Berlin. Bei einer Kanutour mit Freunden bringt Florian Thomsen so schnell nichts aus der Ruhe. Was viele andere womöglich in leichte Panik versetzen würde – starke Strömung, Wellen oder gar Felsen im Wasser –, treibt beim Mahlsdorfer den Puls nicht nach oben. Und falls doch, dann wäre es wohl eher die Vorfreude, die sein Herz zum Rasen bringt. Denn für Thomsen kann es auf dem Wasser gar nicht wild genug zugehen.
Der 20-Jährige ist einer der besten Kanuslalomfahrer in Ostdeutschland. Bei dieser Sportart muss eine durch Tore vorgeschriebene Wildwasserstrecke in kürzester Zeit möglichst fehlerfrei befahren werden. Ganz ungefährlich ist das nicht: Immer wieder kommt es vor, dass die Boote vom Wasser überspült werden oder sogar umkippen – Helm und Schwimmweste sind deshalb Pflicht. Spritzdecken sollen verhindern, dass Wasser ins Boot eindringt. „Kanuslalom ist gewissermaßen das Kanufahren für diejenigen, denen der normale Kanurennsport zu langweilig ist“, sagt Thomsen. „Immer nur stur geradeaus zu fahren, könnte ich mir jedenfalls nicht vorstellen.“
Nur zwei Vereine bieten Kanuslalom an
Der Berliner hat sich deshalb auch gar nicht erst auf der Rennstrecke versucht, sondern sich gleich in die Wellen gestürzt. Konnte er sich anfangs noch nicht zwischen Kajak und Canadier entscheiden, hat er sich mittlerweile ganz auf das Einer-Kajak spezialisiert, das im Sitzen gefahren und mit einem Doppelpaddel gesteuert wird. Den Canadier, bei dem die Athleten im Boot knien und zum Steuern ein Stechpaddel verwenden, fährt er nur noch manchmal im Zweier mit Teamkollege Moritz Will.
Schon Thomsens Eltern waren im Kanuslalom aktiv, seine ältere Schwester ebenfalls. Er selbst ist seit vielen Jahren Stammgast bei deutschen Meisterschaften und beim Deutschland-Cup, einer Rennserie mit vier über das Jahr verteilten Veranstaltungen, aus denen sich am Ende die nationale Rangliste ergibt. Im vergangenen Jahr war er dort jeweils der einzige Starter aus Berlin. Im Kanurennsport ist die Hauptstadt bundesweit führend und stellte bereits zahlreiche Olympiasieger, Welt- und Europameister – im Kanuslalom spielt Berlin dagegen nur eine untergeordnete Rolle. In der ganzen Stadt bieten überhaupt nur zwei Vereine diesen Sport an: der Märkische Kanuverein 53, wo Thomsen trainiert, sowie Pro Sport Berlin 24 – beide aus Köpenick.
In Berlin gibt es eine Strecke an der Zitadelle
„Im Berliner Verband hat Kanuslalom leider nur einen sehr geringen Stellenwert. Es fehlt ein wenig die Unterstützung“, sagt Florian Thomsen. Dabei gibt es in der Stadt sogar eine eigene Kanuslalomstrecke am Spandauer Zitadellenwehr, auf der in der Vergangenheit sogar schon deutsche Schüler- und Seniorenmeisterschaften ausgetragen wurden. Auch Thomsen trainiert gelegentlich im Schatten der Festung. Die meiste Zeit übt er allerdings auf der vereinseigenen Anlage auf der Dahme in Grünau.
Zwar fließt der Fluss dort nur sehr gemächlich dahin, doch zumindest die richtige Technik beim Durchfahren der Tore lässt sich dort dennoch einstudieren. Für das richtige Wildwassergefühl muss Thomsen dagegen reisen. Der Trend geht mittlerweile zu künstlichen Anlagen – die nächstgelegene ist der Kanupark Markkleeberg in der Nähe von Leipzig.
Unabhängig vom Terrain ist die Strecke beim Kanuslalom immer zwischen 250 Meter und 400 Meter lang.
Kleine Wirbel unter der Oberfläche
Die Länge bestimmt auch die Zahl der Tore: mindestens 18 und maximal 25 sind es, die entsprechend ihrer Nummerierung nacheinander zu durchfahren sind. Der Kurs wird dabei für jeden Wettkampf neu gesetzt; es ist also nicht möglich, sich vorab darauf einzustellen. Und die Strecke birgt noch mehr Überraschungen: „Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als wenn die Welle immer gleich läuft, gibt es doch kleine Wirbel unter der Oberfläche, die einen erheblichen Unterschied ausmachen können. Man sagt auch: Das Wasser pulsiert“, erklärt Thomsen.
Die Kunst besteht darin, dies herauszulesen und dann an den richtigen Stellen das Paddel einzusetzen. Im Stangenwald braucht es außerdem nicht nur ordentlich Kraft im Oberkörper, sondern auch eine gute Beweglichkeit, um sich noch irgendwie um die Torstangen herumzuwinden.
Aufwärtstore sind gar nicht so schlimm
Manchmal tanzen die Fahrer regelrecht Limbo auf dem Wasser, denn für jede berührte Stange gibt es zwei Strafsekunden. Wird ein Tor komplett ausgelassen, werden sogar 50 Sekunden dazugerechnet. Die meisten Tore sind Abwärtstore, die in Fließrichtung zu durchfahren sind – sie sind mit grün-weißen Stangen gekennzeichnet. Sechs Tore sind allerdings Aufwärtstore, die rot-weiß gekennzeichnet und stromaufwärts zu durchqueren sind.
Häufig werden diese Tore im Kehrwasser platziert, wo die Strömung deutlich langsamer ist, weshalb sie aus Sicht von Florian Thomsen auch längst nicht die größte Herausforderung darstellen. „Es ist vielleicht sogar eine gute Gelegenheit, zwischendurch einmal durchzuatmen“, sagt er. Viel schwieriger findet er versetzte Abwärtstore im schnellen Gewässer: „Da muss man höllisch aufpassen, dass einen der Fluss nicht davonträgt.“ Das würde sonst auch ihn etwas beunruhigen.