Olympia in Rio

Mit einem zweiten Pass zum Lauf ins Glück

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Philip Häfner
Mayada Al-Sayad schindet sich beim Training für die Teilnahme an den Olympischen Spielen im kommenden August in Rio de Janeiro

Mayada Al-Sayad schindet sich beim Training für die Teilnahme an den Olympischen Spielen im kommenden August in Rio de Janeiro

Foto: Amin Akhtar

Serie über Berliner Olympia-Hoffnungen: Mayada Al-Sayad ist in Berlin geboren, startet aber bei den Spielen im Marathonlauf für Palästina.

Berlin.  Wie gut ihre Arabisch-Kenntnisse seien, auf einer Skala von eins bis zehn? „Drei“, sagt Mayada Al-Sayad. Derzeit paukt die 23-Jährige zwar fleißig Vokabeln, doch für ein Interview in der Sprache des Landes, für das die Läuferin von Fortuna Marzahn in wenigen Monaten bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im Marathon an den Start gehen wird, reicht es noch nicht. Als sie einem arabischen Sender kürzlich ein Interview gab, griffen die Fernsehleute daher in die Trickkiste und ließen ihre große Schwester, die sich fast genauso anhört wie sie, das Gespräch synchronisieren.

Mayada Al-Sayad ist in Berlin geboren, ihre Mutter ist Deutsche, aber ihr Vater Mauwiyah stammt ursprünglich aus Palästina. Große Teile der Familie leben auch heute noch im Westjordanland. Al-Sayad hat deshalb neben einem deutschen auch einen palästinensischen Pass, der ihren Olympiastart überhaupt erst ermöglicht. Als Zehnte der letztjährigen deutschen Bestenliste mit einer Marathonbestzeit von 2:41:44 Stunden hätte die Berlinerin hierzulande keine Chance auf einen Start in Brasilien gehabt, für den der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) eine Leistung von 2:28:30 Stunden fordert, die bislang noch niemand erreicht hat.

Für Palästina gilt jedoch der internationale Richtwert von 2:42 Stunden, den Al-Sayad im vergangenen Frühjahr beim Hamburg-Marathon unterbot, womit sie dem Verband die ganze Absurdität seiner verschärften Normanforderungen vor Augen führte. „Die deutsche Norm ist zu hart“, meint die Berlinerin und bricht eine Lanze für die nationale Konkurrenz um Sabrina Mockenhaupt und die beiden Hahner-Schwestern Anna und Lisa. „Wenn ich der DLV wäre, würde ich sie laufen lassen.“

In Hamburg hat sie die nötige Norm erfüllt

Mit der Erfüllung der Norm in Hamburg und der Teilnahme an den Weltmeisterschaften im August 2015 in Peking hat Al-Sayads Läuferkarriere eine neue Stufe erreicht. Startete sie bis vor Kurzem noch bei der Marzahner Läuferserie, misst sie sich jetzt mit den Besten der Welt. Sie setzt nun ganz auf den Sport, nachdem sie ihre Ausbildung zur Zahntechnikerin im Sommer erfolgreich abgeschlossen hatte. Die Medien sind auf sie aufmerksam geworden, selbst das ZDF-„Morgenmagazin“ drehte einen Bericht. „Meistens hört man aus Palästina nur negative Schlagzeilen. Ich freue mich, dass ich zur Abwechslung mal für eine positive Meldung sorgen kann“, sagt Al-Sayad. Sie wolle den arabischen Frauen ein Vorbild sein, mehr Sport zu treiben, erklärt sie. Doch instrumentalisieren lässt sie sich nicht, zum Nahostkonflikt äußert sie sich mit keiner Silbe. „Ich sehe die ganze Sache rein sportlich“, sagt sie.

Die Olympischen Spiele in Rio werden erst die sechsten mit palästinensischer Beteiligung sein. Seit den Wettkämpfen 1996 in Atlanta konnte das Land vom östlichen Mittelmeer erst 15 Athleten zum größten Sportereignis der Welt entsenden und die meisten auch nur dank einer Einladung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Jahreswechsel im Trainingslager in Portugal

Nur ein männlicher Judoka konnte sich bislang durch Leistung qualifizieren – Mayada Al-Sayad ist nun die erste Frau, der das gelungen ist. Das erklärt, weshalb sich der nationale Verband und die Botschaft in Berlin so intensiv um sie bemühten. Athleten wie sie sind in Palästina rar gesät, auch weil es dort vielerorts an geeigneten Sportanlagen fehlt. Die meisten Landesrekorde in der Leichtathletik erinnern eher an die Anforderungen für das Deutsche Sportabzeichen, etwa im Marathon, wo bis 2014 offiziell eine gewisse Najah Freijeh mit 4:16:09 Stunden die Schnellste gewesen war – eine Zeit, die allein beim letztjährigen Berlin-Marathon von 3861 Starterinnen unterboten wurde.

Zuschüsse für Trainingslager oder eine andere finanzielle Unterstützung erhält Al-Sayad vom palästinensischen Verband allerdings nicht. Stattdessen wird sie von ihrem Vater gesponsert, der in Köpenick als Zahntechniker arbeitet. Trainiert wird meistens im Sportforum Hohenschönhausen oder auf dem heimischen Sportplatz an der Allee der Kosmonauten im Schatten der Plattenbauten. Den Jahreswechsel verbrachten Mayada Al-Sayad und ihr Trainer Tobias Singer jedoch im Trainingslager in Portugal an der Algarve. Im Februar geht es noch einmal nach Spanien, im März auf die Insel Usedom, alles für eine optimale Vorbereitung.

Bei der WM lässt sie 15 Frauen hinter sich

Als Marathonläuferin muss die 23-Jährige mit ihren Kräften haushalten. Bis zu den Olympischen Spielen ist deshalb nur noch ein Rennen über die 42,195 Kilometer lange Distanz geplant: Ende Januar in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ebenfalls im Frühjahr will sie in Jerusalem oder in Bethlehem noch einen Halbmarathon laufen, auch mit dem Hintergedanken, „sich mal im Nahen Osten zu präsentieren“. Zu Pfingsten zeigt sie sich beim BIG 25, dem ehemaligen Franzosenlauf, auch noch einmal dem Berliner Publikum.

„Ich freue mich auf Olympia. Es ist die größte Bühne, die es im weltweiten Sport gibt“, sagt Mayada Al-Sayad. Für das Rennen in Rio hat sich die Palästinenserin eine Zeit von 2:39 Stunden vorgenommen. Ihr Trainer hält sogar 2:37 Stunden für machbar, sofern das Wetter mitspielt und es nicht allzu schwül wird. „Schlimmer als die Woche in Peking kann es aber eigentlich nicht mehr werden“, meint Singer. Bei der Weltmeisterschaft im August hatte Al-Sayad unter 65 Startern Platz 50 belegt. Eine deutsche Marathonläuferin war übrigens schon dort nicht am Start gewesen.