Berlin. Wer ein Auslandsjahr absolviert, lernt viel, auch über sich selbst. In der Fremde lernt man seine Schwächen und Stärken besser kennen und entdeckt dabei nicht selten ganz neue Seiten an sich. Diese Erfahrung hat auch Schwimmerin Johanna Roas gemacht. Vier Jahre verbrachte die Sportlerin der SG Neukölln in den USA an der Universität von Denver und trainierte in dieser Zeit hauptsächlich ihre einstige Paradedisziplin: das Rückenschwimmen. Sie wurde immer schneller, wurde 2015 und 2016 sogar jeweils deutsche Meisterin über 50 Meter Rücken und holte ein Jahr später auf dieser Strecke auch auf der Kurzbahn den nationalen Titel.
Doch trotz wachsenden Erfolges blieb die Erfüllung aus. Vielleicht lag es an den besonderen Umständen in Übersee. In Denver schwamm Roas zumeist auf einer leicht verkürzten Bahn, auf der die Tauchphase eine noch größere Rolle spielte. Entsprechend viel wurde dort im Training unter Wasser gearbeitet. „Ich habe das Tauchen allerdings noch nie so recht gemocht“, sagt sie. Andere Athleten könnten beim Tauchen mit ihrer Oberlippe die Nase verschließen, doch sie beherrsche diese Grimasse leider nicht. „In dieser Zeit habe ich deshalb wohl ein wenig die Lust am Rückenschwimmen verloren“, sagt die 25-Jährige.
Roas war bei den European Championships in Glasgow dabei
Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin (1. bis 4. August) liegt der Fokus nun vor allem auf den 100 Meter Freistil. „Das Ziel ist auf jeden Fall eine Medaille“, sagt sie. Dass die Wettkämpfe in diesem Jahr ausnahmsweise nach dem Saisonhöhepunkt liegen, den laufenden Weltmeisterschaften in Gwangju (Südkorea), könnte ihr durchaus entgegenkommen: Einige Konkurrentinnen haben dadurch womöglich Kräfte gelassen.
„Ich möchte schneller schwimmen als die WM-Starter“, sagt Roas. Sie selbst hatte die Welttitelkämpfe knapp verpasst. Im vergangenen Jahr hatte sie sich dagegen für die deutsche Freistilstaffel bei den European Championships in Glasgow qualifiziert.
Vereinswechsel nach Berlin bringt viele Vorteile
Damals startete sie noch für die SG Stadtwerke München. Nachdem sich ihre Trainingsgruppe allerdings aufgelöst hat, startet die gebürtige Münchenerin mittlerweile seit Januar für die SG Neukölln. Genau wie sie ist auch ihre Trainingskollegin Alexandra Wenk aus der bayerischen Landeshauptstadt nach Berlin übergesiedelt.
„Die Bedingungen in Berlin sind viel besser als in München“, hat Roas festgestellt. Im Süden hatte sie häufig in der Olympiahalle trainiert, die zuletzt allerdings umgebaut wurde, weshalb es dort schon einmal eng werden konnte. Im Sportforum Hohenschönhausen findet sie nun eine Halle nur für den Leistungssport vor, mit angeschlossenem Kraftraum und dem Physiotherapeuten im Gebäude direkt gegenüber. Auch zu ihrer Unterkunft im Haus der Athleten sind es von dort nur fünf Minuten Fußweg.
Finals sind eine Chance für weniger präsente Sportarten
Die deutschen Meisterschaften werden für sie nun quasi zum Heimspiel. Dass die Titelkämpfe in diesem Jahr zusammen mit neun weiteren Sportarten im Rahmen der „Finals 2019“ ausgetragen werden, findet Johanna Roas eine reizvolle Idee. „Dieses Konzept bedeutet mehr Aufmerksamkeit für all jene Sportarten, die ansonsten nicht so im Rampenlicht stehen“, sagt sie. Dazu zählte in jüngster Zeit auch die einstige Paradesportart Schwimmen. Die Deutschen schwammen international zuletzt meist nur noch hinterher, und mit der Zahl der Medaillen schwand das öffentliche Interesse.
Hinzu kamen interne Streitigkeiten, die Ende 2018 im Rücktritt von Verbandspräsidentin Gabi Dörries und Chef-Bundestrainer Henning Lambertz gipfelten. Bei der laufenden Schwimm-WM in Gwangju (Südkorea) haben nun Hannes Vitense und Bernd Berkhahn als Bundestrainer sowie Christian Hirschmann als Teammanager das Sagen. Roas‘ erste Eindrücke des neuen Führungstrios sind dabei durchaus positiv: „Es gab einen echten Dialog, was uns Sportlern wichtig ist, der in den vergangenen Jahren manchmal gefehlt hat“, sagt sie.
College in Denver setzt den Sport in den Fokus
Wie sehr sich ein gutes Umfeld auf die Leistung auswirkt, hat Johanna Roas am College erlebt. In Denver gab es nicht bloß unterschiedliche Trainer für jede Lage und sogar spezielle Coaches nur für Wenden und den Start. Auch der Stellenwert der Sportler an der Universität war ein ganz anderer: Klausuren und Abgabetermine konnten problemlos verlegt werden, und falls ein Athlet allzu viel Stoff verpasst hatte, organisierte die Hochschule kostenfrei einen Tutor.
Die Uni-Kurse wurden um den Sport herumgelegt und nicht andersherum. „Gerade in einer so trainingsintensiven Sportart wie dem Schwimmen ist eine gute Vereinbarkeit von Studium und Sport äußerst wichtig“, sagt Roas. Ist ihr Erfolg also „made in USA“? „Ich profitiere sicherlich davon, aber gerade die Erfolge im Freistil sind vor allem auch ein Ergebnis des hiesigen Trainings“, betont sie. Auch das ist durchaus typisch für einen längeren Auslandsaufenthalt: Dass man danach auch die vorhandenen Qualitäten des eigenen Landes wieder besser zu schätzen weiß.
Alles zu den Finals2019 lesen Sie hier.
Am 3./4. August finden in Berlin die Finals2019 statt. Erstmals bündeln zehn Sportarten (Boxen, Bahnrad, Bogenschießen, Triathlon, Trails, Kanu, Moderner Fünfkampf, Schwimmen, Turnen, Leichtathletik) ihre deutschen Meisterschaften, 194 Titel werden vergeben, rund 3400 Athletinnen und Athleten sind am Start. Die Morgenpost hat in den vergangenen Wochen jeden Mittwoch einen Sportler aus einer der Sportarten vorgestellt. Dieser Teil bildet den Abschluss der Serie.