Berliner Champions

Goalball: Immer dem Klingeln des Balls hinterher

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Inga Böddeling

Foto: Binh Truong

Stefan Hawranke ist Vizeweltmeister im Goalball, dem beliebtesten Sport für Sehbehinderte. Er trainiert wie ein Profi, ist aber keiner.

Berlin.  Es ist eine Eigenschaft, die manch einem Profisportler beim Formulieren von Turnierzielen oder Medaillenvorgaben gut tun würde. „Wir sind bescheiden und reißen erst den Mund auf, wenn wir wirklich was geleistet und unsere Ziele erreicht haben“, sagt Stefan Hawranke. Der 33-Jährige ist Goalball-Nationalspieler und hat gemeinsam mit dem deutschen Team Mitte Juni eindrucksvoll gezeigt, wohin diese Einstellung führen kann.

Erst im Finale der Goalball-WM in Malmö (Schweden) musste sich die deutsche Mannschaft dem Team aus Brasilien geschlagen geben. Am Ende stand Platz zwei und die Qualifikation für die Paralympics 2020 in Tokio. Eine Leistung, bei der man dann auch wirklich den Mund aufreißen darf.

Nun mag sich manch einer fragen, warum er trotzdem so gar nichts von diesem Erfolg mitbekommen hat. Es mag daran liegen, dass den Blindensport Goalball das gleiche Schicksal ereilt, wie viele paralympische Sportarten. Sie werden in die Behindertensportecke gestellt und bei Bedarf alle vier Jahre zu den Paralympics medial hervorgeholt.

Hawranke findet das bedauerlich. Zumal der Berliner mehr als 20 Stunden – in Vorbereitung auf große Turniere auch gern mal bis zu 40 Stunden – in der Woche trainiert. „Trotzdem kann ich damit kein Geld verdienen und bin deshalb kein Profi“, sagt Hawranke. Er trainiert wie ein Profi, nennt es sein Hobby. Zeitaufwendig und äußerst erfolgreich. Neben Platz zwei bei der WM landete Hawranke mit der deutschen Mannschaft bei den Paralympics 2016 in Rio auf dem sechsten Rang und ist Vizeeuropameister.

Eigentlich als Sport für Kriegsinvaliden entwickelt

Deutschland ist eine der führenden Goalball-Nationen, hat eine eigene Bundesliga und bald auch eine Zweite Liga. Doch der Sport ist recht unbekannt. „Es gibt keine Komplementärsportart im Nicht-Behindertensport“, sagt Hawranke, der nur noch zwei Prozent Sehvermögen hat. Goalball wurde einst für Kriegsinvaliden entwickelt und 1946 zum ersten Mal gespielt. Es ist eine ganz eigene Sportart, bei der jeweils drei Teammitglieder meist liegend ihr neun Meter breites Tor bewachen und im Gegenzug versuchen, einen klingelnden Ball mit bis zu 80 km/h in das gegnerische Tor zu werfen – durch Drehbewegungen oder einen kleinen Anlauf. Gespielt wird auf einem Volleyballfeld rein über die Akustik, die Augen der Sportler werden mit Brillen abgedunkelt, damit jeder die gleichen Voraussetzungen hat. Goalball ist die weltweit beliebteste Sportart für Sehbehinderte.

Von gleichen Voraussetzungen kann bei der Aufmerksamkeit für Goalball aber nicht die Rede sein. Deshalb setzt sich Hawranke seit Jahren ehrenamtlich für den Sport ein. Neben seinem Beruf bei den Berliner Wasserbetrieben engagiert sich Hawranke, der mittlerweile seit 20 Jahren Goalball spielt, als Vorstand im Verein „AktivGOAL e.V.“. „In Kooperation mit dem Deutschen Behindertensportverband e.V. organisieren und finanzieren wir die Bundesliga“, sagt Hawranke. Mittlerweile haben sich dort elf Teams angeschlossen, die an gebündelten Spieltagen zwei bis drei Partien bestreiten.

Das Ziel heißt Tokio 2020

Der Rekordmeister ist Marburg. Die Stadt gilt als Hochburg des Blindensports in Deutschland und beherbergt einen paralympischen Trainingsstützpunkt. Auch Hawranke, der im Team von Königs-Wusterhausen spielt, hat dort fünf Jahre in Vorbereitung auf die Paralympics 2016 gelebt. Professionelle Bedingungen, die auch die Nationaltrainer Johannes Günther und Stefan Weil nutzen. Für Hawranke sind die beiden „die besten Trainer weltweit“ und haben dafür gesorgt, dass die deutsche Auswahl konkurrenzfähig ist. Für die Zukunft wünscht sich Hawranke, dass das so bleibt. „Wenn wir weitere Leute erreichen und uns in den kommenden Jahren mit Spielern, Schiedsrichtern und Trainern gut aufstellen, dann bin ich optimistisch“, sagt er. Und dann können Deutschlands Goalballer vielleicht auch bei den Paralympics in Tokio 2020 wieder den Mund aufreißen.