Inzell. Als Claudia Pechstein erschöpft im Ziel ankam, winkte sie ins Publikum, ein Lächeln auf den Lippen. Ein Abschiedsgruß an das Publikum war es aber nicht. Ihren siebten Platz bei der Einzelstrecken-WM in Inzell feierte die fast 47 Jahre alte Eisschnellläuferin wie eine Medaille. Die Berlinerin, die im Massenstart-Rennen noch einen zwölften Platz hinzufügte, ebnete sich selbst den Weg für die kommenden drei Jahre bis zu den Winterspielen 2022 in Peking, wenn die fünffache Olympiasiegerin kurz vor ihrem 50. Geburtstag steht. „Wenn ich hier nicht angetreten wäre, hätte ich aufgehört. Jetzt ist Olympia das klare Ziel“, sagte Pechstein und schob wie zur Bestätigung einen kurzen Satz hinterher: „Ich laufe weiter.“
Mit dem siebten Platz bestätigte Pechstein nicht nur als einzige deutsche Eisschnellläuferin ihren Status als Olympia-Kader. Ihre sportliche Leistung beeindruckte. „Ich bin unheimlich stolz und froh, dass ich die Rundenzeiten so halten und sie zum Schluss sogar noch einmal drücken konnte“, sagte die Berlinerin, die nämlich in 7:00,90 Minuten auf die Hundertstel genauso schnell war wie bei der Weltmeisterschaft 2011 an gleicher Stelle, als sie Bronze holte.
Claudia Pechstein ist von sich selbst überrascht
„Wenn ich vor acht Jahren die gleiche Zeit gelaufen bin, dann ist das einfach der Wahnsinn“, sagte Pechstein, die nicht zu altern scheint, von sich selbst ein wenig überrascht. Dabei sagte sie im Januar ihren Start bei der EM in Klobenstein noch wegen Rückenproblemen ab. Hinzu kamen turbulente Tage vor der WM, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ihre Berufung gegen ein Urteil vom 2. Oktober 2018 zurückgewiesen hatte und Pechstein nach diesem Tiefschlag ihren WM-Start generell infrage stellte. Als Konsequenz verzichtete sie zum WM-Auftakt auf die 3000 Meter und die Teamverfolgung, um sich voll und ganz auf ihre Lieblingsstrecke, die 5000 Meter, zu konzentrieren. „Es ist für mich ein Sieg, dass ich hier überhaupt angetreten bin“, sagte Pechstein.
Martina Sablikova in einer anderen Liga
In einer anderen Liga lief einmal mehr die Tschechin Martina Sablikova, die nach ihrem Triumph über die 3000 Meter mit 5000-Meter-Gold in 6:44,85 Minuten wie die Niederländerin Ireen Wüst über die 1500 Meter ihre 19. WM-Goldmedaille eroberte und mit Gunda Niemann-Stirnemann gleichzog, die zwischen 1991 und 2001 elf Einzel- und acht Allround-WM-Titel eroberte. Die Erfurter Rekord-Weltmeisterin staunte vor allem über Pechstein: „Was diese Frau leistet, das ist der Wahnsinn.“
Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) erlebt trotz der starken Leistung von Pechstein einmal mehr eine Enttäuschung. Einzig der Erfurter Patrick Beckert schrammte über die 10.000 Meter um zwei Tausendstelsekunden in der knappsten Entscheidung der WM-Geschichte an Bronze vorbei. „Diese Medaille wäre so wichtig für den Verband gewesen“, sagte Präsidentin Stefanie Teeuwen. So aber ging die DESG wie schon bei der WM 2016 und den olympischen Winterspielen 2014 und 2018 leer aus. Auch Sprinthoffnung Nico Ihle aus Chemnitz verpasste trotz guter Zeiten über die 500 Meter (Platz 11), 1000 Meter (8) sowie im Teamsprint (4) das Podest. „Man darf nicht immer alles an Medaillen messen. Es ist nicht schlecht, wenn man Vierter oder Fünfter wird“, sagte Teeuwen.
So bleibt eine fast 47 Jahre alte Frau neben Beckert und Ihle die Hoffnungsträgerin des einst so erfolgsverwöhnten Verbandes. „Ich ziehe den Hut vor dieser Leistung“, sagte Verbandschefin Teeuwen über Claudia Pechstein. Dass bei den Titelkämpfen in Inzell die deutsche Mannschaft so klein war noch nie bei einer Weltmeisterschaft, beschreibt die aktuelle Leistungsfähigkeit des Verbandes.