Berlin. Am Montag vor 30 Jahren trafen sich Hertha und Union zum Wiedervereinigungsspiel. Der damalige Union-Coach Karsten Heine erinnert sich.

30 Jahre ist dieses Spiel jetzt her. Hertha gegen Union, zum ersten Mal. Als Sportler sammelt man während einer Karriere viele Erinnerungen. Manche verblassen mit der Zeit, andere verschwimmen oder verschwinden ganz aus dem Gedächtnis. Bezogen auf dieses Spiel sind meine immer noch gegenwärtig – allein das zeigt, wie besonders es war. Ich kann ohne Übertreibung behaupten, Hertha gegen Union war das bedeutendste Freundschaftsspiel, das ich mir bis heute vorstellen kann. Und ich mittendrin, als Trainer des 1. FC Union.

Gerade für jüngere Menschen mag sich das komisch anhören, aber wer die Wendezeit nicht erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, welche Emotionen uns alle überkamen. Knapp 30 Jahre haben wir in einer geteilten Stadt gelebt. Hertha und der Westen waren ja nur einen Katzensprung entfernt und doch in einer anderen Welt. So als würde man aus seiner Wohnung den Hof sehen, aber nie hinunter dürfen.

Auch zu Zeiten der Mauer gibt es Kontakt unter den Fans

Es gab Zeiten, da waren die Systeme ideologisch so festgefahren, dass wir glaubten, sie würde noch in hundert Jahren Ost und West und damit auch Hertha und Union trennen. Plötzlich aber ging alles ganz schnell. Die DDR war am Ende, die Mauer fiel und aus der geteilten Stadt wurde wieder ein großes Ganzes.

Wir Fußballer sind gleich rüber, um uns ein Spiel der Herthaner anzusehen. Die spielten damals wie wir in der Zweiten Liga. Nur eben in einem anderen Land. Wie befremdlich sich das heute anhört.

Friedlich vereint: Die Partie Hertha gegen Union wollten am 27. Januar 1990 über 51.000 Zuschauer sehen.
Friedlich vereint: Die Partie Hertha gegen Union wollten am 27. Januar 1990 über 51.000 Zuschauer sehen. © picture-alliance / Thomas Wattenberg | Thomas Wattenberg

Die Idee, ein Freundschaftsspiel gegeneinander auszutragen, kam recht schnell von Seiten der Verantwortlichen. Auch zu Zeiten der Trennung unterhielten die beiden Fanszenen regen Kontakt zueinander.

Bei uns an der Alten Försterei gab es während der Spiele oft Hertha-Sprechchöre, was zu DDR-Zeiten ja eine gewisse Brisanz enthielt. Unsere Fans reisten zu Europapokal-Spielen in den Ostblock, um sich dort mit Herthanern zu treffen, das war uns allen bekannt.

Union wollte der Welt zeigen, was der Osten kann

Das Spiel im Olympiastadion war dann wie das erste Treffen zweier Verliebter, die sich lange nicht sehen durften, weil es ihnen verboten worden war.

Wir Spieler und Trainer besaßen bei allen Freundschaftsgedanken schon den Ehrgeiz, es den anderen zeigen zu wollen. Wir wollten beweisen, dass in der DDR auch ordentlicher Fußball gespielt wurde. Ich glaube, das ist uns auch gelungen.

Wir haben zwar 1:2 verloren, durch einen Sonntagsschuss, irgend so ein abgefälschtes Ding, glaube ich, aber das war nebensächlich. In meiner Erinnerung sehe ich immer noch Olaf Seier, unseren Kapitän, der ein großartiges Spiel machte, so als ob er der ganzen Welt zeigen wollte, was er drauf hat.

„Wir waren Teil von etwas Besonderem“

Die Stimmung auf den Rängen war fantastisch, über 50.000 ) waren gekommen, trotz des kalten Januar-Wetters. Überall hingen Plakate, es gab gemeinsame Anfeuerungsrufe. Da beschlich einen das Gefühl, Teil von etwas Besonderem zu sein.

Nach dem Spiel haben wir gemeinsam mit den Herthanern gegessen, dann ging es nach Hause. Ich hätte nicht gedacht, dass ich bald schon zurückkehren würde. Wenige Wochen nach dem Freundschaftsspiel wurde ich bei Union entlassen. Hertha fragte an, ob ich nicht die Amateure trainieren möchte, und ich sagte sofort zu.

Im Westen wurde heißer gekocht als gegessen

Gespannt trat ich meine erste Stelle „drüben“ an. Bald schon stellte ich aber fest, dass im „goldenen Westen“ vieles heißer gekocht als gegessen wurde. Bei Union hatten wir Entmüdungsbecken, eine Sauna oder haben zusammen gegessen. Was regenerative Maßnahmen angeht, waren wir da viel weiter. Bei Hertha gab es so was alles nicht.

Trotzdem habe ich mich dort gleich sehr wohl gefühlt. Am Ende meiner ersten Saison war ich sogar Trainer der Bundesliga-Mannschaft, so schnell ging das alles. Danach folgten mit Unterbrechung noch 13 weitere. Auch das hätte ich mir einst nie träumen lassen.

---------

Zur Person: Karsten Heine (64) hat sowohl den 1. FC Union als auch Hertha BSC über viele Jahre geprägt. Bei Union wirkte er zunächst als Spieler (1973 bis 1982 und 1985/86, 197 Spiele/20 Tore), ehe er von 1988 bis 1990 sowie in der Saison 1996/97 als Trainer fungierte.

Karsten Heine als Coach von Herthas U23 im Jahr 2004 (l.) und als Union-Trainer 1997 (r.).
Karsten Heine als Coach von Herthas U23 im Jahr 2004 (l.) und als Union-Trainer 1997 (r.). © picture alliance/dpa | ---

Bei Hertha heuerte er 1990 als Trainer im Nachwuchs an und führte die damalige Amateurmannschaft 1993 sensationell ins Finale des DFB-Pokals (0:1 gegen Bayer Leverkusen). Von 2004 bis 2013 arbeitete er erneut als Coach der U23, zudem sprang er vier Mal als Trainer der Profis ein. Heine bildete unter anderem spätere Nationalspieler wie Kevin-Prince und Jérome Boateng und Ashkan Dejagah aus. Seit 2019 trainiert er den Berliner Regionalligisten VSG Altglienicke.