Kolumne

Was nach dem Fall Özil für Deutschland auf dem Spiel steht

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Jörn Meyn
Allein gelassen: Mesut Özil hat mit der Erdogan-Affäre einen fatalen Fehler gemacht. Doch der DFB verschlimmt die Causa, weil er keinen souveränen Umgang findet

Allein gelassen: Mesut Özil hat mit der Erdogan-Affäre einen fatalen Fehler gemacht. Doch der DFB verschlimmt die Causa, weil er keinen souveränen Umgang findet

Foto: Shaun Botterill / Getty Images

Die WM hat hierzulande und in anderen Nationen Integrationskonflikte hervortreten lassen: Der Fußball könnte helfen, sie zu lindern.

Als Erwin Kostedde 1974 erstmals zur deutschen Nationalelf reiste, wurde es hässlich. Sportreporter fragten Jupp Derwall, der Bundestrainer Helmut Schön vertrat: „Was, das soll ein Deutscher sein?“ Derwall sagte: „Jawohl.“ Damit hatte sich die Sache für ihn. Aber sie war eine Revolution: Kostedde, Sohn eines US-Soldaten, wurde der erste dunkelhäutige deutsche Nationalspieler. „Diese Tatsache“, sagte der spätere Hertha-Profi, „wird sicher vielen Menschen meiner Hautfarbe Auftrieb geben.“

Heute ist viel mehr Farbe ins Spiel gekommen. Spätestens seit Deutschland mit einer Multikulti-Elf um Jerome Boateng, Sami Khedira und Mesut Özil 2014 Weltmeister wurde, konnte man meinen, dass im Sport vollbracht ist, was in der Restgesellschaft manchmal noch hakt: ein Miteinander aller möglichen Herkünfte und Religionen für eine gemeinsame Sache. Doch bei der WM in Russland ist der durch die Flüchtlingsproblematik verschärfte Integrationskonflikt auch im Fußball hervorgetreten. Nicht nur bei uns Deutschen. Bei den Schweizern löste der gebürtige Albaner Xherdan Shaqiri durch seinen Doppeladlerjubel einen Eklat aus. Der Doppeladler ist das Wappentier Albaniens.

Was, das soll ein Schweizer, Schwede, Deutscher sein?

Bei den Schweden wurde Jimmy Durmaz, ein dort geborener Sohn eines Türken und einer Syrerin, nach seinem Foul gegen Deutschland, das zum Tor von Toni Kroos führte, rassistisch beleidigt. Die Nationalelf stellte sich mit einem Video dagegen. Und da ist die deutsche Diskussion um Mesut Özil, Ilkay Gündogan und die Erdogan-Fotos. Hinter allen Fällen stecken andere Geschichten, aber alle stellen dieselbe Frage: Was, das soll ein Schweizer, Schwede, Deutscher sein?

Nationalteams sind ein Indikator dafür, welche Gruppen als zur Nation gehörig betrachtet werden. Der Sport hat hier die Kraft, komplexe Sachverhalten zu vereinfachen. 2014 sahen die Deutschen, dass mit Özil, Boateng und Khedira Migrantenkinder etwas für dieses Land leisten. Dass es gut ist, dass sie dazugehören. Der Triumph von Rio war auch ein Integrationserfolg. Für all die Fußballinteressierten aus Einwandererfamilien hatte er ebenso eine positive Funktion: Özil, Boateng, Khedira wurden zu Vorbildern für eine gelungene Integration. Kinder türkischer, ghanaischer, tunesischer Eltern sahen: Das ist auch unser Land, das da gewinnt. Oder mit Kostedde gesprochen: Es gab ihnen Auftrieb.

Die deutsche Niederlage war auch eine für die Integrationsbemühungen

Doch nun wirft die erhitzte Debatte um Özil den Deutschen Fußball-Bund (DFB) um Jahre zurück beim Thema Vielfalt. Nicht, weil Özil einen fatalen Fehler gemacht hat, sondern weil der DFB keinen souveränen Umgang damit findet. Jetzt zeigt sich die Kehrseite der vereinfachenden Kraft des Fußballs: Zwei Spieler mit Migrationshintergrund verhalten sich dumm, schon meinen gar nicht so wenige, dass „die Türken“ sich eh nie integrieren wollten. Dass sie nichts zu suchen hätten in einer deutschen Elf. Weil DFB-Präsident Reinhard Grindel nun Özil auch noch zum Sündenbock macht, wird die Sache noch schlimmer. Wo der Fußball einst mithalf zu einen, ist er nun daran beteiligt zu spalten. Die deutsche WM-Niederlage war auch eine Niederlage für die deutschen Integrationsbemühungen.

Aber der Fußball, der als Ersatzspielfeld Schauplatz für diesen Konflikt ist, kann helfen, ihn zu beheben. Es gab schon einmal ein Land, an dessen Nationalelf Integrationsfragen verhandelt wurden, das nach einem Erfolg das Multikulturelle pries und dann nach einer Schmach darin das Problem suchte. Frankreich wurde mit einer Multikulti-Elf 1998 Weltmeister. 2010 zerbrach das Team auch an ethnischen Fragen. Die Elf, die in der Vorrunde ausschied, wurde zum Sinnbild einer gespaltenen Gesellschaft. Jetzt ist Frankreich ins WM-Finale am Sonntag eingezogen – mit einem multiethnischen Team. Das löst die Probleme einer Nation nicht, aber es kann sie lindern und Vorbilder kreieren.

Es geht also nicht um Erfolg oder Misserfolg, wenn sich die deutsche Nationalelf im September erstmals nach dem WM-Debakel wieder trifft. Es steht dann viel Wichtigeres auf dem Spiel.