Berlin. Interview mit Olympiasieger Fabian Hambüchen: Warum er ein großer Turnfest-Fan ist, aber doch lieber im Hotel schläft statt in der Schulturnhalle.
Fabian Hambüchen wird nicht turnen in Berlin. Trotzdem ist er der große Star beim Deutschen Turnfest, nicht allein, weil er als Botschafter fungiert. Bei einer großen Gala wird er am Dienstagabend im Olympiastadion aus der Nationalriege verabschiedet. Der 29-Jährige hat in den vergangenen Jahren das deutsche Turnen geprägt wie kein anderer, gewann am Reck Gold, Silber und Bronze bei Olympischen Spielen. 2016 wurde er zum zweiten Mal zu Deutschlands „Sportler des Jahres“ gewählt. Im Interview mit der Morgenpost spricht er über den Reiz des Turnfestes, Comeback-Gedanken und seine Karriere nach der aktiven Zeit.
Herr Hambüchen, was ist aus dem Reck geworden, an dem Siein Rio Gold gewonnen haben? Ist es bei Ihnen zu Hause aufgebaut?
Fabian Hambüchen: Fast. Es steht seit dem 23. Februar in der Turnhalle in Wetzlar. Und wird täglich benutzt.
Von Ihnen auch?
Ich bin nach meiner Schulter-OP im März noch nicht so weit, dass ich ans Reck darf. Aber das kommt bald wieder.
Nach Gold in Rio haben Sie Ihre internationale Karriere für beendet erklärt. Wie soll die Zukunft der deutschen Riege aussehen ohne den Vorturner Hambüchen?
Wir haben ja schon bei der jüngsten EM in Rumänien gesehen: Es gibt einen Lukas Dauser, der EM-Silber gewonnen hat. Wir haben Marcel Nguyen, Andreas Bretschneider, Andreas Toba. Es ist also nicht so, als würde das Turnen den Bach runtergehen. Natürlich wird es schwerer. Ich habe nun mal die letzten zehn, fünfzehn Jahre immer mal die Erfolge gehabt und bei manchen Events die Kohlen aus dem Feuer geholt. Aber wir haben weiter gute Leute.
Ein Auftritt von Ihnen in Berlin kommt aber nach Ihrer OP noch nicht in Frage?
Nein. Ich trete dort als Botschafter des Turnfestes auf, aber an den Deutschen Meisterschaften teilzunehmen, käme viel zu früh. Mein Ziel ist es, im Herbst in der Bundesliga für die KTV Obere Lahn wieder an den Start zu gehen.
Sie werden Botschafter des Turnfestes sein. Zum wievielten Mal sind Sie dabei und wie ordnen Sie das Deutsche Turnfest ein?
Leipzig, Berlin, Frankfurt, Mannheim, Berlin – es ist mein fünftes Turnfest und jedes Mal ein Riesenerlebnis. Man hat ja selten bei einem deutschen Event im Turnen einen solchen Andrang an begeisterten Leuten. Es ist wunderschön für uns, vor solch toller Kulisse zu starten. Jetzt kann ich auch mal als Nichtaktiver das Drumherum kennenlernen. Jetzt kann ich mir auch mal die Turnfestmeile anschauen und so. Das wird eine total schöne Erfahrung für mich.
Haben Sie besondere Erinnerungen an eines der Turnfeste?
In Leipzig war ich noch zu jung, da zählten für mich nur die Wettkämpfe. Aber ich erinnere mich sehr gut an eine Autogrammstunde 2005 in den Berliner Messehallen, die war, wie der Name schon sagt, auf eine Stunde angelegt. Danach war die Schlange länger als am Anfang. Ich hab fast zwei Stunden unterschrieben, dann mussten wir abbrechen, weil ich einen Wettkampf hatte. Bei Turnfesten kommen alle zusammen, die diesen Sport lieben. Das war einer der krassesten Momente. Und dann in Frankfurt, das war der Wahnsinn, vor so vielen Menschen in der ausverkauften Arena zu turnen. Unbeschreiblich. Gänsehaut. So etwas vergisst man nicht.
Fühlt man sich da wie ein Fußball-Star?
Schon. Ich war vor Kurzem beim FC Köln ...
... Ihrem Lieblingsklub ...
Genau. Und da habe ich mir auch gedacht, wie geil muss das sein, wenn dir jedes Mal 50.000 Leute zujubeln. Für uns Turner ist eine kleine fünfstellige Zuschauerzahl schon eine Seltenheit. Das geht dann total ab.
Im Vergleich zu Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaften – wo stehen die Turnfeste?
So einfach kann man das nicht vergleichen. Vielleicht die Stimmung: Da ist das Deutsche Turnfest manchmal wesentlich besser als eine Europameisterschaft. Vielleicht kann man es sogar mit WM oder Olympia vergleichen. Obwohl bei Olympischen Spielen die Turnwettkämpfe ja auch immer ausverkauft sind. Aber sehen Sie, beim Turnfest geht es um nationale Meisterschaften. Die sind natürlich wichtig, aber nicht zu vergleichen mit EM, WM oder Olympia.
Schläft der Turnbotschafter Hambüchen in der Halle oder im Hotel? Sie hätten ja jetzt die Zeit.
Ich hätte grundsätzlich kein Problem damit. Als Turnkinder haben wir oft in Turnhallen oder Jugendherbergen übernachtet. Jetzt denke ich, es ist wohl besser für mich, im Hotel zu sein. Ich hätte sonst keine Ruhe. Es ist eben schon ein bisschen schwierig, mit meinem Bekanntheitsgrad einer von ganz vielen zu sein. Was ich andererseits aus meiner Sicht absolut bin.
Sie sprachen davon, wie toll es ist, vor großer Kulisse zu turnen. Wie ein Fußballprofi vor 50.000 Menschen. Etwas Ähnliches steht Ihnen nun im Olympiastadion bevor, wo Sie offiziell verabschiedet werden sollen. Wird das so sein wie bei einem Abschiedsspiel für Podolski oder Schweinsteiger?
Es ist auf jeden Fall eine Ehre und ein Wahnsinns-Erlebnis, vor solch einer Kulisse verabschiedet zu werden. Dass die Mannschaftskollegen, mit denen man jahrelang unterwegs war, für mich turnen und eine kleine Show hinlegen, das wird sicher ein sehr schöner und emotionaler Moment für mich werden.
Fließen da Tränen bei Fabian Hambüchen?
Ach, weiß nicht, da bin ich nicht so gut drin. Mal abwarten.
Sehen Sie beim Turnfest Erneuerungsbedarf? Gibt es Dinge, die man ändern sollte und andere, die auf jeden Fall genau so bleiben müssen aus Ihrer Sicht?
Wo so eine Masse an Menschen zusammenkommt, muss die Sicherheit gewährleistet sein, das ist das A und O. Bei allem anderen sollte man nicht groß was verändern. Die Stimmung ist der Wahnsinn, man hat so viele turnbegeisterte Menschen beisammen, die alle Spaß haben. Vielen geht es gar nicht um Leistensport, sondern um Breiten- und Freizeitsport. Dabei sein ist hier wirklich noch alles. Man sollte unbedingt immer daran festhalten, dass es da auf etwas niedrigerem Niveau etwas total Wichtiges und Schönes gibt. Daran soll bloß nichts verändert werden.
Wenn Ihre aktive Karriere vorbei ist, werden Sie dem Turnen in anderer Weise erhalten bleiben, als Funktionär, als Trainer?
Ich kann mir vorstellen, im Trainerbereich zu arbeiten oder in der Funktionärsebene. Definitiv bleibe ich dem Turnen oder dem deutschen Sport treu. Nur einen direkten Übergang vom Aktiven zum Trainer wird es nicht geben. Ich brauche erst mal ein bisschen Zeit, etwas anderes zu machen. Einfach ein bisschen zu leben.
Erst vor Kurzem war zu hören, dass Ihr Entschluss, mit dem internationalen Turnen Schluss zu machen, vielleicht doch nicht endgültig sein könnte.
Die Gesundheit geht erst mal vor. Bevor ich ein Gerät überhaupt anfasse, muss meine Schulter zu hundert Prozent okay sein. Da sind wir alle sehr optimistisch. Dann muss man schauen, was kommt. Ganz klar, eine WM im eigenen Land 2019, in Stuttgart, das ist verlockend. Ich bin 2007 in Stuttgart Weltmeister geworden, da habe ich nur beste Erinnerungen. Man darf bloß nicht unterschätzen, dass ich jetzt sehr lange raus war und erst mal trainieren muss, schauen, ob ich noch konkurrenzfähig bin. Stand heute kann ich mir schwer vorstellen, dass ich da noch mal Weltmeister werde. Da gibt es so viele Faktoren, die gar nicht planbar sind. Mal schauen. Ich bin total unentschlossen, freue mich nur auf das, was kommt, egal wie. Und ich bleibe dabei: Sag niemals nie!
Sich noch einmal richtig zu quälen, dazu wären Sie bereit? Denn ohne Qualen würde es ja wohl nicht klappen.
Es ist ja nicht so, dass ich wenig trainieren werde, wenn ich Bundesliga turne. Das habe ich vor. Auch da muss ich fit sein, das geht nur über regelmäßiges und hartes Training. Die Bereitschaft, sich zu quälen, die kriegst du sowieso nicht aus dir raus. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Momentan quäle ich mich ja bei der Reha ziemlich stark bei vielen Sachen. Dann kommen andere Patienten auf mich zu und fragen mich mit großen Augen: Macht dir das Spaß? Und ich antworte dann: Ja, klar (lacht).