Es war nur eine kleine Meldung, die man schnell überblättern kann. „Torunarigha-Bruder flüchtet aus Polen“, schrieb die „Bild“ am Mittwoch. Junior Torunarigha (28), der sieben Jahre ältere Bruder von Herthas Innenverteidiger Jordan Torunarigha, hat seinen Vertrag beim polnischen Erstligisten Zaglebie Sosnowiec nach nur fünf Monaten wieder aufgelöst. Der Stürmer, in Nigeria geboren, in Chemnitz aufgewachsen und fünf Jahre lang Spieler in Herthas Jugendakademie, soll nach schlechten Partien von den eigenen Fans rassistisch beleidigt worden sein. „Jetzt hielt er es nicht mehr aus und zog die Konsequenzen“, schreibt das Blatt.
Bewertet die englische Presse dunkelhäutige Spieler schlechter?
Nun ist Junior Torunarigha kein bekannter Fußballer. Und dass es in Osteuropa auch Fans mit einer fragwürdigen Gesinnung gibt, überrascht nicht unbedingt. Ich blätterte also weiter durch die Zeitungslandschaft und hätte die Sache fast vergessen, wäre ich nicht wenig später auf folgende Geschichte gestoßen: „Fußballprofi Raheem Sterling hat eine Rassismus-Debatte in England ausgelöst“, schreibt die „Frankfurter Rundschau“ am Mittwoch.
Sterling, ein 24 Jahre alter Offensivspieler von Manchester City, hat der britischen Boulevard-Presse vorgeworfen, über dunkelhäutige Profis schlechter zu berichten als über weiße. Der Nationalspieler wurde am Wochenende beim 2:0 gegen Chelsea von gegnerischen Fans beleidigt. Es gibt ein Video, wie er bei einem Einwurf von hinter ihm stehenden Anhängern schwer beschimpft wird – wohl rassistisch. Den Hass spürt man durch den Bildschirm. Sterling hat der Yellow Press eine Mitschuld daran gegeben, weil sie Ressentiments gegenüber farbigen Profis schüre. Als Beispiel nannte er Berichte aus der Boulevard-Zeitung „Daily Mail“ über zwei Nachwuchskicker von Manchester City, der eine schwarz, der andere weiß. Beide haben jeweils ein Haus gekauft. Beim farbigen Spieler nennt die „Daily Mail“ in der Überschrift reißerisch sein Wochengehalt, weist darauf hin, dass er noch kein Ligaspiel bestritten habe. Bei dem hellhäutigen Spieler heißt es nur, dass er ein Haus für seine Mutter erworben habe. Der eine ist für den Boulevard ein neureicher Protzer, der andere ein dankbarer Sohn. Beide aber haben die Häuser tatsächlich für ihre Mütter gekauft.
Fußball als Guckloch in die Gesellschaft
Sterling hat für seinen Mut, den Missstand anzusprechen, viel Zuspruch bekommen. Jürgen Klopp, Liverpools Trainer, hat ihn ebenso öffentlich unterstützt wie sein eigener Vorgesetzter, Pep Guardiola. „Rassismus ist überall“, sagte der City-Trainer, „wir müssen dafür kämpfen, eine bessere Situation für alle zu erreichen.“
Guardiola meinte richtigerweise, dass Rassismus kein fußballspezifisches Problem sei, sondern ein gesellschaftliches. Man könnte den Fußball auch als eine Art Guckloch in die Gesellschaft beschreiben. Aber mir scheint, der Fremdenhass war lange schon nicht mehr so präsent in diesem Sport wie im Moment. Er ist eines der prägenden Themen des Fußballjahres 2018 – und das international. „Überall Rassismus“ müsste es in einer Jahresbilanz heißen. Die Engländer haben um Raheem Sterling nun eine ähnliche Debatte wie wir in Deutschland vor, während und nach der WM um Mesut Özil. Die Causa um die Fotos von ihm und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan, der Rücktritt Özils aus der deutschen Nationalelf samt Rassismusvorwürfen, all das ist einmalig in der deutschen Fußballhistorie und hat das Land erschüttert. In Schweden gab es zeitgleich den Fall Jimmy Durmaz, das ist ein Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, der nach einem Fehler im WM-Spiel gegen Deutschland rassistisch beleidigt wurde.
Man hätte die sozialromantische Hoffnung haben können, dass Rassismus im Jahr 2018 keinen Platz mehr findet – selbst in einem oft fortschrittslahmen Sport wie dem Fußball. Stattdessen scheint er die Hydra unserer Zeit zu sein. Irgendwo wächst immer ein Kopf nach. Doch wenn der Fußball tatsächlich ein Guckloch in die Gesellschaft ist, dann muss man sich Sorgen machen.