Madrid

Vom Widerstand des Bösen

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Florian Haupt

Champions League: Warum Paris St. Germain sich vorm Rückspiel gegen Real Madrid nicht nur auf den Fußball konzentriert

Madrid. Bedrohlich posieren vermummte Ultras, die Szenerie ist umhüllt in dunkel-orangenen Rauch, ein Meer von Bengalos und ein Touch von Apokalypse, dazu eine bedeutungsschwangere Stimme, die sagt: „Sie haben elf Männer, wir haben elf Krieger“. Ein Piratenvideo aus der extremen Fanszene? Nicht ganz. Der offizielle Motivationsclip von Paris St. Germain vor dem Champions-League-Match gegen Real Madrid an diesem Dienstag (20.45 Uhr/ZDF und Sky).

In diesem muss der Krösus des europäischen Fußballs heute ein 1:3 aus dem Hinspiel umbiegen, und nach vielen Enttäuschungen innerhalb der letzten Jahre hat sich unübersehbar die Erkenntnis durchgesetzt, dass solche Unternehmungen allein mit exquisitem Fußball nicht zu bewerkstelligen sind. Schon wenige Stunden nach Abpfiff der Partie in Madrid forderte der katarische Klubpräsident Nasser Al-Khelaifi von sämtlichen Vereinsabteilungen einen Vorschlag für die Generalmobilisierung aller Kräfte für das Rückspiel. Herausgekommen ist „Ensemble on va le faire“, so das Motto: „Gemeinsam werden wir es schaffen“. Eine Kampagne, in der es vor Pathos trieft, in der es vor allem flackert und brennt – und in der gezündelt wird, wo es nur geht.

Auf den deutschen Referee wird verbal Druck ausgeübt

Ganz Paris soll schon am Morgen des Spieltags die PSG-Farben durch die Stadt spazieren tragen, dazu ruft zumindest der Klub auf. Derweil übertrug das Vereinsfernsehen ein arrangiertes Treffen am Trainingsplatz zwischen PSG-Profis und Ultraführern (die Spieler sollen sich dabei mäßig wohl gefühlt haben, die Anhängerschaft des PSG gilt schließlich als eine der gefährlichsten Europas). Dazwischen immer wieder neue Botschaften in der Kanonade von Tweets mit trommelwirbelnden und bengaloschwingenden Fans. Sowie zur Abrundung der ganzen Geschichte ein wohl getimtes Interview des sonst eher öffentlichkeitsscheuen Sportdirektors Antero Henrique in der „L’Équipe“ vom Sonntag, in dem es nicht zuletzt um Schiedsrichter ging.

„Im Hinspiel wirkten äußere Einflüsse, es war keine Partie zwischen den Spielern“, so Henrique. „Die Wahl des (italienischen Referees Gianluca, d. Red.) Rocchi war eine Respektlosigkeit gegenüber Paris und Frankreich“. Vom deutschen Rückspiel-Schiedsrichter Felix Brych erhoffe er eine „herausragende Leistung“. Damit „nicht wieder dasselbe passiert wie letztes Jahr gegen Barcelona“.

Tatsächlich fühlte sich Paris im Santiago Bernabéu einem Déjà-vu ausgesetzt. Zwar leistete sich Rocchi nicht so eklatante Fehler wie der Deutsche Deniz Aytekin beim epochalen 1:6 in Katalonien vor Jahresfrist, aber strittige Entscheidungen fällte er zumindest zuverlässig zugunsten der Heimelf. „Ich weiß, wir sind nicht Madrid oder Barcelona, aber allmählich reicht’s“, zeterte Khelaifi danach, ein Hinweis darauf, was in Paris alle denken, auch wenn es so deutlich keiner ausspricht: die seltsamen Ansetzungen in Auswärtsspielen – weder Rocchi noch Aytekin gehören (anders als Brych) zur kontinentalen Elite – hält man auch für eine Form der Besitzstandswahrung des alten Fußballadels.

Auf der anderen Seite übertünchen die Schiedsrichterschelten nur das wirkliche Ziel der ganzen Motivationspropaganda: die eigene Mannschaft und ihr Mentalitätsproblem. Die Pleite in Madrid durch zwei späte Tore nach einer zuvor phasenweise dominanten Vorstellung erweckte wieder alle Dämonen eines Vereins, der in den entscheidenden Europacup-Partien seine Petrodollars einfach nicht in Resultate umgemünzt bekommt. Ein einziges heroisches Match ist vom Katar-PSG in Erinnerung: in Unterzahl drehte man das Achtelfinale 2015 bei Chelsea. Weiter als ins Viertelfinale ging es allerdings auch damals nicht, immer endeten die kühnen Visionen in Tristesse.

Auch diese Zeiten werden von einem Video versinnbildlicht. Nach dem 1:6 von Barcelona kursierte ein Mitschnitt von einem Essen der PSG-Profis Verratti, Meunier, Matuidi und Julian Draxler aus den Tagen vor dem Spiel, in dem sie sich ehrfurchtsvoll, durchaus klug und sehr sympathisch über die Chancen Barelonas diskutierten, mit dem imposanten Camp Nou im Rücken das 0:4 aus dem Hinspiel noch umzubiegen. Diese fast schon kontemplative Haltung zeigten sie dann allerdings auch auf dem Platz. Bevor man erstmals in den letzten Jahren eine K.o.-Runde im Rückspiel zu Hause entscheiden kann, will man beim PSG nun also auch mal ein bisschen böse sein.

Neymars Abwesenheit kann die Degradierten stimulieren

Pfeifen im Walde? Als teamintern größter Stimulus gilt sowieso etwas anderes. Seit der Verletzung des vergangenen Wochenende daheim in Brasilien am Mittelfußknochen operierten Superstars Neymars gehe eine Woge der Vorfreude durch die Kabine, heißt es.

Monatelang hatte der 222 Millionen Euro teure Brasilianer durch seine Allüren und Privilegien verdiente Klubspieler regelrecht zu Komparsen degradiert. Einer wie Edinson Cavani, Rekordtorschütze des PSG, durfte plötzlich keine Elfmeter mehr schießen, einer wie Ángel Di María, zuvor der zweitteuerste Einkauf der Klubgeschichte, nur noch die unbequemen Ligaauswärtsspiele bestreiten, auf die der Meister selbst oft keine Lust hat. Unter Khelaifis Schutz diktierte Neymar bisweilen sogar die Routinen der Mannschaft, doch als es darauf ankam, brachte er sie in Madrid dann auch nicht weiter. Da verlor der PSG, wie immer in den wichtigen Spielen. Nun haben die Verkannten und Gedemütigten ihre Chance zu zeigen, dass es ohne ihn viel besser geht.