Berlin. Es ist nicht lange her, da hätte die Ankündigung von Jack Culcay und Tyron Zeuge auf WM-Kämpfe hingewiesen. Am Sonnabend klettern Culcay (32) und Zeuge (26) in der Potsdamer MBS-Arena in den Boxring – mit unbekannten Gegnern und ohne Titelehren, früher war da mehr Lametta.
Dass beide ohne WM-Titel dastehen, liegt auch an der Erosion des renommiertesten deutschen Profiboxstalls Team Sauerland. Beide wurden unter Sauerland-Regie Weltmeister, beide verloren ihre Titel als Mitglieder der Traditionstruppe – und trennten sich nach Meinungsverschiedenheiten vom Arbeitgeber. Von inakzeptablen finanziellen Angeboten und inakzeptabler Betreuung war zu hören. Dem würden sich auch die einst bei Sauerland als „perspektivische Weltmeister“ eingestuften Berliner Stefan Härtel (30) und Enrico Kölling (28) anschließen. Auch sie verließen nach „lächerlichen Angeboten“ (Kölling) jenen Boxstall, der lange das Rückgrat der hiesigen Profiszene war, wechselten zum SES-Team von Ulf Steinforth nach Magdeburg.
Was Culcay und Zeuge angeht, sieht Teamgründer Wilfried Sauerland (78), der sich erst seit Kurzem wieder verstärkt um die Aktivitäten in Deutschland kümmert, die Dinge naturgemäß anders. „Jack hat zwei Kämpfe in Folge verloren (2017 gegen den Amerikaner Demetrius Andrade und den Polen Maciej Sulecki, d.R.), damit konnten wir uns vertragsgemäß von ihm trennen, hatten ihm aber ein neues Angebot gemacht. Bei Zeuge liegt der Fall komplizierter. Mit ihm hätte ich weiter zusammengearbeitet, trotz der WM-Niederlage gegen Rocky Fielding (14. Juli in Offenburg, d.R.). Er wollte aber bei seinem Trainer Jürgen Brähmer bleiben, mit dem ich jedwede weitere Zusammenarbeit ablehne.“ Brähmer, der im Oktober 40 Jahre alt wird, ist noch als Profi aktiv und streitet mit Sauerland um die Erfüllung einiger Bestandteile vorhergegangener mündlicher wie schriftlicher Abmachungen.
Kein Deutscher mehr unter den Top-Fünf seiner Gewichtsklasse
Unabhängig davon stellt sich für Wilfried Sauerland die Frage, wie intensiv er sich in eine Wiederbelebung des in Deutschland angesiedelten Teils seines Unternehmens einbringen will. Was auch die Beantwortung der Frage nach dem weiteren Werdegang von Ex-Champion Arthur Abraham (38) und Trainer Ulli Wegner (76) erfordert. Das Trainingszentrum im Olympiapark bleibt zwar mit einem halben Dutzend junger Athleten vorläufig erhalten. Aber es fehlt die personelle Ausstattung für eine Top-Betreuung. Alternativ zum Neustart in Berlin könnte Sauerland den Ruhestand genießen und den Söhnen Kalle (41) und Nisse (39) die bereits bestehenden Aktivitäten in Großbritannien und Skandinavien überlassen. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, eines steht fest: Momentan gehört kein in Deutschland trainierender Sauerland-Boxer – allerdings auch kein anderer Faustkämpfer aus einem anderen Team – weltweit unter die besten Fünf seiner Gewichtsklasse. Auch nicht Manuel Charr (34), der zwar als „regulärer“ WBA-Weltmeister geführt wird, aber nur Nummer zwei hinter Klitschko-Bezwinger Anthony Yoshua ist.
Der Rückstand ist also eklatant. Die vermeintliche Lösung soll darin bestehen, dass sich die Boxer selbst vermarkten, aus den Erlösen ihre Trainer bezahlen und so den Grad ihrer Popularität, und damit ihr Einkommen, selbst bestimmen. Das favorisiert Kalle Sauerland. Für den deutschen Markt klingt das nach Utopie. Das funktioniert sicher auf niederem Niveau. Die reine Anzahl von Profiboxveranstaltungen in Deutschland sind aber nicht das Problem. Die Verbindung zur Spitze ist gekappt. „In jeder Sportart muss für Top-Leistung Geld fließen. Nur wenn die Leute ohne Stress mit der Kohle trainieren können, können sie Weltklasse werden. Bei uns läuft das momentan nicht gut, obwohl Talente da sind“, bringt Graciano Rocchigiani, 1988 erster Weltmeister des Sauerland-Teams, die Dinge auf den Punkt.
RBB-Übertragung schenkt neuem Team Agon Hoffnung
Aus der Hochphase zwischen 1990 und 2014, lange gestützt durch Überweisungen von ARD (an Sauerland) und ZDF (an Universum Boxpromotion in Hamburg), ist hierzulande eine Mangelverwaltung geworden. Darüber können weder Charr noch der EM-Titel von Schwergewichtler Agit Kabayal (26, Leverkusen) und die solide Arbeit des Magdeburger SES-Teams von Ulf Steinforth hinwegtäuschen. Was den Kreis zu Culcay und Zeuge schließt.
Beide Ex-Champions sind noch nicht vollständig von der Weltspitze abgekoppelt. Culcay, der bei seinem neuen Team Agon in Berlin von Torsten Schmitz betreut wird, winkt bei einem Sieg gegen Bejaran beim IBF ein Ausscheidungskampf, bei dem der nächste Herausforderer ermittelt wird. Zeuge muss sich geduldig in der Rangliste der World Boxing Association (WBA) wieder nach vorn boxen, könnte dabei von der Kooperation mit Agon profitieren. „Ich habe wieder richtig Lust aufs Boxen“, ließ er keinen Zweifel daran, dass er seinen Teil zur Besserung der Lage leisten will. Culcay macht es ähnlich kurz: „Ich will beweisen, dass ich einen WM-Titel verdient habe.“
Trotz des ARD-Ausstiegs überträgt der RBB die Kämpfe am Sonnabend ab 22 Uhr. Ausschlaggebend war die gute Quote (rund 120.000 nach 23 Uhr), die der RBB im April während der Schwergewichts-EM zwischen Agit Kabayel und Milja Rovcanin (Serbien) verzeichnete, als man das MDR-Signal übernommen hatte. Doch auch das regionale Fernsehen braucht dringend weitere Lebenszeichen aus deutschen Boxringen.