Lissabon/Barcelona. Nun forderten die ganzen Affären ihr erstes Opfer. Nicht irgendeines: Paulo Goncalves war Chefjurist bei Benfica Lissabon und arbeitete sich in seinen zwölf Jahren im Klub zum starken Mann hinter Präsident Luis Filipe Vieira nach oben. Er wickelte Spielertransfers ab und vertrat den Verein bei der Liga. Doch damit ist es nun vorbei. Sein Maulwurf hat ihn zur Strecke gebracht.
Der „E-Maulwurf“, um genau zu sein: So heißt der Skandal, in dem die portugiesische Staatsanwaltschaft gegen Goncalves, zwei Justizbeamte, aber auch gegen Benfica kürzlich Anklage erhob. Der Klubjustitiar soll die beiden Angestellten so freundlich mit Geschenken begünstigt haben, dass Benfica immer schon im Voraus erfuhr, was im Fußball so an Verfahren anstand. Bei der Konkurrenz – oder auch bei sich selbst. Etwa im „E-Mail-Skandal“: In dem enthüllen abgefangene Schreiben ein Netzwerk, mit dem Benfica mutmaßlich die Gremien des portugiesischen Fußballs korrumpierte.
Dass Bayern Münchens heutiger Champions-League-Gastgeber (21 Uhr/Sky) die offizielle Bekanntgabe von Goncalves’ Demission mit einem Dank an „Loyalität und Integrität“ des Verdächtigen verknüpfte, mag da wie blanker Hohn erscheinen. Es überrascht weniger, wenn man bedenkt, dass Klubchef Vieira in die „Maulwurf“-Aktion eingeweiht gewesen sein soll. Der seit 15 Jahren amtierende Präsident steht in einem weiteren Verfahren auch persönlich unter Korruptionsverdacht. Die Einschläge bei Portugals Rekordmeister rücken an ihn heran.
Vor allem aber an den Klub an sich. Während Vieira Unschuld beteuert („Die Anklage entbehrt jedem Fundament, das wird der Prozess zeigen“), fordert die Staatsanwaltschaft zwischen sechs Monaten und drei Jahren Spielbetriebssperre. Von „Professoren der Kriminalität“ sprach vorige Woche genüsslich Francisco Marques, der Kommunikationsdirektor des FC Porto, der die vermeintlichen Machenschaften des Dauerrivalen seit Jahren medienwirksam anklagt – wie auch Lokalrivale Sporting.
Schiedsrichter sollen bestochen worden sein
Bei Benfica ist man fest davon überzeugt, dass diese beiden Klubs zugleich den Hacker anheuerten, der den Mailverkehr abschröpfte. Es soll sich dabei um den in Osteuropa untergetauchten Rui Pinto handeln, der seit Jahren immer wieder auch als treibende Kraft hinter der Enthüllungsplattform „Football Leaks“ genannt wird. Pikanterweise war Rui Pinto ein Schulkamerad des Porto-Vereinsjournalisten Diogo Faria – der zusammen mit Kommunikationschef Marques voriges Jahr ein Buch über das vermeintliche Netzwerk Benfica publizierte. Titel: „Der rote Krake“.
Dessen Tentakel sollen sich vor allem um das Schiedsrichterwesen gelegt haben. „Dieser Raum wurde durch viel Arbeit des Premierministers erobert“, hieß es etwa in einem mutmaßlichen Schreiben eines Benfica-nahen Referees, aus dem Marques schon 2017 zitierte: „Wir haben gute Priester für alle Messen.“ Der „Premierminister“ wird als Code für Benfica-Präsident Luis Filipe Vieira verstanden, die „Priester“ waren die Schiedsrichter, die „Messen“ die Spiele.
Tatsächlich gewann Benfica bis zur Meisterschaft Portos in der vergangenen Saison vier Mal am Stück die Liga, oft begleitet von einem Aufschrei der Rivalen über die Leistungen der Referees. Ebenso, wie es bei der langen Dominanz Portos in den Jahrzehnten zuvor oft der Fall war. 2004 ergab der Bestechungsskandal „Goldene Pfeife“ deutliche Indizien, dass Portos legendärer, mittlerweile seit 46 Jahren amtierender Präsident Jorge Nuno Pinto da Costa die Schiedsrichter mit Prostituierten gefügig machte. Er wurde angeklagt, ging jedoch letztlich fast unbeschadet aus der Sache.
Nichts anderes hofft jetzt Benfica. Zumindest im Fall der E-Mails stehen die Chancen nicht schlecht. Illegal gewonnene Dokumente werden von Gerichten in aller Regel nicht als Beweismittel anerkannt. Anwalt Goncalves begründete seine Demission damit, dass er seine Energie auf seine Verteidigung verwenden wolle. Er wird in 79 Vergehen angeklagt. Benfica übrigens in 30. Und das ist ein Problem, das vorerst keine Entlassung lösen kann.