Berlin. Die Nachfrage aus der Audi-Box klang durchaus besorgt. Als die letzte Runde des Formel-E-Rennens in Berlin anbrach, bekam Lucas di Grassi aus dem Kommandostand die dringende Aufforderung zu prüfen, ob seine Energie bis zum Ende ausreicht. Di Grassi lag zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich in Front, doch es wäre nicht das erste Mal in der Elektro-Rennserie gewesen, dass ein Fahrer aus Mangel an Energie auf der Schlussrunde den sicher geglaubten Sieg noch verspielt.
Doch der Brasilianer war sich offenbar sicher, dass sein Wagen ihn nicht im Stich lassen würde. „Alles gut, alles gut“, gab er über das Teamradio durch. Im vergangenen Jahr war Lucas di Grassi in Berlin bereits Zweiter gewesen, doch dieses Mal ließ er sich den Sieg nicht mehr nehmen. Es war nach dem Erfolg in Mexiko im Februar sein zweiter Triumph in der laufenden Saison. „Das ist eine tolle Überraschung für mich. Berlin ist jedes Mal eines meiner Lieblingsrennen in der Saison“, sagte er.
50.000 Besucher auf dem Flughafen-Gelände
Die Hauptstadt ist seit 2015 fester Bestandteil des Kalenders und war als einzige Stadt bislang in jeder Saison mit einem Rennen vertreten. In diesem Jahr war die Veranstaltung durch die Erweiterung um das Greentech Festival zu verschiedenen Themen der Nachhaltigkeit größer als je zuvor. An zwei Tagen kamen auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof insgesamt rund 50.000 Besucher zusammen.
Im vergangenen Jahr hatte dort di Grassis Teamkollege Daniel Abt für einen deutschen Sieg gesorgt. Dieses Mal bekamen die Hoffnungen auf den erneuten Erfolg eines Lokalmatadors schon in der Qualifikation einen Dämpfer. André Lotterer (Techeetah), der in der laufenden Saison bislang so stark aufgetrumpft hatte, war auf seiner Aufwärmrunde zu langsam gefahren, so dass er nicht mehr dazu kam, eine schnelle Runde zu absolvieren und das Rennen nur von der vorletzten Position aus anging.
Abt als Sechster bester Deutscher
Dort kämpfte er sich zwischenzeitig zwar bis auf Platz elf nach vorn, doch nach Problemen mit einer überhitzten Batterie musste Lotterer seinen Wagen vorzeitig in der Box abstellen. So wurde Daniel Abt als Sechster bester Deutscher, der aber ebenfalls mit einer verbogenen Spurstange haderte, die ein noch besseres Ergebnis verhinderte. „Am Ende musste ich froh sein, wenigstens diesen Platz zu verteidigen“, sagte er.
Der Blick von Lucas di Grassi war dagegen von Anfang nur nach vorn gerichtet. Als Dritter war er gestartet, zog aber schon früh an Stoffel Vandoorne (Belgien/HWA) vorbei. Kurz darauf schnappte er sich auch Sébastian Buemi (Schweiz/Nissan) und übernahm die Führung, die er bis zum Schluss nicht mehr abgab.
Diskussionen um Nissans Motor
Dahinter kam Buemi als Zweiter ins Ziel, doch in seine Freude über die erste Podiumsplatzierung des Jahres mischte sich auch die Kritik der Konkurrenz, die den Nissan-Doppelmotor schon seit längerem argwöhnisch beäugt. Dieser soll einen deutlichen Vorteil beim Laden der Batterien während der Fahrt sowie beim Beschleunigen bringen. Inwieweit die Nutzung der gespeicherten Energie den Regeln entspricht, ist bislang nicht endgültig geklärt. Acht der neun Hersteller in der Serie,, also alle außer Nissan, fordern das Verbot des Doppelmotors.
Platz drei ging an den Franzosen Jean-Eric Vergne (Techeetah), der auf dem Flughafenkurs noch von Startplatz acht nach vorn stürmte und damit seine Führung in der Meisterschaftswertung ausbaute. „Das war ein wirklich unterhaltsames Rennen mit vielen Überholmanövern“, sagte er. Sechs Punkte hinter Vergne liegt di Grassi in der Gesamtwertung nun auf Rang zwei. Seine Chancen auf den zweiten Titel nach 2017 sind dadurch drei Rennen vor Schluss wieder deutlich gestiegen, doch darüber wollte der 34-Jährige direkt nach dem Lauf nicht groß nachdenken. „Jetzt wird erst einmal gefeiert“, sagte er.