München. Wo auch immer es bei den European Championships zur Sache ging, Gfreidi war dabei. Das Eichhörnchen mit großem, plüschigen „Oachkatzlschwoaf“ – also Eichhörnchenschweif – war das multitalentierte Maskottchen dieser Multi-EM. Sein Vorgänger 1972 bei den Olympischen Spielen in München hieß Waldi und war ein Dackel. Für Gina Lückenkemper eine schöne Parallele. Die 25-Jährige ist Besitzerin von Dackel-Dame Akira. Die war zwar nicht in München mit dabei, hatte aber im Trainingslager der deutschen Sprint-Staffel in den USA für gute Stimmung unter den Staffel-Starterinnen gesorgt. „Sie würde die Aufmerksamkeit in München lieben, sie steht gerne im Rampenlicht“, hatte Lückenkemper vor der Leichtathletik-EM gesagt.
Das Rampenlicht aber gehörte wieder einmal der schnellsten Frau Europas aus Soest. Nach ihrem Sturz nach dem Zieleinlauf bei ihrem spektakulären Sieg im 100-Meter-Rennen, bei dem sie eine blutende Fleischwunde am Knie erlitten hatte, war Lückenkemper am Sonntag wieder mit der Staffel am Start – und holte in 42,34 Sekunden ihr zweites Gold dieser EM. Weil die favorisierten Britinnen einbrachen, war die Bahn frei. Platz zwei ging an Polen vor Italien. Das Stadion glich einem Tollhaus, die vier Siegerinnen Alexandra Burghardt (28/Burghausen), Lisa Mayer (27/Wetzlar), Lückenkemper (25/Berlin) und Rebekka Haase (29/Wetzlar) lagen sich weinend in den Armen. „Ich könnte einfach nur noch heulen“, sagte Lisa Mayer. Lückenkemper wandte sich ans Publikum: „Wir haben von Anfang an gemerkt, ihr seid für uns da, und deshalb wollten wir für euch das Ding holen.“
Zuvor hatte schon Julian Weber das Stadion in Ekstase versetzt. Der vierte Versuch des 27 Jahre alten Mainzers flog auf 87,66 Meter – das reichte zum Sieg. Nach Platz vier bei Olympia in Tokio und der WM vergangenen Monat in Eugene (USA) holte er sich nun nicht nur die Medaille, sondern stand sogar ganz oben. Er trat damit die Nachfolge von Thomas Röhler (30/Jena) an, der 2018 in Berlin ebenfalls einen EM-Heimsieg gefeiert hatte. „Ich kann es nicht fassen, München ihr seid geil“, rief er ins Stadionmikrofon. Silber ging an Jakub Vadlejch aus Tschechien (87,26), Bronze an den Finnen Lassi Etelätalo (86,44). Andreas Hofmann (30), Vize-Europameister aus Mannheim, verpasste als Elfter den Endkampf (74,75).
Den Einzug in diesen Endlauf hatte die Frauen-Staffel zuvor ohne Gina Lückenkemper erledigt. „Wir haben mit unserer Staffel samt Ersatzläuferinnen einfach eine unfassbar tolle, harmonische Truppe am Start“, hatte die Athletin des SSC Berlin zuvor gesagt und angekündigt: Alles ist möglich. Trotz Lückenkempers Verletzung galten die Deutschen als Mitfavoritinnen. Lisa Mayer war für die Wattenscheiderin Tatjana Pinto (30) ins Team gerückt, die angeschlagen passen musste. Mit ihr statt Mayer hatte das Quartett bei der WM vergangenen Monat in Eugene (USA) in 42,03 Sekunden überraschend Bronze hinter den USA und Jamaika gewonnen.
Deutsche Frauen-Staffel verbessert Heim-Bilanz
Bei den Männern kamen Kevin Kranz (24/Wetzlar), Joshua Hartmann (23/Köln), Owen Ansah (21) und Lucas Ansah-Peprah (22/beide Hamburg) nach einem Fehler beim ersten Wechsel von Kranz auf Hartmann nicht ins Ziel. Es siegte Großbritannien mit Meisterschaftsrekord vor 37,67 Sekunden vor Frankreich und Polen.
Die deutsche Frauen-Staffel verbesserte damit ihre Heim-EM-Bilanz von 2018 in Berlin, als sie in ähnlicher Besetzung (Burghardt statt Lisa-Marie Kwayie, Pinto statt Mayer) Bronze gewonnen hatte.