Essen. Reinhard Grindel räumt ein, dass dem DFB die Causa Özil früh entglitten ist. Persönliche Konsequenzen aus dem Politikum zieht der Verbandschef nicht
Reinhard Grindel ist nicht unbedingt das, was man öffentlichkeitsscheu nennt. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes – früher Journalist und Politiker – hat sehr wohl das Gespür für den Moment, hat die Rhetorik für einen wirkungsvollen Auftritt, hat ein Lächeln für die Kameras stets bereit. Aber derzeit ist das alles nicht zum Lächeln. Auch deshalb ist er abgetaucht. Zumindest sein Schweigen im Fall Özil brach der heftig in die Kritik geratene 56-Jährige am Donnerstag. Per Erklärung auf der verbandseigenen Internetseite. Kein Lächeln. Keine Nachfragen. Nur Zurückhaltung. Schließlich geht es um seinen Job.
Schäuble gibt dem DFB die Schuld an der Eskalation
„Das sportliche Abschneiden bei der WM hat vieles infrage gestellt. Natürlich stelle auch ich mir die Frage, was ich in dieser Zeit hätte besser machen können“, ließ Grindel in einer schriftlichen Stellungnahme vom DFB verbreiten: „Ich gebe offen zu, dass mich die persönliche Kritik getroffen hat. Noch mehr tut es mir für meine Kollegen, die vielen Ehrenamtlichen an der Basis und die Mitarbeiter im DFB leid, im Zusammenhang mit Rassismus genannt zu werden. Für den Verband und auch für mich persönlich weise ich dies entschieden zurück.“ Es sind die ersten Worte des Präsidenten in dieser auch für ihn prekären Lage, die ihren Anfang am 13. Mai nahm mit einem Foto, auf dem Özil zusammen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan posierte und das die deutsche Nationalmannschaft durch das sportliche Desaster bei der WM begleitete. Özil - geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen, Wurzeln in der Türkei - schwieg dazu. Grindel beging den Fehler, den Spieler nach dem Turnier öffentlich zu einer Erklärung zu drängen. Diese wurde eine Abrechnung. Özil warf vor allem Grindel am Sonntag Rassismus vor. Özil erinnerte daran, dass Grindel einst gegen die doppelte Staatsbürgerschaft argumentiert hatte, als er 2004 Bundestagsabgeordneter der CDU war. Dass er Multikulti für „einen Kuddelmuddel“ hielt.
„Die Werte des DFB sind auch meine Werte. Vielfalt, Solidarität, Antidiskriminierung und Integration, das alles sind Werte und Überzeugungen, die mir sehr am Herzen liegen“, ließ Grindel wissen: „Ich habe in meiner Zeit beim DFB erleben dürfen, was der Fußball für die Integration leisten kann.“ Fehler räumt er aber ein. Er bedaure es sehr, dass das Foto von Özil mit Erdogan „für rassistische Parolen missbraucht wurde. Rückblickend hätte ich als Präsident unmissverständlich sagen sollen, was für mich als Person und für uns alle als Verband selbstverständlich ist: Jegliche Form rassistischer Anfeindungen ist unerträglich, nicht hinnehmbar und nicht tolerierbar.“
Der Druck auf Grindel, war groß geworden. Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef des Marktführers Bayern München, vermutet „Amateure“ an der Verbandsspitze. Harald Stenger, ehemaliger DFB-Pressechef, sagte, Grindel sei der „schlechteste Präsident in den letzten 50 Jahren“. Auch die Politik meldete sich am Donnerstag zu Wort. „Ich habe bis heute nicht verstanden, weshalb man beim DFB zugelassen hat, dass aus einer so unklugen Fotoaktion eine derartige Staatsaffäre gemacht wurde“, gab Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident und ebenfalls CDU-Mann, gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland dem DFB die Schuld an der jüngsten Eskalationsstufe.
Grindel verzichtete in seiner Erklärung auf Einlassungen zu seiner Zukunft. Er entschied sich für Defensive, statt auch darauf hinzuweisen, dass das Bild, das Özil mit seiner dreiteiligen Tirade von Deutschland zeichnete, unvollständig ist. Darauf verweist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Gespräch mit dieser Redaktion: „Die überwältigende Mehrheit der Sportvereine ist mitnichten integrationsfeindlich oder gar rassistisch, sondern ganz im Gegenteil ein großartiges Vorbild für Integration.“
Der DFB steht vor den Scherben seines Krisenmanagements. Aber Grindel wird freiwillig seinen Stuhl nicht räumen. Er verwies auf das „große gemeinsame Ziel“, das der DFB habe. Am 27. September entscheidet das Exekutivkomitee des europäischen Verbandes Uefa, ob das bisher favorisierte Deutschland den Zuschlag für die EM 2024 erhält. Nun drohen die Probleme dem Mitbewerber in die Karten zu spielen. Der heißt: Türkei. „Das Turnier kann eine neue Geschichte des Fußballs erzählen, Kinder in die Vereine bringen, Menschen noch enger zusammenbringen“, so Grindel. „United by football“, schloss er. Vereint durch Fußball. Danach zu leben, ist im DFB gerade nicht so leicht.