Jerusalem. Chris Froome und sein angeschlagenes Team Sky gaukeln Normalität vor. In einem Hochglanzvideo präsentierte die britische Traumfabrik dieser Tage Auszüge aus der Vorbereitung auf den Giro d'Italia. Darin ein gut gelaunter Froome auf einer Besichtigungstour in den Dolomiten, gut gelaunte Trainer und Betreuer - die scheinbar heile Welt eines hoch ambitionierten Radprofis.
Dass diese Eindrücke trügen, weiß Froome selbst am besten. Und für einen kurzen Moment ist die Salbutamol-Affäre um den viermaligen Tour-de-France-Sieger dann doch präsent, wenn auch nur indirekt. Es könne manchmal ziemlich stressig sein abseits des Rades, doch er versuche alle Ablenkungen auszublenden, erzählt Froome während des Films in seinem Hotelzimmer. Alles ausblenden. So einfach. Oder doch nicht?
Wenn die 101. Italien-Rundfahrt (4. bis 27. Mai) am Freitag in Jerusalem mit einem logistisch enorm aufwendigen und politisch nicht unumstrittenen Israel-Abstecher beginnt, wird vor allem Froome die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber nicht nur, weil er den ersten Schritt zum seltenen Double aus Giro und Tour anstrebt, das zuletzt Marco Pantani (1998) glückte, oder als dritter Profi überhaupt drei große Landesrundfahrten in Folge (Tour 2017, Vuelta 2017, Giro 2018) gewinnen könnte. Es ist vor allem sein ungeklärter Fall, der die Gemüter erregt.
Grenzwert überschritten
Während der WM 2017 im September in Bergen/Norwegen war Froome von einem positiven Dopingtest auf das Asthmamittel Salbutamol in Kenntnis gesetzt worden. Der festgeschriebene Grenzwert war bei einer während der Vuelta entnommenen Probe um das Doppelte überschritten worden. Knapp zwei Monate später erfuhr die Öffentlichkeit davon, weil Journalisten die Causa aufgedeckt hatten. Bis heute, etwa acht Monate nach der Auffälligkeit, ist unklar, wann es ein Urteil geben wird.
Froome, der standhaft seine Unschuld beteuert, ist seither auch nach Ansicht des deutschen Zeitfahr-Spezialisten Tony Martin "als Gedopter gebrandmarkt, komme, was wolle", wie der 33-Jährige dem SID in Jerusalem sagt. Martin sieht den Fall nach wie vor als "Worst Case für den Radsport" und die Schuld daran nicht in erster Linie bei Froome selbst, sondern im Verfahren des Weltverbandes. "Die UCI bietet zu lasche Regularien auf, um solche Fälle schneller bearbeiten zu können", moniert Martin.
Martin glaubt gleichwohl auch, dass bei kleineren, weniger namhaften Fahrern nicht so gezaudert worden wäre. Froome und Sky aber sollen bereits Millionen in Anwälte investiert haben, um einen Weg aus dem Dilemma zu finden. Da könnte schon ein Formfehler große Auswirkungen haben. "Es ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft", beklagt Martin.
Sein Luxusquartier in Jerusalem hat Froome (32) inzwischen bezogen. Am Donnerstag bei der Teampräsentation im Zentrum der Heiligen Stadt wird er schon einmal einem großen Publikum begegnen, am Freitag beim Auftakt-Zeitfahren dann sein Giro-Projekt beginnen. "Ich würde es für den Rest meines Lebens bereuen, wenn ich es nicht versuchen würde", sagt Froome.
Der Giro fehlt in seiner Titelsammlung und dafür setzt er sich einigen Risiken aus. Nicht nur, dass ein möglicher Gesamterfolg bei einer Dopingsperre wohl nichtig wäre, die Reaktionen der Zuschauer sind ebenso kaum kalkulierbar. Die Corsa Rosa vielleicht noch nicht in dem Maße, aber die Tour im Juli könnte für Froome ein Spießrutenlauf werden. Zumal es in der Vergangenheit ohnehin bereits Anfeindungen gab. "Ich sehe nichts Gutes auf ihn zukommen", sagt Martin.