Berlin. Daniel Abt wusste gleich, woran ihn das neue Auto der Formel E erinnert. „Es sieht aus wie das Batmobil aus den Batman-Filmen“, sagte der Audi-Pilot, nachdem zu Jahresbeginn die ersten Bilder des Boliden veröffentlicht worden waren, mit dem in der Elektrorennserie ab der kommenden Saison gefahren wird. Ein Eindruck, der sich bei den ersten Testfahrten bestätigte. Nach der ersten Einheit im neuen Renner stellte Abt begeistert fest, man fühle sich darin fast wie in einem Science-Fiction-Film. Er meint: „Gerade die jüngere Generation wird begeistert sein.“
Es geht um mehr als nur ein neues Design
Bislang sahen die Fahrzeuge der Formel E fast aus wie in der Formel 1. „Als wir vor vier Jahren angefangen haben, haben wir uns bewusst an der Formel 1 orientiert, damit die Leute das überhaupt einordnen können. Jetzt, da wir gewachsen sind, können wir uns davon lösen und etwas radikal Neues ausprobieren“, sagt Serienboss Alejandro Agag. Dabei geht es um mehr als nur ein neues Design. Das neue Fahrzeug ist vor allem ein Ausdruck des gesteigerten Selbstbewusstseins der Elektroserie, die sich künftig noch stärker von der Formel 1 emanzipieren will.
Auf den ersten Blick mutet es daher seltsam an, dass beim Rennen in Berlin am Pfingstsonnabend (18 Uhr) ausgerechnet einem Formel-1-Weltmeister die Ehre zuteil wird, das sogenannte Generation-2-Auto öffentlich vorzustellen. Nico Rosberg wird nämlich auf dem Flughafen Tempelhof die ersten Runden vor Publikum damit drehen. Allerdings ist Rosberg ein großer Fan der Formel E – kürzlich wurde bekannt, dass er sogar in die Serie investiert hat. „Mehr und mehr Menschen sehen die Formel E als einen wichtigen Bestandteil für die Zukunft des Motorsports“, sagt Alejandro Agag. Einer britischen Zeitung sagte er: „In 20 Jahren sehe ich nichts, was noch größer ist. Die Formel E wird dann die wichtigste Meisterschaft sein, weil sie die Serie ist, die am meisten mit der Industrie verbunden ist.“
BMW und Nissan schon dabei, Mercedes und Porsche 2019
Tatsächlich ist die Zahl der Hersteller, die sich in der Serie engagieren, stetig gewachsen. Zur Saison 2018/19 werden nun auch BMW und Nissan dazustoßen, ein Jahr später dann Mercedes-Benz und Porsche; zudem halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass auch Ford einen Einstieg in die Formel E beabsichtigt. Jetzt fehlt eigentlich nur noch Ferrari, das bislang aber keine konkreten Pläne hat. Alejandro Agag sagt: „Die Formel E ist für die Hersteller die ideale Plattform, um die Elektromobilität voranzutreiben.“
Das klingt nach einem Marketinginstrument in Zeiten von Abgasskandalen. Doch in der Formel E wird echter Rennsport geboten. Zwar sind die Rennwagen deutlich langsamer als die Formel-1-Boliden, doch daran allein dürfe man es nicht festmachen, meint Daniel Abt. „Viele machen den Fehler, dass sie die Schwierigkeit eines Autos ausschließlich an der Geschwindigkeit messen“, sagt er. In der Formel E liegt die Herausforderung auch darin, mit der Energie hauszuhalten, damit das Auto nicht vor dem Ziel liegenbleibt. Dafür nutzen die Fahrer verschiedene Energierückgewinnungssysteme. So wird beim Bremsen an der Vorderachse kinetische in elektrische Energie umgewandelt, die beim nächsten Gasgeben direkt wieder zur Verfügung steht – die sogenannte Rekuperation. Dadurch ändert sich jedoch die Balance des Fahrzeugs. „Wir sind sozusagen immer am Limit“, erklärt Abt.
Die Konkurrenz ist nirgendwo größer
Zu den großen Stärken der Serie zählt ihre Unberechenbarkeit. In den ersten acht Rennen der laufenden Saison fuhren bisher elf verschiedene Fahrer aufs Podium, und kein Fahrer konnte mehr als zwei Rennen für sich entscheiden. „Bei uns weiß man nie, wer gewinnt. Genau das wollen die Leute sehen“, sagt Daniel Abt. Der Brite Sam Bird (DS Virgin-Racing), momentan Zweiter in der Gesamtwertung hinter dem Franzosen Jean-Éric Vergne (Techeetah), meint sogar: „Die Konkurrenz ist nirgendwo so groß wie in der Formel E. In der Formel 1 hast du dagegen keine Chance, wenn du nicht in einem Silberpfeil, Ferrari oder Red Bull sitzt.“ Während in der Formel 1 meist derjenige gewinnt, der das meiste Geld hat, nützt ein prall gefülltes Portemonnaie in der Formel E nur bedingt. Entscheidende Bauteile des Elektrorennwagens sind vorgegeben. Das führt zu einer größeren Ausgeglichenheit zwischen den Teams.
Solange das so bleibt, haben Fahrer wie André Lotterer (Techeetah) keine Bedenken, dass sich die Serie durch den Einstieg weiterer finanzkräftiger Hersteller gravierend verändern wird. „Die Formel E hat gut erkannt, dass sie ihre eigene Show machen muss und nicht den Herstellern die Macht überlassen darf“, sagt er. Serienboss Alejandro Agag hat bereits neue Ideen, wie die Serie noch attraktiver werden kann. So soll etwa das Rennformat für die fünfte Saison eher an ein Videospiel erinnern und gerade „die jüngere Generation umhauen“, so Agag. Zudem wird es ab der nächsten Saison mit der Jaguar I-Pace eTrophy ein weiteres Rennen im Rahmenprogramm geben, um die Renntage zusätzlich aufzuwerten.
München könnte zweiter deutscher Standort werden
Die Formel E ist auf Expansionskurs. Mittelfristig soll sich die Anzahl der Rennen von derzeit elf auf bis zu 14 erhöhen. „Wir wollen auf allen Kontinenten in den schönsten Städten der Welt vertreten sein“, erklärt Jean Todt, der Präsident des Internationalen Automobilverbands Fia. Deutschland nimmt in den Plänen offenbar eine Sonderstellung ein: Es sei das einzige Land, in dem er sich auch zwei Rennen vorstellen könne, sagt Alejandro Agag. Derzeit findet das Deutschland-Rennen in Berlin statt, doch auch München gilt als heißer Kandidat, zumal zahlreiche Hersteller und Sponsoren ihren Sitz im Süden haben.
Durch die Austragung in den Innenstädten hat die Formel E neue Zielgruppen für den Motorsport erschlossen. Auffällig viele Familien mit kleinen Kindern zählen zu den Besuchern, denen es an einer normalen Rennstrecke sonst viel zu laut wäre. Der Erfolg dieses Konzepts ist natürlich auch der Formel 1 nicht verborgen geblieben. Erst kürzlich brachte der neue Eigner Liberty Media deshalb ebenfalls Stadtrennen in Paris, London oder Hanoi ins Gespräch. „Wieso sollte es nicht einen konstruktiven Austausch zwischen den beiden Serien geben?“, meint Jean Todt.
Eine Akademie speziell fürs elektronische Rennfahren
Allerdings sollte man „nicht vergleichen, was nicht vergleichbar ist“, so der Fia-Chef. „Die Formel 1 bleibt die Königin des Motorsports. Die Formel E ist unsere jüngste Rennserie, unser Baby. Ich glaube nicht, dass sich daran in diesem Leben etwas ändern wird.“ Die beiden deutschen Fahrer André Lotterer und Maro Engel können sich dagegen gut vorstellen, dass junge Motorsportler in einigen Jahren nicht mehr die Formel 1 als Ziel angeben, sondern stattdessen eine Karriere in der Formel E verfolgen. Engels Rennstall Venturi hat deshalb vor Kurzem als erstes Team eine Akademie speziell für elektrisches Rennfahren ins Leben gerufen. Dass dort bald schwarze Kappen wie bei Batman getragen werden müssen, ist aber wohl nur ein Gerücht.