Berlin. Der Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne verfügt über ein Privatvermögen von 11,7 Milliarden Euro. Man könnte also sagen, der Mann solle sich nicht so haben. 126 Millionen Euro hat Kühne als Mäzen seit 2010 in seinen Herzensklub, den Hamburger SV, investiert. Er hat Anteile erworben, Darlehen gewährt und abgehalfterte Ex-Stars finanziert (Rafael van der Vaart). Nun aber muss man lesen, dass der 80-Jährige mit seinem Investment nicht sonderlich zufrieden ist: „Rein wirtschaftlich betrachtet, ist der HSV die schlechteste Investitionsentscheidung meines Lebens“, sagte Kühne der „Süddeutschen Zeitung“.
Beim Hamburger SV verfluchen sie den Tag, an dem sie sich in die Abhängigkeit vom Milliardär begeben haben. Mit ihm begann der Absturz zur größten Skandal-Fabrik der Bundesliga. Witze über den HSV zu machen, der jedes Jahr wieder tief im Abstiegskampf steckte und sich dann mirakulös doch noch rettete, das war irgendwann so originell wie Spott über den US-Präsidenten Donald Trump. Zu einfach.
Nun, da sich die Geschichte beim HSV wiederholt – Lachnummer der Liga sein und am Ende dennoch die Chance auf die Rettung haben –, meldet sich Kühne also wieder zu Wort. Und das vor dem so wichtigen vorletzten Spiel der Saison bei Eintracht Frankfurt am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky). Für die Stadt sei das alles, was beim HSV passiert, „eine Schande“, so Kühne. Ein Störfeuer im Ringen um den Klassenerhalt darf man das nennen und eine von vielen absurden Geschichten vom Abgrund in diesem Bundesliga-Endspurt.
Vier Fernduelle wird es am Sonnabend, an dem alle Spiele parallel stattfinden werden, im Abstiegskampf geben. Der HSV als Tabellen-17. mit 28 Punkten braucht einen Sieg gegen Frankfurt, um den VfL Wolfsburg (30 Punkte) auf dem Relegationsrang 16 und vielleicht sogar noch Freiburg (15.) oder Mainz (14.) mit je 33 Zählern abzufangen. Bei einer Niederlage und einem zeitgleichen Sieg des VfL in Leipzig wäre der HSV jedoch erstmals in seiner Geschichte abgestiegen.
Hamburg steht vor dem „Halbfinale“ gegen Frankfurt
Es passt zu dieser seltsamen Spielzeit, dass man den so lange desolaten Hanseaten im Moment mehr zutraut als den Niedersachsen. Hier trainiert seit Februar Bruno Labbadia. Verfluchen wird auch er den Tag, an dem er den Job annahm. Witze werden seither über ihn gemacht. Einer geht so: „Bruno rettet den HSV zum zweiten Mal.“ Unter dem 52-Jährigen, der Hamburg 2015 in der Relegation vor dem Abstieg bewahrte, hat Wolfsburg nur eines von acht Spielen gewonnen. Mit zehn Toren stellt der VfL die schlechteste Offensive der Rückrunde. Ende April musste nach zwei Trainern in der laufenden Spielzeit auch Manager Olaf Rebbe gehen. Der Wunschnachfolger, Hannovers Horst Heldt, kam nicht. „Hier sind einfach viele, viele Dinge zusammengekommen“, sagte Labbadia und meinte keine guten. Um keine Störfeuer zuzulassen, hat er sich vor dem RB-Spiel ins Trainingslager nach Thüringen zurückgezogen. Auch das verlief nicht reibungslos. Der Teambus riss sich beim Einparken vor dem Hotel ein Stück der Verkleidung ab. Wolfsburg fährt lädiert nach Leipzig.
Ganz anders ist die Stimmung beim HSV – mal von Kühne abgesehen. Seit U21-Trainer Christian Titz zu den Profis befördert wurde, holte sein Team zehn Punkte aus sechs Spielen. Zuletzt gab es zwei Siege in Serie. Der 47-Jährige hat aus einer verunsicherten Mannschaft, die allein aufs Kontern ausgelegt war, ein Team geformt, dass selbst Fußball spielen will und kann. „Im Moment wird die Mannschaft zunehmend selbstbewusster, mutiger und stabiler“, sagte Titz dem „Kicker“. Als er kam, hatte der HSV sieben Punkte Rückstand auf Rang 16. Nun sind es noch zwei. „Wir haben jetzt ein Ziel vor Augen, auf das wir seit Wochen hingearbeitet haben“, so Titz, der das Spiel gegen Frankfurt zum „Halbfinale“ ausgerufen hat, bevor es am letzten Spieltag im Finale gegen Gladbach geht.
Die kuriose Stimmungswende beim HSV verkörpert keiner besser als Lewis Holtby. Der Mittelfeldspieler hatte Titz einst als Privattrainer beschäftigt. Als Großverdiener im Team saß er meist nur auf der Bank. Unter dem 47-Jährigen spielt Holtby und traf in den letzten fünf Partien vier Mal. Er ist zum unverhofften Hoffnungsträger in einem Klub aufgestiegen, der eigentlich keine Hoffnung mehr hatte.
Aber vielleicht liegt die zarte Auferstehung des HSV auch gar nicht an Lewis Holtby oder Christian Titz. Vielleicht liegt sie an einem griechischen Restaurant, in das die Mannschaft nun schon zum vierten Mal vor einem Spiel geht. Angefangen hatte das, nachdem der Grieche Kyriakos Papadopoulos seine Kollegen dorthin einlud, um sich für Kritik an Titz zu entschuldigen. Das Team hielt daran fest und der Trainer ist zufrieden: „Ich bin kein abergläubischer Mensch. Aber der Mannschaft tut’s gut“, sagte Titz. Mit der Gyros-Kraft soll nun also auch der unschöne Umstand überwunden werden, dass der HSV seit elf Spielen gegen Frankfurt nicht mehr gewonnen hat.
Bleiben noch Freiburg und Mainz. Die Breisgauer reisen nach Gladbach, die Nullfünfer zum BVB. Zwei schwierige Gegner. Es könnte also sein, dass am letzten Spieltag noch vier Mannschaften direkt absteigen können. Das wäre dann mal eine Geschichte.