Berlin. Noch ist es grau, ihr neues zweites Zuhause, aus dem nackten Beton hängen Stromkabel, der Boden ist mit Staub bedeckt. Aber Sophie Alisch strahlt, wie nur jemand strahlen kann, der sich rundum wohlfühlt. Sie hat sie im Kopf, die Bilder, wie es hier aussehen soll im Januar. Und diese Bilder machen sie glücklich. „Es fühlt sich einfach gut an zu wissen, dass ich hier mein eigenes Projekt umsetzen kann“, sagt sie.
Sophie Alisch, Profiboxerin aus dem Berliner Sauerland-Team und unbestritten eins der größten Talente im deutschen Faustkampf, geht einen Weg, den vor ihr zwar schon andere Sportler beschritten haben. Nicht jedoch zu einem Zeitpunkt im Leben, an dem die meisten jungen Menschen noch nicht einmal wissen, wohin die erste Karriere sie führen soll. Die Federgewichtlerin (Klasse bis 57,153 Kilogramm), die an diesem Sonnabend und damit sechs Tage vor ihrem 18. Geburtstag in Koblenz gegen die Bosnierin Irma Adler (37) ihren fünften Profikampf bestreitet (22.30 Uhr, Sport1), eröffnet Anfang 2020 ihr eigenes Boxgym.
Boxgym steht auch Freizeitsportlern offen
Im Obergeschoss über dem Kaufland-Supermarkt am Grünhofer Weg in Spandau entsteht auf 380 Quadratmetern ein Sportzentrum, das modernsten Ansprüchen genügen soll. Kaufland als Vermieter unterstützt die Pläne. Boxring, Kardio- und Kraftgeräte, Sandsäcke und der Wellnessbereich – alles wird mit dem Nachnamenszug der neuen Hausherrin gebrandet, die ihre Trainingseinheiten aus dem Schöneberger Isi-Gym in das dank einer rundum angelegten Fensterfront angenehm luftige und lichtdurchflutete Areal verlegen wird. Aber das Gym steht auch anderen Boxprofis und Freizeitsportlern offen, die dort unter Anleitung von Alischs Cheftrainer Torsten Schmitz üben können. Außerdem plant sie mittelfristig, auch selbst Kurse als Trainerin zu leiten.
Wie eine 17-Jährige auf die Idee kommt, neben einer Profisportkarriere ein Trainingszentrum zu führen, kann Sophie Alisch einleuchtend erklären. „Ich möchte meine Kampfbörsen sinnvoll anlegen und mir schon während der eigenen Laufbahn eine Perspektive für die Zeit danach aufbauen“, sagt die Schülerin, die sich nach dem Realschulabschluss für ein Fernabitur entschied, das sie 2020 bestehen will, um Freiraum für die täglichen zwei Trainingseinheiten zu schaffen.
Die ganze Familie wird eingebunden
Nun hat das Profiboxen im Allgemeinen und die Frauensparte im Besonderen in Deutschland in den vergangenen Jahren eine rasante Talfahrt hinter sich. Seit die großen TV-Sender aus Boxübertragungen ausgestiegen sind, häufen sich die Klagen insbesondere von Boxerinnen, die draufzahlen müssen, um sich auf Kampfsportveranstaltungen einzukaufen. Michael Alisch (45), der sich um die Beratung seiner Tochter kümmert, mag derlei Klagelieder nicht mehr hören.
„Vielleicht werden nicht mehr die Summen verdient, die es vor zehn, 15 Jahren gab. Aber es gibt immer noch genug Möglichkeiten. Qualität setzt sich immer durch. Deshalb glauben wir an Sophies Weg und an das Gym-Konzept, das es in der Form in Berlin noch nicht gibt“, sagt er. Die ganze Familie, die am Potsdamer Platz wohnt, soll in die Arbeit eingebunden werden; die Mutter, die im Tourismussektor arbeitet, und auch die zwei Jahre jüngere Schwester.
Die Berlinerin will in den USA bekannt werden
Tatsächlich ist die weltweite Beachtung für boxende Frauen deutlich gestiegen, seit diese 2012 erstmals um olympische Medaillen kämpfen durften. Olympia war auch für Sophie Alisch ein Thema, doch die Querelen um den Weltverband Aiba und die daraus resultierende Unsicherheit führten dazu, dass sie sich Anfang dieses Jahres nach 30 Amateurkämpfen für den Wechsel ins Profilager entschied. Ihren Wirkungskreis sieht sie längst nicht auf Deutschland beschränkt. Sie möchte in Boom-Märkten wie England, wo sie bereits eine beachtliche Fanbasis in den sozialen Netzwerken hat, oder den USA bekannt werden.
Dazu gehört eben auch, die Marke Alisch mit einem eigenen Gym zu stärken. „Ich glaube, dass Nähe zu den Fans ein sehr wichtiger Aspekt ist. Die möchte ich bieten“, sagt sie. Das Interesse steht und fällt jedoch mit ihrem sportlichen Erfolg. Die Qualität, in die Weltspitze aufzusteigen, bescheinigt Trainer Schmitz seiner neuen Vorzeigeschülerin uneingeschränkt. „Sophie ist eine Universalboxerin, sie kann im Vor- und Rückwärtsgang boxen, ist schnell, im Kopf unheimlich reif, hat eine starke Beinarbeit und schlägt hart. Ihr fehlt es noch an Ruhe und Erfahrung, aber sie bringt alles mit, was es braucht“, sagt der 55-Jährige.
Trainer Schmitz formte einst Regina Halmich zur Weltmeisterin
Und er muss es wissen, schließlich formte er Regina Halmich (42) zur Weltmeisterin, die Pionierin des Frauenboxens, die auch Sophie Alisch als ihr Vorbild benennt und mit der sie in Berlin regelmäßig mit dem Hund spazieren geht. „Regina hat gezeigt, was mit eisernem Willen möglich ist. Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch. Ich will unbesiegt bleiben und alle WM-Titel holen, die es gibt“, sagt sie.
Bis zu ihrem 14. Lebensjahr spielte Sophie Alisch Tennis, stand im Landeskader Tirols, wo die Familie damals lebte. Doch seitdem sie nach der Rückkehr in ihre Geburtsstadt aus Neugier ein Probetraining im Boxen absolvierte, ein Jahr später schon deutsche U-17-Meisterin war und 2016 als 16-Jährige den U-19-Titel holte, ist Bälle schlagen out, weil sie den direkten Kontakt mit dem Gegenüber liebt. „Die meisten hören nach ihrem ersten Sparring auf, wenn es hart und anstrengend wird. Bei mir fing es da erst an“, sagt sie. Sie sagt es mit diesem Leuchten in den Augen, das unterstreicht, wie wohl sie sich fühlt auf ihrem aktuellen Weg durchs Leben.