Es dauerte nicht lange, da setzte sich am späten Mittwochabend im Restaurant „Moyo“ an der Durbaner Strandpromenade doch deutscher Pragmatismus durch. Dorthin hatten sich einige Dutzend Fans und Förderer vom Vermarkter Deutschen Sport Marketing und von Sponsoren verfrachten lassen, um der Live-Übertragung von der Vergabe der Winterspiele 2018 zu frönen.
Pyeongchangs „Kantersieg“ (IOC-Mitglied Richard Pound) über München mit 63:25 Stimmen dämpfte die Stimmung nicht nachhaltig: Am Ende wurde sogar Polonaise getanzt. Die Spitzen der Münchner Bewerbungsgesellschaft nahmen die klare Niederlage in ihren Analysen gefasst auf, wiewohl Kuratoriumschefin Katarina Witt noch Stunden nach der Entscheidung derangiert wirkte. „Es ist ein bisschen schwer zu verstehen“, sagte die frühere Eiskunstläuferin, „ich sehe die Niederlage natürlich aus Athletensicht. Und da denkt man, der Beste wird gewinnen.“
So rasch wie selbstverständlich verständigte man sich auf die Lesart, München habe einfach zur falschen Zeit den falschen Gegner gehabt – nämlich ausgerechnet die zweimal in Folge abgewiesenen Asiaten. Eigene Schuld suchte jedenfalls kaum einer aus der bajuwarischen Delegation, die mindestens auf technischer Seite eine beeindruckende Kampagne abgeliefert hatte. „Wir können erhobenen Hauptes aus der Bewerbung gehen“, gab Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), als Parole aus – und nicht nur im „Moyo“ mochten es alle gern glauben.
Die Hauptbeweggründe seiner Kollegen im IOC, sich für das Abenteuer Korea zu entscheiden zu Lasten der europäischen Schwergewichte in der olympischen Bewegung, Deutschland und Frankreich, erklärte IOC-Präsident Jacques Rogge sich und der Welt so: „Das südkoreanische Projekt wird ein riesiges Erbe hinterlassen, da Pyeongchang ein neues Zentrum im asiatischen Wintersport wird.“ Zudem, so der Belgier, stehe Pyeongchang „für ein starkes und inspirierendes Projekt, das große Unterstützung der Regierung und der Öffentlichkeit erfährt“.
Den aus Bayern stammenden Bundesinnen- und -sportminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fuchste die Abfuhr aus „politischen und geopolitischen Gesichtspunkte“ dennoch. Rund 33 Millionen Euro hat die deutsche Bewerbung gekostet. Entgegen den ursprünglichen Beteuerungen der Bewerbungsgesellschaft werden doch noch Steuergelder dafür benötigt – nach derzeitigem Stand sind es etwa 6,5 Millionen Euro.
Friedrich und andere Politiker halten das Geld für blendend investiert und ebnen flink den Weg für eine erneute Kandidatur Deutschlands: „Wenn ein zweiter Anlauf genau so viel Geld kosten würde, würde auch die Bundesregierung das sicher befürworten. Aber es ist natürlich Sache des Sports, die neue Bewerbung auf den Weg zu bringen“, antichambrierte Friedrich.
Fraglich ist nun, ob oder wie schnell sich Sport, Politik und Wirtschaft auf eine erneute deutsche Olympia-Bewerbung verständigen können. Kandidat Nummer eins ist nach wie vor München. Bach dürfte innerhalb des DOSB dem Vernehmen nach wenig Mühe haben, eine Mehrheit für 2022 zu organisieren. Zumal selbst internationale Sportfunktionäre dazu raten.
„Wenn man eine Bewerbung startet und es dann auch nach einer Niederlage nicht fortführt, dann verliert man das investierte Geld und die Position, die man sich vor der Öffentlichkeit und den Medien erarbeitet hat“, sagte aus eigener Erfahrung gestern in Durban Carlos Arthur Nuzman. Er ist Organisationschef der Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro, das ebenfalls erst im dritten Anlauf in Folge den Zuschlag erhielt. Es gehe auch um die Botschaft vor dem IOC, dem man versprochen habe, alles dafür zu tun, um die Spiele zu holen, sagte Nuzman.
Dass Deutschland sich hingegen wieder um die ungleich faszinierenderen olympischen Sommerspiele bemüht, ist momentan eher unwahrscheinlich. Wenn, dann kämen dafür wohl nur die beiden Großstädte Berlin und Hamburg in Frage.
Schon melden sich die ersten Politiker zu Wort. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsident der Berliner Handball-Füchse, Frank Steffel, etwa hat die Wahlniederlage für München zwar bedauert („Deutschland wäre ein großartiger Gastgeber gewesen“). Gleichzeitig forderte er aber eine erneute Bewerbung Berlins um die olympischen Sommerspiele – wenngleich erst für in 13 Jahren. Eine deutsche Bewerbung für die Sommerspiele 2020 wäre aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit bis zur IOC-Entscheidung 2013 eine chancenlose Trotzreaktion, meint Steffel und rät: „Berlin sollte sich in aller Ruhe, perfekt vorbereitet und selbstbewusst um die Spiele 2024 bewerben.“
Auch Christoph Meyer, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, würde „ausdrücklich eine Bewerbung Berlins für die olympischen Sommerspiele“ begrüßen: „Sie sollte national ernsthaft sondiert und dann mit Nachdruck vorangetrieben werden.“ Nicht zuletzt „der Imagegewinn für Deutschland und gerade auch für Berlin durch das Sommermärchen 2006 während der Fußball-WM sollte als Leitbild für eine solche Bewerbung dienen“.
In der Berliner Senatskanzlei reagiert man jedoch verhalten auf Forderungen, Berlin möge nach 1993 den nächsten Anlauf nehmen. Senatssprecher Richard Meng: „Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um über eine Bewerbung Berlins zu diskutieren.“ Intern wird eine solche Kampagne ohnehin als kritisch angesehen. Denn einerseits kostet sie mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag, andererseits gehen die politisch Verantwortlichen davon aus, dass bei einer erneuten Kandidatur von München für die Winterspiele 2022 eine Kandidatur Berlins für Sommerspiele 2024 im internationalen Wettbewerb keine Chancen hätte.
Auch in Hamburg wiegelt man ab. Günter Ploß, Präsident des Hamburger Sportbunds, warnt stellvertretend davor, kurzfristig erneut eine Bewerbung der Hansestadt zu diskutieren: „Der Traum von einer Olympiabewerbung ohne soliden Unterbau ist vollkommen sinnlos.“