Anti-Doping-Kampf

Nada-Chefin Gotzmann: „Die Sanktionen greifen nicht richtig“

| Lesedauer: 7 Minuten
Marcel Stein
Während der Winterspiele in Pyeongchang sollen insgesamt 2500 Dopingtests durchgeführt werden

Während der Winterspiele in Pyeongchang sollen insgesamt 2500 Dopingtests durchgeführt werden

Foto: CARL SANDIN / imago/Bildbyran

Nationen sollen sich über Anti-Doping-Arbeit für Wettbewerbe qualifizieren - das schlägt Nada-Chefin Andrea Gotzmann im Interview vor.

Pyeongchang.  Über 15.000 Kontrollen führt die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) jährlichen bei Sportlern durch. Damit wird die Ehrlichkeit deutsche Athleten gewissenhaft überwacht. So viel Akribie im Kampf gegen das Doping gibt es längst nicht überall, bemängelt Andrea Gotzmann (60), die Vorstandsvorsitzende der Nada.

Frau Gotzmann, vor den Winterspielen sorgten fehlerhafte Urinproben für Unruhe. Wie kann so etwas passieren?

Andrea Gotzmann: Das ist eine Tatsache, die uns auch betroffen macht. Das neue System wurde ja eingeführt, um noch sicherer zu werden. Wie ich finde, gab es schon ein sehr gutes Probensystem, das aber mit hohem Aufwand, mit kriminellster Energie und dem Einsatz eines Geheimdienstes manipuliert wurde. Jetzt sollte das System noch besser werden. Es ist nicht reproduzierbar gewesen, welche äußeren Bedingungen hierzu führten, und es ist bis jetzt nicht klar, ob ein Handhabungsfehler vorliegt oder ein Materialfehler. Es darf einfach nicht sein, dass ein System im Umlauf ist, dass uns keine Sicherheit bietet.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat nun auf das alte Probensystem zurückgegriffen, das von den Russen bei den Winterspielen 2014 umgangen worden ist. Dieser Skandal um staatlich gelenktes Doping und die Konsequenzen daraus bildeten den wichtigsten Aspekt im Antidopingkampf vor den Winterspielen. Wie empfinden Sie, was dabei herausgekommen ist?

Insgesamt war die Entscheidung, das Russische Olympische Komitee zu sperren, vollkommen richtig. Aber es sind ja immer noch Forderungen offen. Die Wada hat die Rusada, das ist unsere Partnerorganisation in Russland, für nicht konform erklärt, das Anti-Doping-System dort ist also nicht anerkannt. Außerdem wurden die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungskommissionen, die das Staatsdoping belegen, bislang in Russland nicht anerkannt. Weiterhin sind die Proben aus dem Moskauer Labor bisher nicht freigegeben worden. In dem gesamten Kontext fehlt mir auch, wie es nach den Spielen weitergeht. Unsere Athleten sind, glaube ich, hochgradig frustriert, dass einige russische Sportler nicht zu Olympia eingeladen werden, aber vorher und nachher munter an Weltcup-Wettbewerben teilnehmen.

Das Misstrauen gegenüber russischen Konkurrenten ist ein ständiger Begleiter deutscher Sportler.

Natürlich, gerade wenn man sich die Historie anschaut. Das IOC hat ein sehr gutes Re-Analyse-Programm gestartet, das heißt, es wurden alle Proben aus London und Peking noch mal einer Untersuchung unterzogen. Da haben wir bis heute das traurige Ergebnis, dass 111 dieser Teilnehmer gedopt gewesen sind – und da ist leider eine große Anzahl russischer Athleten dabei. Das bedeutet, dass es diese Systematik schon seit langer Zeit gibt.

Auch deshalb forderten die führenden internationalen Nadas einen Komplettausschluss russischer Athleten für die Winterspiele in Pyeongchang. Der erfolgte nicht. Zeigte das IOC dennoch eine Konsequenz, indem viele Russen nicht zu den Spielen zugelassen wurden?

Wir haben es begrüßt, dass das russische NOK gesperrt ist. Aber was man betrachten muss: Wie bewertet man einen so massiven Betrug der ganzen Sportcommunity, wenn man eine Mannschaft von 169 Athleten sieht, die zwei Wochen lang olympische Athleten von Russland genannt werden, und danach zum Tagesgeschäft übergeht. Das ist schwierig für uns zu verstehen und auch nicht nachzuvollziehen. Hier greifen einfach die Sanktionen nicht richtig.

Im Vergleich zu den Maßnahmen, die vor Rio 2016 getroffen worden sind, ist das IOC da nun effektiver vorgegangen?

Vor Rio ist es so gewesen, dass man unter Zeitdruck geraten ist. Das war ein großes Problem. Dazu hat man die Entscheidung an die internationalen Sportfachverbände weiterdelegiert, die prüfen sollten, ob die Athleten starten dürfen anhand von Kriterien, die keiner von uns kannte. Das war vollkommen intransparent. Da sind viele dieser Verbände absolut überfordert gewesen. Jetzt wurde der Faktor Zeit wieder nicht mitberücksichtigt. Es ist wieder eine sehr späte Entscheidung gewesen und erneut wurde auf der Einzelfallprüfung beharrt.

Die diesmal aber eine eigens eingerichtete IOC-Kommission durchgeführt hat.

Uns und unseren internationalen Kollegen fehlte dennoch zunächst wieder die Transparenz, nach welchen Kriterien Athleten zugelassen werden zu den Spielen. Die sind inzwischen veröffentlicht worden. Man muss aber im Großen und Ganzen immer wieder fragen, ob diese Maßnahmen einem solchen Betrugssystem wirklich gerecht gegenüberstehen.

Zumal der Sportgerichtshof Cas mit der Entscheidung, die vom IOC ausgesprochene lebenslange Sperre für einige Russen aufzuheben, das IOC schlecht aussehen ließ. Wie bewerten Sie das?

Die Entscheidung des Cas, 28 Fälle des IOC gegen russische Sportlerinnen und Sportler aufzuheben, ist auf den ersten Blick erstaunlich und überraschend. Allerdings müssen wir die Begründung in den einzelnen Fällen abwarten, um eine umfassende Bewertung vornehmen zu können. Saubere Sportlerinnen und Sportler aus Deutschland und anderen Nationen dürften durch das Urteil noch weiter verunsichert sein.

Wie sauber kann Olympia sein heutzutage?

Vor Rio haben wir massiv bemängelt, dass die Kontrollprogramme im Vorfeld der Spiele absolut lückenhaft waren, dass knapp 60 Prozent der Athleten aus Hochrisikosportarten in dem Jahr der Spiele von Rio keine einzige Dopingkontrolle hatten. Dass es so etwas gibt, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Vor Pyeongchang lief das nun besser, weil die Wada frühzeitig eine Taskforce eingesetzt hat. Ich würde jetzt aber nicht sagen, dass es optimal gelaufen ist. Wir haben da höhere Ansprüche. Wir garantieren umfassende Kontrollen des deutschen Perspektivkaders, der über 400 Sportler umfasst, knapp ein Jahr vor den Spielen.

Die Ungleichheit der Kontrollprogramme in den einzelnen Nationen wird immer wieder stark kritisiert. Halten Sie es für die Hauptaufgabe der näheren Zukunft, hier für mehr Gerechtigkeit zu sorgen?

Es ist ganz, ganz wichtig, den Athleten das Gefühl zu geben, dass sie gleiche Chancen haben. Die führenden Anti-Doping-Organisationen, die anerkannte und valide Kontroll- und Präventionsprogramme fahren, müssen das von den anderen einfordern, auch über die Wada. Um an großen Sportwettbewerben teilnehmen zu dürfen, sollte man sich nicht mehr nur sportlich qualifizieren müssen, sondern auch in der Anti-Doping-Arbeit. Das finde ich enorm wichtig. Diejenige Nation, die eine nicht konforme Nada hat, muss Konsequenzen spüren – und das kann nur der Ausschluss für große Sportereignisse sein. Da müssen wir hinkommen.

Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel.

Der Sport gerät im Augenblick in Gefahr, das letzte bisschen Glaubwürdigkeit zu verlieren. Es ist wichtig, dass wir diese Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Und das weltweit.

Es besteht die Option seitens des IOC, dass die Sperre des russischen NOK mit dem Ende der Spiele aufgehoben wird.

Dieser Schlussstrichmentalität kann ich nicht zustimmen, auf keinen Fall. Es gibt keine Nada in Russland, die ein anerkanntes Dopingkontrollsystem gewährleisten kann. Wie geht es da weiter? Wie können wir einfordern, auf ein gleiches Niveau zu kommen? Diese Fragen müssen zuerst beantwortet werden.

Wird es positive Tests in Südkorea geben?

Das weiß man nie, aber wir haben das große Pfand, dass man alle Proben, die genommen werden, zehn Jahre aufbewahren kann. Jeder Athlet muss wissen, dass immer noch etwas kommen kann.