Berlin

Das große Unbehagen

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Uwe Bremer

Hertha BSC ist erfolgreich wie selten, aber eine Ultra-Gruppe fordert den Rücktritt von Präsident Gegenbauer

Berlin. Die jugendlichen Fans dürften zu ihren Lebzeiten nichts Vergleichbares erlebt haben: dass Hertha BSC, ihr Verein, aktuell in der zweiten Saison in Folge positiv überrascht. Trotz des Rückschlags gegen Bremen (0:1) am Sonnabend steht der Klub in der Bundesliga auf Rang drei, in der Heimtabelle sogar auf Platz zwei. In dieser Saison will die Mannschaft von Trainer Pal Dardai den Traum vom internationalen Wettbewerb erfüllen. Alles gut bei Hertha? Beim Blick in die Ostkurve des Olympiastadions hat man einen anderen Eindruck.

Vor dem Anpfiff versuchte die Ultra-Gruppe der „Harlekins“, Herthas Finanzchef zu maßregeln. Auf einem Banner hieß es: „Schiller: Wir brauchen keine Farbenlehre. Die Satzung ist unantastbar“. Was war passiert? Ingo Schiller, Herthas Geschäftsführer Finanzen, hatte auf eine Frage zu den ungeliebten Ausweichtrikots in Pink auf der Mitgliederversammlung geantwortet: Hertha spiele seit Jahren, so wie in der Satzung vorgesehen, in blau-weißen Trikots. Allerdings müsse der Verein auch die DFL-Auflage erfüllen, ein Ausweichtrikot in einer anderen Farbe bereitzustellen. Unter dem Strich also ein Vorwurf, der ins Leere läuft.

Wowereit-Demo gegen

Arena in Brandenburg

Krass wurde es bei einem anderen Banner, das die Ultra-Gruppe „Hauptstadtmafia“ zeigte: Mitten hinein in die erfolgreichste Phase von Hertha der vergangenen zehn Jahre wurde Präsident Werner Gegenbauer zum Rücktritt aufgefordert: „Wer die Mitglieder nicht ehrt, ist bei Hertha verkehrt – Gegenbauer raus“. Hintergrund: Der Präsident hatte bei den Veranstaltungen „Hertha im Dialog“ sowie der Mit­gliedersammlung viele Fragen beantwortet. Aber bei den Themen eines möglichen Stadion-Standortes oder beim Umgang mit RB Leipzig eine andere Meinung als mancher Ultra. Das wurde nun gebündelt in der schlichten ­„Logik“: Wer nicht unserer Meinung ist, müsse gehen.

Sowohl Gegenbauer als auch Schiller lehnten es gegenüber der ­Morgenpost ab, Stellung zu den Plakaten zu nehmen. Bei Hertha wollen sie die Meinungen kleiner Gruppen in der Anhängerschaft nicht mit zusätzlicher Aufmerksamkeit ­aufwerten.

Scharmützel dieser Art zwischen einzelnen Ultra-Gruppen und Herthas Vereinsführung ziehen sich allerdings, konträr zur positiven sportlichen Entwicklung, durch die gesamte Saison. Mal geht es um die Digitalisierung des Klubs, die kritisiert wird. Dann ist die Kleidung des Trainerteams nicht ­genehm. Das größte Unwohlsein ruft die Stadiondebatte hervor.

Dort wird Hertha im Februar die Resultate einer Machbarkeitsstudie vor­legen. Unter die Lupe ­genommen ­werden sowohl Standorte in Berlin als auch im benachbarten Brandenburg – was bei Teilen der Basis als indiskutabel gilt. Sogar Klaus Wowereit, der ehemalige Regierende Bürgermeister, hinterlegt seinen Protest: „Dass man auf die Idee kommt, Berlin zu verlassen – da bin ich fast sprachlos. Diese Idee sollte schnell begraben werden.“ Er verstehe Herthas Wunsch nach einer Fußballarena. Aus Berlin wegzuziehen sei aber „undenkbar. Da mache ich eher eine Demo mit anderen Fans. Mit mir nicht“, sagte Wowereit im RBB.

Hertha-Manager Michael Preetz sagte der Morgenpost: „Veränderungen sind nicht einfach, sie sorgen bei manchen für Unbehagen.“ Aber es sei Aufgabe der Geschäftsführung, den Verein für die Zukunft fit zu machen.

Nun muss sich die Klubführung sicher nicht mit Wortklaubereien oder Farben-Vorlieben von Ultra-Gruppen auseinandersetzen. Hertha hat bisher jedoch deutlich zu wenig Mühe aufgewendet, um die Mitglieder und Fans beim Spagat zwischen Tradition und den geplanten Veränderungen mitzunehmen. Das wissen die Verantwortlichen – und werben für den eigenen Standpunkt. So sagte Preetz der Morgenpost: „Natürlich wollen wir am liebsten ein Stadion in Berlin haben. Und am allerliebsten auf dem Gelände des Olympiaparks.“

Egal, wo in der Stadt Hertha bauen würde, braucht es dafür eine Zusammenarbeit mit dem Senat. Doch der lehnt Herthas Ansinnen rund­heraus ab. Andreas Geisel (SPD), der neue Innensenator, der auch für Sport zuständig ist, sagte, er sei „skeptisch“. Das Olympiastadion würde bei einem Auszug des Ankermieters defizitär werden.

Vor Hertha liegen unruhige ­Zeiten. Zu Jahresbeginn wird der Verein versuchen, in der Stadionfrage möglichst viele Anhänger mitzunehmen. Manche Ultra-Gruppen, die für sich in Anspruch nehmen, die wahren Herthaner zu sein, vermitteln den Eindruck: Egal in welche Richtung das Hertha-Boot künftig schippern wird, sie ­werden nicht einsteigen.