Dresdens Anhänger missbrauchen das Pokalspiel bei Borussia Dortmund für eine Krawallorgie. Dynamos Präsident Andreas Ritter ist erschüttert.
Die Würstchenverkäufer vom Kiosk unter der Nordtribüne des Dortmunder Stadions konnten nur noch flüchten. Hilf- und fassungslos beobachteten sie aus der Entfernung, wie Randalierer aus Dresden ihren Verkaufsstand kurz und klein schlugen, bevor sie weiterzogen, um draußen vor der Arena Steine und Flaschen auf Polizisten zu werfen und deren Fahrzeuge mit Feuerwerksraketen zu beschießen. 17 Verletzte, 15 Festnahmen und 150.000 Euro Schaden lautet die Bilanz der gut fünf Stunden dauernden Verwüstungstour , zu der einige Dynamo-Anhänger das Pokalspiel bei Borussia Dortmund (0:2) gemacht haben. „Wenn Dschingis Khan mit seinen Truppen hier eingefallen wäre, hätte es nicht schlimmer aussehen können“, sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
In den Katakomben, fernab von Tränengasschwaden und dem Schwefelgestank bengalischer Fackeln, versuchten die Verantwortlichen der Sachsen nach Spielschluss zu retten, was nicht mehr zu retten war. „Wir haben uns unser Image deutschlandweit versaut, das muss ich so sagen“, sagte Klubpräsident Andreas Ritter. „So kann es auf keinen Fall weitergehen.“ Bis zu diesem Spiel hatte der Verein die Faninitiative „Pyrotechnik legalisieren“ unterstützt. Nachdem im Dortmunder Stadion das Abbrennen der illegalen, bis zu 2500 Grad heißen Fackeln zweimal fast zum Spielabbruch geführt hatte, wolle der Verein diese Haltung nun grundsätzlich überdenken.
„Das ist halt Dynamo“, sagte dessen Trainer Ralf Loose: „Natürlich ist das nicht zu rechtfertigen. Aber unsere Fans sind von BVB-Seite auch provoziert worden.“ Dass er den Chaoten damit auf dem Silbertablett eine Entschuldigung für ihr Verhalten servierte, störte ihn offenbar nicht.
Die Vorfälle im Dortmunder Stadion bedeuteten eine neue Dimension in der Dauerauseinandersetzung von Rowdys mit der Polizei beim Fußball. Als Dynamo im Sommer den Zweitligaaufstieg durch einen Sieg in Osnabrück perfekt gemacht hatte, stürmten nach dem Schlusspfiff Hunderte Anhänger der Gastmannschaft auf den Platz, es kam zu Schlägereien mit der Polizei. Nun gut, meinten damals Beobachter, in Osnabrück sind sie solche Invasionen von mitreisenden Fans nicht gewohnt. Im WM-Stadion von Dortmund aber, wo die Polizei jedes Jahr Zehntausende Anhänger aus Gelsenkirchen, Hamburg oder Köln mehr oder weniger konfliktfrei zum Spiel hin und danach wieder nach Hause begleitet, schien eine solche Eskalation unmöglich. „So massive Angriffe gegen die Polizei habe ich als Polizeiführer von Fußballeinsätzen noch nicht erlebt“, sagte Einsatzleiter Peter Andres.
Er und seine Kollegen konnten gut eine Stunde vor dem Anpfiff nur mit Mühe eine Stürmung des Stadions durch Dresdener Krawallmacher verhindern, die Partie begann daher eine Viertelstunde später als geplant. Insgesamt waren 10.000 bis 13.000 Anhänger der Sachsen angereist. Nicht die Menge der angereisten Gästezuschauer machte der Polizei Probleme, sondern deren Verhalten.
„Es wird ja immer von einigen Wenigen gesprochen, die das Spiel stören“, sagte BVB-Manager Michael Zorc. „Aber für mich sah das gar nicht nach so Wenigen aus. So etwas hat im Profifußball nichts zu suchen.“ Fast scheint es, als hätten die Dresdner Anhänger sich die größtmögliche Bühne für ihre Eskapaden gesucht: 73.100 Besucher sorgten für das bestbesuchte Zweitrundenspiel in der Geschichte des DFB-Pokals, das ZDF freute sich über eine Einschaltquote von gut sechs Millionen Zuschauern.
Ein Grund für das geballte Auftreten gewaltbereiter Problemfans war womöglich, dass die Tickets für das Spiel frei im Internet und an Vorverkaufsstellen erhältlich waren. Bei Partien mit hohem Krawallpotenzial, sogenannten Risikospielen, werden die Eintrittskarten häufig nur gegen Vorlage des Personalausweises herausgegeben, um bekannte Randaliere von vornherein ausschließen zu können. Das war am Dienstag offensichtlich nicht der Fall.
Unterm Strich bleiben nur Verlierer. Borussia Dortmund wird neben den Schäden auch eine Strafe zahlen müssen, weil der Sicherheitsdienst die verbotenen bengalischen Fackeln nicht konfisziert hat. Und Dynamo Dresden, das wegen des ramponierten Images ohnehin Probleme bei der Sponsorensuche hat, wird zur Kasse gebeten, weil seine Anhänger fast einen Spielabbruch provoziert haben. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes ermittelt, es droht eine Platz- oder gar eine Wettbewerbssperre.
Die Krawalle waren wie der makabere Beweis für eine Studie, die die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) wenige Stunden vor dem Anpfiff veröffentlicht hatte. Die Anzahl der Verletzten bei Ausschreitungen im Profifußball hat demnach in der vergangenen Saison einen Höchststand erreicht. In der Bundesliga und der Zweiten Liga waren insgesamt 846 Personen betroffen – Negativrekord seit der erstmaligen Erhebung vor elf Jahren, wenngleich damals insgesamt deutlich weniger Zuschauer in die Stadien kamen. 243 Polizeibeamte, 259 Störer und 344 Unbeteiligte wurden laut Studie verletzt. Dienstagabend kamen mindestens zwei Polizisten und 15 Unruhestifter dazu.