanden. Gleich mehrfach wurde er in den Nationalkader berufen, doch antreten durfte er bei internationalen Turnieren letztlich nie.
Mehdipournejad berichtet, wie ihm einmal nur eine Woche vor Turnierstart plötzlich eröffnet wurde, sein Stil würde dem Nationaltrainer nicht gefallen, deshalb könne man ihn nun doch nicht mitnehmen. Er selbst vermutet allerdings politische Gründe hinter der Entscheidung. Seine Familie war mit dem Regime in Konflikt geraten. „Sport und Politik lassen sich im Iran nicht trennen. Wenn man etwas getan hat, was der Führung nicht passt, egal in welchem Bereich, dann holt einen das irgendwann wieder ein“, sagt er.
In seinem Berliner Verein gilt er als Vorbild
Im November 2017 zog er deshalb als politischer Flüchtling nach Berlin. Dort probierte er mehrere Taekwondo-Vereine aus, ehe er schließlich beim Klub Taekwondo Elite Berlin und bei Trainer Sven Fröscher landete. „Schon als er das erste Mal zum Training kam, habe ich gleich gesehen, dass er ein echter Kämpfer ist. Er ist damit ein absolutes Vorbild für unser Team“, sagt sein Coach. Beim Taekwondo komme es vor allem auf die richtige Einstellung an: „Man muss fleißig und mit ganzem Herzen dabei sein und darf nicht vorschnell aufgeben“, sagt Fröscher, selbst mehrfacher deutscher Meister.
Eigenschaften, die auf Kasra Mehdipournejad absolut zutreffen. Nach seinem Wechsel nach Berlin bekam er 2018 erstmals die Möglichkeit, auf einem internationalen Weltranglistenturnier zu starten. Und der Schöneberger nutzte seine Chance: Bei den Dutch Open sowie bei den Belgian Open siegte er in der Gewichtsklasse bis 74 Kilogramm, bei den German Open und den Austrian Open erreichte er jeweils das Finale. Die Deutsche Taekwondo Union (DTU) schlug ihn daraufhin für eine Teilnahme an den diesjährigen Weltmeisterschaften in Manchester im Flüchtlingsteam des Weltverbandes vor. Neben Mehdipournejad wurde mit Amir Hosseini noch ein zweiter Flüchtling nach Deutschland für dieses WM-Team nominiert. Er stammt ebenfalls aus dem Iran und lebt heute in Hamburg.
Mehdipournejad hofft auf einen deutschen Pass
Wenngleich sie bislang nicht offiziell Mitglied der deutschen Nationalmannschaft sind, erfahren beide doch schon jetzt große Unterstützung seitens der DTU. So kämpft der Verband darum, dass sie schnellstmöglich einen deutschen Pass bekommen. Schon häufiger war Kasra Mehdipournejad mit dem DTU-Kader im Trainingslager. „Kasra und auch Amir waren schnell in einige Maßnahmen der DTU integriert und konnten bei Kaderlehrgängen mit unseren Sportlern sowie weiteren internationalen Athleten trainieren. Das war für beide Seiten eine Bereicherung“, wird Chef-Bundestrainer Georg Streif in einer Verbandspublikation zitiert. Auch bei der WM wurde Mehdipournejad von den Bundestrainern betreut. Das Ergebnis dort war allerdings nicht zufriedenstellend: Bereits in der ersten Runde schied er aus.
Das große Ziel bleibt aber Olympia. Dabei hat der Berliner gleich mehrere Möglichkeiten, sich für Tokio 2020 zu qualifizieren. Entweder bei der EM im November, wobei er dort schon Europameister werden müsste, ansonsten über ein Qualifikationsturnier im April. Allerdings könnte seine Weltranglistenplatzierung womöglich selbst dann nicht ausreichen, wenn er dort erfolgreich ist, einfach weil er aufgrund seiner Iran-Vergangenheit zu spät mit dem Punktesammeln beginnen konnte. „Am größten sind die Chancen deshalb über die Wildcard“, sagt Trainer Sven Fröscher.
Im Flüchtlingsteam die größten Chancen
Im Juni hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) die 37 Kandidaten verkündet, die für Tokio für einen Platz im Flüchtlingsteam in Frage kommen – Kasra Mehdipournejad ist einer von ihnen. Auch die für die Wasserfreunde Spandau startende Schwimmerin Yusra Mardini aus Syrien darf sich nach ihrer ersten Teilnahme 2016 in Rio de Janeiro erneut Hoffnungen machen. Die Entscheidung fällt im Juni 2020, doch das Olympiafieber hat Mehdipournejad schon jetzt gepackt. „Ich träume jede Nacht davon“, sagt er. „Das ist meine letzte Chance auf Olympische Spiele, und die möchte ich unbedingt nutzen.“